Fußball-WM 2018

Weltmeister kein Favorit? Tiki-Taka ist tot - Spanien lebt

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(Foto: picture alliance / dpa)

Brasilien, Deutschland, Argentinien oder doch Italien? Bei der Frage nach dem nächsten Weltmeister gleichen sich die Antworten. Merkwürdig nur, dass meist der aktuelle Titelträger bei dem Rätselraten fehlt. Denn dafür gibt es keinen Grund.

Die "Furia Roja" spielt bei dieser WM ganz in Rot.

Die "Furia Roja" spielt bei dieser WM ganz in Rot.

(Foto: imago/Cordon Press/Miguelez Sports)

Journalisten, Kinder und Event-Fans orientieren sich beim Thema Fußball gerne an klaren Vorgaben. So auch bei der Frage nach den größten WM-Favoriten. Normalerwe ise ist hier der Titelverteidiger gesetzt. Doch dieses Jahr ist etwas anders. Denn neben den üblichen Verdächtigen fehlt bei den entsprechenden Diskussionen der Expertenrunden in Kindergärten und Schulen, Redaktionen und Kneipen Weltmeister Spanien. Vorbei scheint die Zeit, in denen kleine Jungs Iker Casillas oder Fernando Torres sein wollen. Auch Xavi und Iniesta haben als Aushängeschild des intelligenten Fußballs ausgedient. Und Tiki-Taka? Nie gehört.

Das verwundert umso mehr, als dass sich der Europa-Welt-Europameister in den letzten sechs Jahren keine Blöße gab und die letzten drei großen Titel souverän gewonnen hat. Natürlich, auch eine "goldene Generation" kommt in die Jahre. Und der eine oder andere Leistungsträger der letzten Erfolge hat seinen Zenit überschritten oder ist außer Form. So beispielsweise der als Gehirn des Kreativspiels bezeichnete Xavi oder auch der breitbandgrinsende Popstargefährte Gerard Piqué. Doch dies bedeutet nicht, dass es dem Team an gleichwertigem Ersatz mangelt. Nicht zu vergessen, dass die "Furia Roja" gerade durch die noch vom EM-Triumph von vor zwei Jahren verbliebenen 18 Routiniers im Kader über eine enorme Erfahrung mit Erfolgen verfügt – und das bei einem Durchschnittsalter von 27,1 Jahren. 

Jeder Einzelne ein Könner

Dass die "Selección" auch beim Spielsystem variabel ist, zeigte sie schon bei der letzten Europameisterschaft. Denn dort, wo das einst glorifizierte und mit schlafwandlerischer Sicherheit praktizierte Kurzpassspiel nicht mehr greifen wollte, schaltete das Team auf konventionelle Fußballkunst um. Das wirkte nicht immer geschmeidig, war aber immer unbedingt dominant - und erfolgreich.

Spaniens Erfolgsrezept war und ist die Kompaktheit der Mannschaft und die Flexibilität und die Fähigkeiten ihres Personals. Jeder einzelne Spieler ist technisch versiert bis perfekt. Der Erfolg des Teams steht jedoch im Vordergrund. Beachtlich, wenn man bedenkt, welche Strahlkraft die Namen der Spieler besitzen. Bisher ist es Trainer Vicente del Bosque gelungen, den Einzelnen für das Kollektiv zu begeistern. Es spricht einiges dafür, dass dies in Brasilien ebenso sein sollte. Und auch ein gesättigter Erfolgshunger wird wohl spätestens zu Beginn des Turniers bei den meisten Spielern keine Rolle mehr spielen. Denn das Team ist voll von Typen mit Siegermentalität und del Bosque ist die Problematik bekannt, wie er unlängst in einem Interview bekannt hat. Zudem wird Spanien gleich in der Gruppenphase durch die Niederlande und Chile von Anfang an zu Höchstleistungen gefordert sein.

Haut auch mal dazwischen. Spaniens Sergio Ramos.

Haut auch mal dazwischen. Spaniens Sergio Ramos.

(Foto: imago/Icon SMI)

Dass auch eine Mannschaft wie die der Iberer nicht ganz ohne die herausragenden Qualitäten von einzelnen Persönlichkeiten auskommt, mag da schon fast beruhigen. Auch wenn deren Konstanz und Können für Gegner wiederum besorgniserregend ist. Allen voran ist hier Sergio Ramos zu nennen. Wo es seine Kameraden bisweilen mit brotlosem Schönspiel übertreiben, setzt er Akzente, haut dazwischen und gibt dem Spiel oftmals die entscheidende Richtung. Ein absoluter Führungsspieler, der Kampf und Kunst gleichermaßen beherrscht und maßgeblich an den letzten drei Triumphen beteiligt war.

Casillas, der Heilige

Und es gibt natürlich Iker Casillas, den Heiligen. Der fünfmalige Welttorhüter ist die Seele des Teams – die in nahezu jedem spanischsprachigen Popsong besungene "Alma". Er hält das Team zusammen, eint Katalanen, Basken, Madrilenen und den ganzen Rest, strahlt eine unheimliche Ruhe aus – und glänzt, wie nebenbei, mit hervorragenden Reflexen. Dass er in seinem Verein nicht mehr die unumstrittene Nr. 1 ist, tut seinen Leistungen und seinem Stellenwert zumindest innerhalb der Nationalmannschaft keinen Abbruch.

Natürlich hängt ein Turniererfolg auch immer von vielen, kaum zu beinflussenden Faktoren ab, nicht zuletzt dem nötigen Glück. Und auch die direkte Verteidigung des Titels gelang in der langen WM-Historie erst zwei Mal: 1934 und 1938 Italien und 1958 und 1962 Brasilien. Doch mit Spanien muss unbedingt gerechnet werden. Wer die "rote Furie" nicht auf dem Zettel hat, dürfte einen Fehler machen.

Quelle: ntv.de

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