Niedrigwasser am Rhein "Das ist ein erhebliches Konjunkturrisiko"
30.08.2022, 19:54 Uhr Artikel anhören
Die jüngsten Niedrigstände haben das Thema Rheinvertiefung wieder in den Fokus gerückt.
(Foto: IMAGO/Jochen Tack)
Der Niedrigwasser-Gipfel in Mainz hat sich auf eine Kommission geeinigt - mehr nicht. Die Binnenschifffahrt warnt die Bundesregierung davor, die Sanierung der Wasserstraßen weiter zu verschleppen und damit in Gefahr zu bringen. Die gesamte Infrastruktur sei schwer vernachlässigt worden, sagt Marcel Lohbeck, Geschäftsführer des Bundesverbands Öffentlicher Häfen, im Interview mit ntv.de.
ntv.de: Wie lief das Gespräch?
Marcel Lohbeck: Es war eine konstruktive und offene Aussprache. Wir haben über die Umsetzung des Aktionsplans "Niedrigwasser Rhein" geredet, der als Folge der geringen Pegel von 2018 gemeinsam von Wirtschaft und Politik entwickelt worden war. Die Industrie hat positiv hervorgehoben, dass wir jetzt verlässliche Pegelprognosen erhalten, die sechs Wochen in die Zukunft reichen. Gelobt wurde auch, dass der Umbau von Schiffen mit bis zu 80 Prozent gefördert wird, um sie fit für Niedrigwasser zu machen.
Das wurde von der Wirtschaft aber auch schon vor dem Gipfel herausgehoben.
Die Industrie hat nun deutlich gemacht, dass anhaltende Niedrigwasser nicht nur kurzzeitig hohe zusätzliche Logistikkosten, Versorgungsengpässe und Produktionsausfälle bedeuten. Der mittel- bis langfristig entstehende Imageschaden ist noch deutlich gravierender. Wenn Kunden der Industrie das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Lieferketten verlieren, schauen sie sich dann nach Alternativen um. Hierzulande drohen dann Wertschöpfungsverluste - und Standorte werden in Frage gestellt.
Aber BASF wird doch nicht angekündigt oder gedroht haben, die Produktion ins Ausland zu verlegen?
Die Industrie hat sich heute ausdrücklich zum Standort Deutschland bekannt. Doch auf diese Zusage muss der Bund mit Investitionen in die Wasserstraßen reagieren, sonst wird es zu einer schleichenden Deindustrialisierung kommen. Die gesamte Infrastruktur ist schwer vernachlässigt worden. Deutschland müsste Jahr für Jahr mindestens 1,7 Milliarden Euro in seine Wasserstraßen investieren, tut es allerdings nicht. Nachdem eine Aufstockung in Sicht war, hat das Bundesfinanzministerium den Posten für 2023 wieder um 350 Millionen Euro gekürzt. Erst mittelfristig werden 1,7 Milliarden Euro angepeilt, was viel zu spät ist, die Lage nachhaltig zu entspannen.
Haben Sie keine Signale erhalten, dass mehr Geld fließen soll?
Nein, über Finanzen haben wir nicht gesprochen. Beteuert wurde lediglich, dass die Finanzierung der Engpassbeseitigung auf dem Rhein, etwa am neuralgischen Punkt bei Kaub, gesichert sei und es an der Personalstärke bei der Planung nicht scheitern solle.
Bisher sollte das bis 2030 passieren. Binnenschifffahrt und Industrie wollen einen früheren Termin. Neuerdings ist in der Bundesregierung von 2033 die Rede. Wann wird das Projekt fertig sein?
Hier fordern wir klar mehr Transparenz und Geschwindigkeit. Wir von der Wirtschaft wüssten gerne, wo die Stolpersteine liegen. Bislang verweist der Bund auf umweltrechtliche Hürden. Selbst 2033 wird nur mit großer Vorsicht genannt. Nicht einmal auf das Jahr wollte sich Bundesverkehrsminister Wissing festlegen, was bezeichnend ist. Immerhin soll eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung der Industrie eingesetzt werden, die Vorschläge vorlegen soll, wie es schneller gehen könnte.
Um zu beschließen, eine Kommission einzusetzen, brauchte es doch nicht diese Runde heute. Wirklich Neues ist auf dem Gipfel nicht herumgekommen, oder?
Die Zusage für mehr Transparenz ist positiv und mehr als nichts, aber gravierend Neues hat es nicht gegeben. Allerdings hatte ich auch keine große Erwartungshaltung an das Treffen.
Was bedeutet das alles für die Wirtschaft?
Die fragile Transportlogistik ist nach wie vor ein erhebliches Konjunkturrisiko für Deutschland. Die 60 Millionen Euro, die für die Beseitigung der Engpässe am Mittelrhein eingeplant waren, werden nicht genügen. Schon wegen der Ausgleichsmaßnahmen für die Umwelt und aktueller Baukostensteigerungen wird sich der Betrag erheblich erhöhen. Der volkswirtschaftliche Schaden des Niedrigwassers lag 2018 bei mehr als zwei Milliarden Euro. Jetzt sieht es so aus, dass sich das wiederholt, aber in einem viel größeren Ausmaß. Da sind 60 Millionen Euro plus X für bauliche Maßnahmen im und am Rhein nichts dagegen. Zumal das nächste Niedrigwasser garantiert kommen wird.
Der Verzicht auf russische Rohstoffe und Energie hat die Nachfrage für Binnenschiffe massiv erhöht, die in Deutschland die Kohlekraftwerke beliefern.
Viele Trockenfrachter sind im Einsatz, um die Energieversorgung zu gewährleisten. Jede Menge Laderaum ist zugleich auf der Donau unterwegs, um Getreide und andere Produkte aus der Ukraine zu holen. Das verschlankt die Frachtkapazitäten erheblich.
Was hat das für Folgen?
Diverse Branchen, allen voran Stahl und Chemie, sind auf stete Energie- und Rohstoffzufuhr angewiesen. Bleibt das aus, müssen sie die Produktion drosseln oder, wenn es sich nicht mehr rentiert, weil enorm gestiegene Kosten für Energie und drastische Mehrausgaben für Transporte zusammenkommen, schließen. Einen Hochofen, der runtergefahren werden muss, weil er nicht mehr mit Kohle befeuert werden kann, kann man nicht wieder anwerfen. Der muss neu gebaut werden.
Auch die Bahn gerät an ihre Grenzen, wie es scheint.
Die Wirtschaft hat heute auf dem Gipfel darauf hingewiesen, dass die Bahn massive Probleme hat. Beim Niedrigwasser 2018 konnte sie noch deutlich mehr abfangen, das ist nicht mehr möglich, weil die Kapazitäten zurzeit nicht zur Verfügung stehen. Das darf man sich keinen Illusionen hingeben. Das ist baulich nicht möglich, das Streckennetz kann nicht von jetzt auf gleich ausgeweitet werden. Zudem gibt es gerade zu viele Baustellen entlang des Schienennetzes. Das verstärkt den Druck auf die Logistik. Die Wasserstraßen sind der einzige Verkehrsträger, der seine Kapazitäten noch lange nicht ausgeschöpft hat.
Mit Marcel Lohbeck sprach Thomas Schmoll.
Quelle: ntv.de