Fußball-WM 2018

WM-Analyse mit Borowka "Wir haben immer noch zu viele Ausfälle"

Puh, das war knapp für Bundestrainer Joachim Löw und seine Männer. Gegen Schweden wendet das Team last second den WM-GAU ab.

Puh, das war knapp für Bundestrainer Joachim Löw und seine Männer. Gegen Schweden wendet das Team last second den WM-GAU ab.

(Foto: imago/ActionPictures)

Zwischen der deutschen WM-Katastrophe und der totalen Fußball-Euphorie im Land liegen im ersten von zwei Gruppen-Endspielen nur ein paar Sekunden - und ein grandioser Freistoß von Toni Kroos. In der letzten Minute der Nachspielzeit dreht der Champions-League-Akkordsieger das Spiel gegen Schweden (2:1). Unser WM-Experte Uli Borowka ist nach dem abgewendeten Knockout maximal erleichtert, sorgt sich aber angesichts fataler Patzer von mehreren Führungsspielern immer noch um den amtierenden Weltmeister.

Trotz des Sieges sieht unser WM-Experte Uli Borowka noch viel Arbeit auf den Bundestrainer zukommen.

Trotz des Sieges sieht unser WM-Experte Uli Borowka noch viel Arbeit auf den Bundestrainer zukommen.

(Foto: imago/Horst Galuschka)

n-tv.de: Herr Borowka, was macht der Puls?
Uli Borowka: Der ist immer noch ein bisschen höher als normal. Wie wahrscheinlich bei vielen Millionen anderen Deutschen auch.

Ohja, das war schon Wahnsinn.
Der Kelch des Ausscheidens ist zum Glück an uns vorbeigegangen.

Und Sie haben es immer gewusst. In unserer letzten Analyse haben Sie uns versichert, dass wir heute nicht über das deutsche WM-Aus reden müssen. Kompliment!
Nun, ein wenig gezweifelt habe ich am Ende allerdings doch. Der Freistoßtreffer von Toni Kroos war ja die letzte Aktion! Allerdings haben sich die Schweden auch sehr dumm verhalten.

Wieso das? Weil sie gefoult haben?
Nein. In so einer Szene musst du den Schützen beim Freistoß normalerweise ständig stören. Du musst da einfach auch mal 'ne gelbe Karte provozieren. Aber die waren einfach durch, platt, leer.

Und dann kommt Kroos...
... ja und das macht er grandios. Das ist Weltklasse. Damit hat er untermauert, dass er einer der drei besten Mittelfeldspieler der Welt ist.

Uli Borowka

Ulrich "Uli" Borowka ist ein ehemaliger deutscher Fußballprofi und -trainer sowie Autor des Buches "Volle Pulle. Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker", in dem er seinen Weg aus der Drogensucht beschreibt. In der Bundesliga kickte Borowka für Borussia Mönchengladbach, Werder Bremen und Hannover 96. Für n-tv.de ist er nun als WM-Experte im Einsatz.

Dabei war's doch eigentlich gar nicht sein Spiel. Oder haben Sie's anders gesehen?
Nein, das war eher ein unterdurchschnittliches Spiel von ihm. Aber er musste auch fast das ganze Spiel für İlkay Gündoğan mitackern. Der ist für Sebastian Rudy, der bis dahin übrigens sehr viel richtig gemacht und das taktisch gut gelöst hat, reingekommen und hat nichts gemacht. Wenn er den Ball hat, spielt er ihn bloß zwei Meter nach hinten. Ich glaube es ist so, wie Löw sagt: Gündoğan ist mental angeschlagen.

Aber warum bringt der Bundestrainer ihn dann für den angeschlagenen Rudy?
Weil er vermutlich der Einzige im Kader ist, der die Position eigentlich so spielen kann. Julian Brandt zum Beispiel ist ein Topjunge, aber er hat halt 'ne andere Rolle im Kader.

Kroos und Gündogan waren nicht die einzigen Spieler, die erneut nicht ihren besten Tag hatten.
Nein, was Jérôme Boateng da beispielsweise gemacht hat, das ist brutal. Der ist mit Gelb verwarnt und kachelt seinen Gegenspieler um. Er muss doch wissen, dass er diesen Foul nicht machen darf. Er ist alt und erfahren genug. In der ersten Halbzeit hat er Glück, dass er in der Szene gegen Marcus Berg nicht den Elfmeter gepfiffen bekommt. Für mich war das glasklar ein Strafstoß. Oder gucken wir uns Antonio Rüdiger an, der ist das ganze Spiel über nervös. Und ein Thomas Müller muss sehr viel mehr ackern und rennen als sonst. Er kann sich so nicht auf sein gefährliches Spiel vor dem Tor konzentrieren. Denn wir haben immer noch mehr Ausfälle, als unserem Spiel gut tut.

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Erstaunlich ist doch auch, wie schnell sich die Mannschaft von einem Fehler verunsichern lässt. Bis zum Fehler von Rüdiger nach zwölf Minuten, hat Deutschland doch so stark gespielt.
Das zeigt mir einmal mehr, dass die Mannschaft überhaupt nicht gefestigt ist. Ich kann keinem Spieler den Willen und den Einsatz absprechen, aber die Mannschaft bricht nach einfachen Fehler einfach zusammen. Ich kenne das so von den Jungs nicht. Ich sehe da immer noch Risse in der Truppe. Mir fehlen so Typen wie Bastian Schweinsteiger oder Philipp Lahm mit ihrer überragenden Qualität und Persönlichkeit.

Nun hat Deutschland gewonnen. Reden wir darüber!
Ja, völlig klar. Natürlich haben wir verdient gewonnen. Wir waren besser und hatten die besseren Chancen. Von den Schweden kam aber auch nichts mehr. Das war gut für unsere Mannschaft. Und was Marco Reus und Timo Werner vorne gemacht haben, das war richtig gut. Sie haben die Schweden extrem unter Druck gesetzt und immer wieder clever hinterlaufen.

Hat der Bundestrainer mit seinen vier Wechseln in der Startelf also alles richtig gemacht?
Nehmen wir Mats Hummels mal raus, den musste er wegen der Verletzung auswechseln. Aber drei Wechsel in einem WM-Spiel, das ist in Deutschland unter der Ägide von Joachim Löw ja schon ein mittelschweres Erdbeben. Das weist auf einiges hin. Wir haben jetzt gegen Österreich, Saudi-Arabien, Mexiko und nun gegen Schweden vier Spiele gezeigt, mit denen wir nicht zufrieden sein können. Das darf auch nicht unser Anspruch sein.

Was bedeutet das nun für unser nächstes Gruppen-Endspiel gegen Südkorea am Mittwoch?
Ich hoffe und denke, dass das Spiel heute eine Initialzündung war. Du hast gewonnen, obwohl du eigentlich schon mit einem Bein auf dem Weg nach Hause warst. Denn bei einem Remis, da müssen wir uns nichts vormachen, wäre das Ding erledigt gewesen. Da hätten die Mexikaner gegen die Schweden nichts mehr gemacht. Ich denke, bei uns wird es kommen, wie bei Belgien.

Heißt also: Deutschland spielt sich gegen Südkorea jetzt so richtig frei und voll ins Turnier rein.
Das wünsche ich mir. Das hoffe ich. Das glaube ich.

Mit Uli Borowka sprachen Tobias Nordmann und Judith Günther

Quelle: ntv.de

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