Wirtschaft

"Schnellster Wertvernichter" Bayer-Aktionäre proben den Aufstand

Nicht nur Umweltschützer bringt der Monsanto-Deal auf die Barrikaden. Auch viele Bayer-Aktionäre halten ihn für einen Fehler.

Nicht nur Umweltschützer bringt der Monsanto-Deal auf die Barrikaden. Auch viele Bayer-Aktionäre halten ihn für einen Fehler.

(Foto: picture alliance / dpa)

Seit dem Kauf von Monsanto hat der Bayer-Konzern gut 40 Prozent an Börsenwert verloren. Schuld daran ist die Klagewelle wegen des glyphosathaltigen Unkrautvernichters "Roundup". Der Vorstand hält dagegen. Die Hauptversammlung dürfte turbulent werden.

Bevor Dewayne Anthony "Lee" Johnson krank wurde, war sein Leben "ziemlich gut", wie er selbst sagt. Er wohnte mit Frau und Söhnen in einem bezahlbaren Haus "mit drei Schlafzimmern und einem schönen großen Garten". Sein Geld verdiente er als Hausmeister und Schädlingsbekämpfer in einem Schulbezirk nahe seiner Heimatstadt Vallejo, nördlich von San Francisco. Den Job mochte er gern.  

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Doch dann kam der "Tag des Unfalls", wie Johnson nüchtern sagt, der sein Leben veränderte. Ihm zerbrach die Sprüheinrichtung der Flasche, mit der er - wie an etlichen anderen Tagen zuvor - den Glyphosat-haltigen Unkrautvernichter "Roundup" verteilen wollte. Der Inhalt ergoss sich über seine Haut. Er wusch sich zog sich um und duschte daheim, ohne aber das Gefühl zu bekommen: "Oh mein Gott, ich werde an diesem Zeug sterben." Bald bekam er Ausschlag, im Gesicht, an den Lippen und überall an Armen und Beinen. Der Mittvierziger, der seine Geschichte inzwischen in vielen US-amerikanischen Medien erzählte, ging zu diversen Ärzten, bis im März 2015 ein Non-Hodgkin-Lymphom diagnostiziert wurde, ein Krebs besonders aggressiver Art. Nun lebt der Todgeweihte von Sozialhilfe.

"Ich hätte das Produkt niemals auf dem Schulgelände oder in der Nähe von Menschen gesprüht, wenn ich gedacht hätte, es würde ihnen Schaden zufügen", erklärte der von der Krankheit schwer Gezeichnete mehr als drei Jahre nach dem "Unfall" vor einem Gericht in San Francisco. Denn inzwischen ist sich Johnson sicher: Es sei das Unkrautvernichtungsmittel der Firma Monsanto, der US-Tochter des deutschen Pharmakonzerns Bayer, gewesen, das den Krebs versucht habe. Er klagte. Die Jury gab ihm ungeachtet aller gegenteiligen Beteuerungen des Herstellers recht und bescheinigte Monsanto obendrein, ungenügend vor Risiken gewarnt und diese sogar in böswilliger Absicht verschleiert zu haben.

11.000 Klagen in den USA

Die Geschworenen sprachen Johnson 289 Millionen Dollar Schadensersatz zu, den ein Richter drei Monate später auf 78 Millionen Euro reduzierte. Johnson, der nach eigener Aussage von dem Geld bisher nichts gesehen hat, da Monsanto gegen das Urteil vorgeht, wird als Held im Kampf gegen Glyphosat gefeiert, erhält Zuspruch und Unterstützung aus aller Welt. "Ich glaube nicht, dass ich ein Supermann bin", sagte er neulich dem Magazin "Time". Ganz sicher ist er das auch nicht für den Bayer-Konzern. Für ihn ist Johnson eher so etwas wie ein lebendig gewordener Alptraum.

Inzwischen liegen mehr als 13.000 Klagen gegen den "Roundup"-Produzenten in den USA vor, den der deutsche Konzern für 63 Milliarden Dollar gekauft hatte. Ende März waren dem 70-jährigen krebskranken Kalifornier Edwin Hardeman 80 Millionen Dollar Schadenersatz zugesprochen worden. Auch er macht "Roundup" für sein Leiden hauptverantwortlich.

Bayer betonte, dass bisherige wissenschaftliche Erkenntnisse bestätigt hätten, "dass glyphosatbasierte Herbizide keinen Krebs" verursachten und "die Beweise in der zweiten Phase des Prozesses" zeigen würden, dass das Verhalten von Monsanto angemessen gewesen sei.

Mit anderen Worten: Bayer will nicht zahlen und wird alle Rechtsmittel ausschöpfen, Schadenersatzurteile anzufechten. So erklärt sich auch, warum der Dax-Konzern für Rückstellungen und Prozesskosten 661 Millionen Euro, aber keinen Cent für mögliche Schadensersatzzahlungen beiseitegelegt hat. Wie hoch die Kosten für eventuelle Versicherungen zur Absicherung der Klagewelle sind, wollte Bayer bisher nicht bekannt geben.

Bis fünf Milliarden Dollar "alles richtig gemacht"

Klar ist: Billig wird das alles nichts. Die Anleger sind aufgeschreckt, der Konzern verlor mehr als 40 Prozent seines Börsenwertes. Statt 100 Euro oder mehr ist eine Aktie des Unternehmens nun um die 60 Euro wert. Auch die zwischenzeitliche Ankündigung, weltweit 12.000 Stellen abzubauen, konnte den Kurs nicht nachhaltig beflügeln.

