Niederlage gegen furiose Gastgeber Hexenkessel schüchtert "Bad Boys" ein
12.08.2016, 07:21 Uhr
An Torwart Silvio Heinevetter lag's nicht, dass die deutsche Mannschaft gegen Brasilien verloren hat.
(Foto: dpa)
Die Stimmung? Feindselig. Die deutschen Handballer werden beim olympischen Turnier im Spiel gegen die Gastgeber ausgebuht und ausgepfiffen. Das zeigt Wirkung. Das DHB-Team verliert Kontrolle, Lockerheit und Cleverness.
Früh war klar, was die deutschen Handballer im Spiel gegen Brasilien erwarten würde, sehr früh, schon beim Anwurf. Die Mannschaft wurde bei ihren ersten Ballkontakten ausgebuht und ausgepfiffen von einem Großteil der rund 11.000 Menschen, die sich in der Future Arena im Olympiapark von Rio de Janeiro eingefunden hatten, und daran änderte sich auch im weiteren Verlauf der Partie nichts. Die Deutschen hatten es nicht nur mit den Handballern aus Brasilien zu tun bei diesem Vorrundenspiel des olympischen Turniers, sie hatten es auch mit dem Publikum zu tun, das eine betörende Atmosphäre schaffte. Jeder Ballgewinn der Brasilianer und jedes Tor wurde mit donnerndem Jubel bedacht, immer wieder stimmten die brasilianischen Fans ihre Lieder an. Sie schufen eine Stimmung, die das eigene Team stärker macht und den Gegner zu Fehlern zwingt.

Kai Häfner und seine Teamkollegen wurden mit harter brasilianischer Gangart konfrontiert.
(Foto: AP)
So zogen die Vertreter der deutschen Delegation dann auch die wilden Rahmenbedingungen der Partie in ihre Erklärungen für die überraschende, beinahe sensationelle 30:33-Niederlage ein. "Es gibt nichts Schöneres, als in so einer Atmosphäre zu spielen. Aber vielleicht war der eine oder andere Fehler auch aufgrund dieser hitzigen Stimmung dabei", sagte Linksaußen Uwe Gensheimer, der elf Minuten vor Schluss die Rote Karte gesehen hatte für seinen Siebenmeter auf den Kopf des brasilianischen Torhüters César Almeida. "Es ist schwer, in so einer Atmosphäre die Kontrolle zu behalten. So hat uns ein bisschen die Lockerheit und die Cleverness gefehlt", klagte Trainer Dagur Sigurdsson.
Die erste Niederlage des deutschen Teams bei diesem Turnier nach zuvor zwei Siegen kratzt am Favoritenstatus des Europameisters. Sie zeigt, dass die deutsche Mannschaft schlagbar ist und Probleme bekommt gegen einen leidenschaftlich kämpfenden Gegner, der von einem leidenschaftlichen Publikum nach vorne gebrüllt wird. Doch sie ist kein Drama. Die Ausgangslage fürs Weiterkommen ist nach wie vor gut. Aus den verbleibenden beiden Vorrundenspielen gegen Slowenien und Ägypten benötigt Sigurdssons Auswahl zwei Punkte für den Einzug in die nächste Runde.
Probleme gegen aggressive Deckung
Das deutsche Team tat sich von Anfang an schwer, nicht nur wegen der Atmosphäre, sondern auch wegen der äußerst aggressiven Deckung der Brasilianer und wegen ihrer guten Einzelaktionen in der Offensive. 5:8 stand es nach 13 Minuten aus Sicht des Europameisters. Und auch wenn sich die Deutschen immer wieder zurückkämpften und zwischendurch auch in Führung lagen: Es wirkte nie so, als hätten sie das Spiel auf ihre Seite gezogen. Das deutsche Glück wirkte stets brüchig. Am Ende fiel der Sieg der Brasilianer mit drei Toren Vorsprung sogar recht klar aus. "Unsere Abwehr war immer unsere Stärke. Heute hat sie nicht ihren besten Tag gehabt", stellte Trainer Sigurdsson fest. Außerdem war er mit der Wurfquote seines Teams nicht zufrieden. Damit waren dann schon die beiden Hauptgründe für die Niederlage gefunden.
Sie war auch von Silvio Heinevetter nicht zu verhindern, der gegen Brasilien zum ersten Mal bei diesen Olympischen Spielen von Beginn an das deutsche Tor hütete. "Er war gut drauf, die Atmosphäre passte zu seinem Charakter", begründete Trainer Sigurdsson den Einsatz Heinevetters anstelle von Stammtorwart und EM-Held Andreas Wolff. Heinevetter hielt stark, er zeigte ein paar beeindruckende Paraden, und natürlich schien ihn das hitzige Ambiente eher anzutreiben als einzuschüchtern. Am Ende war er machtlos.
Es wäre allerdings falsch, den Ausgang des Spiels nur auf die Unzulänglichkeiten im Vortrag der Deutschen zurückzuführen. Das brasilianische Team verdiente sich den Sieg mit einer starken Leistung. "Brasilien hat sehr gut gespielt, kam mit sehr viel Mut und Selbstvertrauen, damit hatten wir unsere Probleme", sagte Trainer Sigurdsson. So etablieren sich die Brasilianer als Favoritenschreck bei diesem olympischen Turnier. Nach dem 34:32 gegen Polen zum Start schlugen sie jetzt auch den Europameister. Und die Euphorie des Publikums könnte die Mannschaft noch weit tragen.
Die Deutschen wollen der Niederlage nicht zu viel Raum geben. "Sowas muss man in einem Turnier schnell abhaken", sagte Rückraumspieler Paul Drux. Schon am Samstag geht es ja weiter mit der Partie gegen Slowenien. Die Stimmung in der Halle dürfte dann weniger feindselig sein als gegen Brasilien.
Quelle: ntv.de