Wirtschaft

Energielobby schimpft auf die EU"Ich fasse mir bei Brüssel an den Kopf … Deutschland läuft in eine Versorgungslücke!"

12.12.2025, 15:41 Uhr
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Das Heizkraftwerk Lausward ist ein Gas- und Dampfturbinenkraftwerk und seit 1957 das größte Kraftwerk Düsseldorfs. Das grün beleuchtete "Stadtfenster" erlaubt einen Blick auf den Kamin des Blocks Fortuna. (Foto: picture alliance / Jochen Tack)

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft vertritt mehr als 2000 Unternehmen der Energiewirtschaft - von klein bis ganz groß. Mit der Arbeit der schwarz-roten Bundesregierung ist der Verband zufrieden. "Das Wesentliche ist: Wir gehen den bisherigen Weg weiter", sagt BDEW-Chefin Kerstin Andreae im "Klima-Labor" von ntv. "Die erneuerbaren Energien sind das Zentrum der Stromversorgung und werden ausgebaut." Auch die neuen Gaskraftwerke heißt sie gut, nicht aber den Kompromiss von Berlin und EU-Kommission. "Ich fasse mir an den Kopf, wenn ich sehe, was in Brüssel passiert", sagt sie. Der Vorwurf? Zu wenige Gaskraftwerke, die zu spät fertig werden. "Das Schnellboot ist inzwischen ein furchtbar langsamer Schleppkahn."

ntv.de: Welche Schulnote würden Sie Schwarz-Rot für die bisherige Arbeit geben?

Kerstin Andreae: Unter den gegebenen Voraussetzungen eine 2, denn die waren wirklich schwierig. Aber das ist ein Halbjahreszeugnis.

Wirklich? Was hat Ihnen besonders gut gefallen?

Das Wesentliche ist: Wir gehen den bisherigen Weg nach dem Monitoringbericht und dem Zehn-Punkte-Papier von Wirtschaftsministerin Reiche weiter. Die erneuerbaren Energien sind das Zentrum der Stromversorgung und werden ausgebaut. Es gibt einen Fokus auf die Netzinfrastruktur und den Partner, das Gas. Aber natürlich hängt einiges in der Schwebe, wenn die 2 auch auf dem Endjahreszeugnis stehen soll.

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BDEW-Chefin Kerstin Andreae (r.) findet: Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (M.) leistet gute Arbeit. (Foto: picture alliance / Chris Emil Janßen)

Es ist gut, dass alles weitergeht wie bisher? Die Botschaft der neuen Bundesregierung war doch eigentlich: Die Energiewende ist zu teuer. Sie belastet Industrie und Verbraucher. Wir müssen die Kosten senken.

Ich spreche nur von der "Hardware" und dem Energiemix. Es gab keinen radikalen Systemwechsel bei den Energieträgern. Die Kohlekraftwerke sollen wie geplant abgeschaltet werden. Richtigerweise ist aber auch Kosteneffizienz ein Schwerpunkt. Wir als Energiewirtschaft machen uns seit Langem Gedanken, wie Preissignale wirken, wie wir Erzeugung und Netz zusammenbringen und wie wir Regulierung abbauen können, um Kosten zu optimieren und zu senken. Unsere Vorschläge müssen nur aufgegriffen und umgesetzt werden. Das Hausaufgabenheft der Bundesregierung ist voll.

Als Katherina Reiche im September davon sprach, die Energiewende wieder "vom Kopf auf die Füße zu stellen", war das eher eine Botschaft für die eigene Klientel?

Wir müssen nachjustieren und den Kurs teilweise korrigieren, aber wir standen nie auf dem Kopf. Die Füße laufen. Die Branche weiß genau, wie sie das energiewirtschaftliche Dreieck austariert und was sie dafür braucht: Klimaschutz, Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit. Das ist die Basis. In diesen drei Bereichen müssen wir konsequent vorangehen. Aber wenn die Füße schnell laufen sollen, muss Regulierung weg.

Eine wichtige Frage dafür ist: Wie viel Strom benötigen wir in Zukunft? Die bisherige Annahme war etwa 750 Terawattstunden bis 2030. Im Energiewendebericht von Katherina Reiche sind daraus 600 bis 700 Terawattstunden geworden. Die Begründung: Unter anderem hat sich die E-Mobilität nicht wie erhofft entwickelt. Kritiker sagen: Das ist ein Versuch, die Erneuerbaren auszubremsen.

