"Nicht schlimm, sondern gut" Fratzscher will energieintensive Branchen ziehen lassen
21.09.2024, 10:21 Uhr Artikel anhören
"Wir produzieren dort, wo es am günstigsten ist", lobt Ökonom Marcel Fratzscher.
(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)
Unternehmen, die viel Energie verbrauchen, klagen über die hohen Kosten in Deutschland. Ganze Wirtschaftszweige drohen abzuwandern, inklusive der Arbeitsplätze. Topökonom Marcel Fratzscher hält das nicht für schlimm, sondern für einen "notwendigen Prozess".
DIW-Präsident Marcel Fratzscher geht davon aus, dass bis zur Vollendung der Energiewende einige energieintensive Branchen aus Deutschland verschwinden werden. Im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte der Ökonom: "Das ist nicht schlimm, sondern gut, wenn es den Unternehmen ermöglicht, ihre Innovationsfähigkeit und ihre guten Arbeitskräfte in Deutschland zu erhalten und so wettbewerbsfähig zu bleiben." Für die Volkswirtschaft sei das ein "notwendiger Prozess", weil er einen Aufbruch erzwinge, argumentierte der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).
Gerade Deutschland habe es besser als die meisten anderen Länder verstanden, sich auf seine Kernkompetenzen zu fokussieren. "Wir produzieren dort, wo es am günstigsten ist, importieren die Komponenten, bauen sie hier ein und exportieren die fertigen Produkte in die ganze Welt", sagte Fratzscher.
Vor wenigen Tagen forderten die elf deutschen Bundesländer mit Stahlstandorten die Bundesregierung dazu auf, die Voraussetzungen für einen Erhalt der Stahlindustrie in Deutschland zu schaffen. Notwendig seien bezahlbare Energie und ausreichend grüner Wasserstoff, forderten sie gemeinsam mit Branchenvertretern. Der Staat steckt Milliarden in Großanlagen für klimaneutral hergestellten Wasserstoff, mit denen bis 2030 ein Drittel der Produktionskapazität auf klimaneutrale Energie umgestellt werden soll.
Vor allem Chemieindustrie unter Druck
DGB-Chefin Yasmin Fahimi hatte im Frühjahr vor einer Abwanderung von Industriebetrieben aus Deutschland gewarnt. Es gehe mittlerweile an die Substanz, sagte die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Industriebranchen, die viel Energie benötigten, hätten zunehmend Probleme mit ihren Kosten. Einer Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zufolge spricht auch der Rückgang ausländischer Investitionen tendenziell für eine Deindustrialisierung.
Vor allem in der Chemieindustrie drohe etwas wegzubrechen. "Auch die Produzenten von Papier, Zement, Keramik und Stahl stehen enorm unter Druck", sagte Fahimi. "Die energieintensiven Industrien verlagern schon jetzt Zukunftsinvestitionen und könnten mittelfristig im großen Stil abwandern. Schon allein, weil die Subventionspolitik in den USA und China eine ganz andere ist."
Quelle: ntv.de, chl/DJ/dpa