Unter Experten ist bis heute umstritten, ob die Übernahme von Monsanto zu dem Preis richtig war. Das Image der US-Firma - seit Jahrzehnten ein Gigant in der Saatgutherstellung - ist nicht nur wegen Glyphosat miserabel, sondern auch wegen der umstrittenen Anwendung von Gentechnik. Das deutsche Unternehmen argumentiert, ohne den Deal wäre es selbst zum Übernahmekandidaten geworden. Bayer und Monsanto - rein von der Produktpalette her passt das wunderbar. Nach Einschätzung des Analysten Markus Manns von der Fondsgesellschaft Union Investment hat die Konzernführung bei Schadenzahlungen von bis zu fünf Milliarden Dollar "alles richtig gemacht", bei mehr als zehn Milliarden Dollar "die Risiken von Monsanto klar unterschätzt".

​"Ich würde Monsanto wieder übernehmen, ohne jedes Wenn und Aber", hatte Bayer-Chef Werner Baumann Mitte Dezember auf einer Veranstaltung der Zeitung "Rheinische Post" erklärt: "Wir haben dieses hohe Prozessrisiko nicht gekannt. Bei den ersten Gesprächen mit Monsanto lagen 21 Klagen vor." In der "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" bekräftige er im März: "Der Monsanto-Kauf war und ist eine gute Idee." Den Kursverlust hielt Baumann für überzeichnet: "Wenn es darum geht, Unsicherheiten zu bewerten, neigt die Börse zu Übertreibungen." Er selbst habe viel Geld verloren, das er in Bayer-Aktien gesteckt habe. Dabei gehe es dem Konzern sehr gut, er habe hervorragende Perspektiven.

Die Zahlen zum ersten Quartal 2019 können als Beleg der Aussagen Baumanns interpretiert werden. Umsatz ​und ​Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen stiegen über den Erwartungen. Allerdings erhöhte sich die Zahl der "Roundup"-Klagen in den USA von Ende Januar bis Mitte April von rund 11.200 auf etwa 13.400.

Gut zwei Jahre zogen sich die Verhandlungen über den Deal hin. Kritiker meinen, schon bei 21 Klagen hätten die Alarmglocken schrillen müssen, zumal Glyphosat längst als potenzieller Krebserzeuger umstritten gewesen sei. ​Bayer selbst erklärt, "dass bei Abschluss des Merger Agreement im September 2016 lediglich um die 120 Klagen mit Glyphosatbezug anhängig waren". Kein Wunder, dass Aktionäre daraus schlussfolgern, dass die Klagerolle absehbar gewesen sei, der Konzern aber nicht reagiert habe. Der verweist auch darauf, dass bei Vollzug des Deals noch kein erstinstanzliches Urteil vorgelegen habe.

Johnson könnte Prozessende nicht mehr erleben

Von wegen Profit: Bayer-Aktionären hat Monsanto bislang nur gigantische Verluste eingebrockt.

Von wegen Profit: Bayer-Aktionären hat Monsanto bislang nur gigantische Verluste eingebrockt.

(Foto: picture alliance / Henning Kaise)

So oder so: Auf der Hauptversammlung diesen Freitag wird sich der Vorstand massive Kritik anhören müssen. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) fordert, die Entscheidung über eine Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat zu verschieben, bis eine Bewertung des Monsanto-Kaufs möglich sei. Christian Strenger, Professor an der HHL Leipzig Graduate School of Management, ging in einem Gegenantrag für das Aktionärstreffen mit der Bayer-Führungscrew hart ins Gericht. Er schrieb: ​"Nachdem der nach über zweijähriger 'Schwangerschaft' endlich abgeschlossene Monsanto-Deal binnen drei Monaten zum größten und schnellsten Wertvernichter der Dax-Geschichte wurde, ist es schon kühn, dass der Vorstand seine eigene Entlastung für das Desasterjahr 2018 empfiehlt!" Denn nicht allein die Klagefolgen seien fatal. Das Gründungsmitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex beklagt in seinem Antrag "weitere kapitale" Fehler des Managements, etwa "kartellbedingte Verkäufe" von Geschäftsteilen an die BASF.

In einer Stellungnahme wies der Vorstand sämtliche Vorwürfe zurück. Die Veräußerungen hätten Milliardengewinne, dem Konzern aber keine Synergieverluste gebracht. Zum Monsanto-Erwerb hieß es, die "selbst​verständlich" durchgeführte Risikoprüfung habe "klar ergeben, dass die Glyphosat-haltigen Produkte von Monsanto bei sachgemäßer Anwendung sicher" seien. Mehr als 800 Studien belegten dies. Das kanadische Gesundheitsministerium habe erst im Januar erklärt, dass "derzeit - ausgehend von den Mengen Glyphosat, mit denen Menschen in Berührung kommen - keine Regulierungsbehörde weltweit ein Krebsrisiko" sehe.

Dewayne Anthony "Lee" Johnson hat dazu eine andere Einstellung. "Ich möchte, dass all diese Schulen aufhören, Glyphosat zu verwenden, zuerst in Kalifornien und dann im Rest des Landes. Das ist meine kleine Mission", sagte er dem "Time"-Magazin. Der Krebskranke wartet auf seine finanzielle Entschädigung, die ihm seiner Meinung nach zusteht. Er weiß aber: "Die Wahrheit ist, dass die Berufungen weit über meine Lebenserwartung hinausgehen könnten."

Quelle: ntv.de

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