Elektrifizierung ist ein entscheidender Hebel für mehr Klimaschutz. Wir benötigen mehr Strom im Verkehr, in Gebäuden und in der Industrie. Das wird den Stromverbrauch erhöhen. Stand jetzt verbrauchen wir aber ungefähr 500 Terawattstunden Strom im Jahr. Das werden in fünf Jahren nicht 750 Terawattstunden sein. Das wäre eine Steigerung um die Hälfte. Das geht nicht, das ist keine Raketenwissenschaft. Das Einzige, was man aus der neuen Prognose von 600 bis 700 Terawattstunden lernt, ist: Wir wissen nicht genau, wie der Stromverbrauch 2030 aussehen wird.

Dieser Korridor ist zu groß?

Der ist riesig, und zwar richtigerweise, denn der künftige Stromverbrauch hängt von vielen Faktoren ab: Es kommen Rechenzentren dazu. Was passiert mit dem Verbrenner-Aus? Elektrifiziert die Industrie energischer, wenn die Gaspreise wieder steigen? Niemand kann das genau sagen. Deswegen ist es gut, dass der Koalitionsausschuss vor einigen Wochen gesagt hat: Das Ziel bleibt 80 Prozent Erneuerbare bis 2030. Elektrifizierung, die dem Klima nutzen soll, fußt auf erneuerbaren Energien. Diese müssen konsequent ausgebaut werden: Solar, Wind an Land, Offshore und Wasserkraft. Die größere Herausforderung ist: Wie bekommen wir den grünen Strom zum richtigen Zeitpunkt dorthin, wo er benötigt wird?

Das ist das nächste Streitthema: Müssen sich diejenigen, die erneuerbare Energien ausbauen, am Netzanschluss beteiligen oder an den Kosten, wenn sie die Netze verstopfen?

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist in die Jahre gekommen. Die Bundesregierung muss es aber bis 2027 ohnehin überarbeiten, das ist eine europäische Vorgabe. Die Erneuerbaren erzeugen inzwischen fast 60 Prozent unseres Stroms. Angesichts dieser Zahl wird geklärt, wie eine neue Förderkulisse mit mehr Markt aussieht. Das heißt nicht, dass jede Subvention falsch ist. Ganz ohne bremst man den Ausbau der Erneuerbaren tatsächlich aus. Ich als Bürgerin finde es aber wirklich gut, wenn man schaut: Benötigt die Wärmepumpe eine 70-prozentige Förderung?

Die brauchen wir nicht?

Fördermaßnahmen sollten sich auf die Menschen konzentrieren, die nicht so hohe Einkommen haben.

Die Krux ist: Während darüber diskutiert wird, welche Förderung für Erneuerbare angebracht ist, möchte das Wirtschaftsministerium große Mengen neuer Gaskraftwerke subventionieren. Zwischenzeitlich waren bis zu 20 Gigawatt geplant. Vorerst werden es nur 8 bis 10, weil die EU-Kommission ihr Veto eingelegt hat.

Über die 20-Gigawatt-Aussage bin ich auch gestolpert, weil die Ampel kurz vor ihrem Ende bereits ein Paket über 12,5 Gigawatt mit Brüssel ausgehandelt hatte. Wir wären heilfroh, wenn dieses Paket gekommen wäre, denn seitdem ist schon wieder ein Jahr vergangen ...

Das war das "Schnellboot"?

Ja, diese Kraftwerke werden dringend benötigt. Die Bundesnetzagentur sagt in ihrem Versorgungssicherheitsbericht, dass mindestens 22 Gigawatt an steuerbaren Kapazitäten zugebaut werden müssen, um die Versorgungslücke zu schließen. Dafür wird alles benötigt, nicht nur Gaskraftwerke, sondern auch Speicher und einiges mehr. Deshalb fasse ich mir an den Kopf, wenn ich sehe, was in Brüssel passiert. Ich weiß nicht, was wir machen müssen, um deutlich zu machen: Wir laufen in eine Versorgungslücke rein!

Die EU hätte mehr Gaskraftwerke genehmigen müssen?

Natürlich. Es wäre geschickter gewesen, wenn die neue Bundesregierung das Kraftwerksicherheitsgesetz der Ampel übernommen hätte. Das war fast fertig ausgehandelt. Wir hätten endlich mit dem Bau der Gaskraftwerke beginnen können. Die schießen nicht einfach so aus dem Boden. Der Bau muss vorbereitet und geplant werden. Diese Verzögerung ärgert mich sehr. Das kann ich meiner Branche nicht mehr erklären. Und wir dürfen nicht vergessen: Es geht um die Frage, wie wir unsere Versorgung gewährleisten, wenn Sonne und Wind einmal keinen Strom liefern.

Welche Antworten erhalten Sie von der EU-Kommission, wenn Sie das Thema ansprechen?

Brüssel ist womöglich davon ausgegangen, dass wir direkt einen Kapazitätsmarkt eröffnen. In diesem Markt werden Stromanbieter dafür bezahlt, jederzeit Strom liefern zu können, wenn er gebraucht wird - unabhängig davon, ob dieser Strom tatsächlich abgerufen wird. In einer idealen Welt mit Erneuerbaren laufen die Gaskraftwerke ja kaum. Die Betreiber möchten aber trotzdem vergütet werden. Diesen Kapazitätsmarkt gibt es bisher in Deutschland nicht. Deswegen war der Plan: Wir bauen das Schnellboot mit den Gaskraftwerken und führen diese anschließend in einen Kapazitätsmarkt über. Inzwischen ist das Schnellboot ein furchtbar langsamer Schleppkahn.

Der aber rechtzeitig ans Ziel kommt?

Ein neues Gaskraftwerk baut man in fünf bis sechs Jahren - je nachdem, wie schnell man eine Genehmigung erhält. Man kann davon ausgehen, dass die klugen Unternehmen der Energiewirtschaft bereits mit der Planung begonnen haben und die Bundesnetzagentur bereits mit dem Design für die Ausschreibung, aber die Zeit wird knapp.

Und das ist der EU-Kommission nicht bewusst?

Die Verhandlungen zwischen Berlin und Brüssel werden von den beiden Lagern sehr unterschiedlich interpretiert. Wichtig ist, dass wir die neuen Gaskraftwerke schnellstmöglich ausschreiben. Die sollen später auf Wasserstoff umgerüstet werden. Das ist neben den Erneuerbaren das andere wichtige Thema.

Inwiefern?

Wir müssen über Moleküle reden. Viele Industriebranchen wie die Stahlindustrie werden sie auch in Zukunft benötigen. Dort wird heute noch mit Erdgas gearbeitet. Teilweise kommt bereits grauer Wasserstoff aus fossilen Brennstoffen zum Einsatz. In Zukunft muss Wasserstoff aber ein grünes Gas sein. Dafür benötigen wir Elektrolyseure und Wasserstoffimporte.

Bestenfalls aus heimischer Produktion?

Ja. Es sollte ein deutliches Warnsignal für Deutschland und Europa sein, dass Elektrolyseure als ein Schwerpunkt im neuen Fünfjahresplan von China stehen. Das ist die nächste Technologie, in die man reinmuss, um Wertschöpfungsketten zu schließen. Das ist meine Kritik an der Bundesregierung: Beim Wasserstoff geht es nicht voran.

Im Zehn-Punkte-Plan von Katherina Reiche heißt es, dass man den Hochlauf eher nachfrageorientiert gestalten möchte, sprich: Die Bundesregierung beteiligt sich finanziell an der Herstellung des Wasserstoffs, sobald die Nachfrage steigt. Die Industrie sagt, dass sie Wasserstoff erst dann herstellen wird, wenn die Kosten sinken.

Das ist das klassische Henne-Ei-Problem. Eine Seite wartet immer auf die andere. Aber die wichtige Frage ist gelöst: Wie transportieren wir Wasserstoff von A nach B? Die Ampel hat das sogenannte Kernnetz für Wasserstoff konzipiert. Dieses Netz ist finanziert und wird inzwischen gebaut. Damit kann der Wasserstoff verteilt, genutzt und nachgefragt werden: von der Industrie, den neuen Gaskraftwerken, in der Kraft-Wärme-Kopplung und auch im Schwerlastverkehr. Es gibt auch Anbieter, die ihn herstellen könnten. Noch wäre er allerdings zu teuer, weil die Herstellung durchreguliert ist: Wer einen Elektrolyseur bauen will, muss gleichzeitig einen Windpark bauen, um zu garantieren, dass wirklich grüner Wasserstoff erzeugt wird. Das ist nicht nur unlogisch, sondern auch teuer.

Mit Kerstin Andreae sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.

Klima-Labor von ntv

Quelle: ntv.de

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