"Stellt Prognosen auf den Kopf" Impfstoff macht Ökonomen euphorisch
10.11.2020, 11:38 Uhr
Wann geht die Party weiter?
(Foto: picture alliance/dpa)
Angesichts der heftigen zweiten Pandemie-Welle hatten viele Ökonomen ihre Prognosen gerade nach unten korrigiert. Der Impfstoff-Durchbruch bei Biontech lässt nun wieder Hoffnung keimen. Selbst wenn eine flächendeckende Impfung Monate dauert, könnte die Wirtschaft schnell profitieren.
Wirtschaftswissenschaftlern zufolge könnte der Durchbruch beim Corona-Impfstoffentwickler Biontech den Verlauf der durch die Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise merklich verändern - und zwar teilweise schon vor seinem flächendeckenden Einsatz. "Ein wirksamer und nebenwirkungsarmer Impfstoff ändert alles", sagte IfW-Präsident Gabriel Felbermayr Reuters. "Wenn damit zunächst die Risikopersonen wirklich effektiv geschützt werden können, könnte man in vielen Bereichen des sozialen Konsums wie zum Beispiel im Kulturbereich, der Gastronomie oder dem Beherbergungsgewerbe zur Situation im Sommer zurückkehren."
Sobald die deutsche Bevölkerung zu 50 bis 60 Prozent durchgeimpft sei, wären wohl gar keine Einschränkungen mehr notwendig. Bisher gehen entsprechende Prognosen des IfW davon aus, dass die Pandemie ab Frühjahr 2021 erfolgreich zurückgedrängt werden kann. Dann wäre 2021 ein Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens in Deutschland von vier bis fünf Prozent möglich. "Das Eintreten dieser Annahme wird nun zusehends realistischer", sagte Felbermayr. "Die Voraussetzung ist, dass der Impfstoff auch tatsächlich für viele Hunderte Millionen Menschen weltweit produziert und verabreicht werden kann."
In den vergangenen Wochen hatten zahlreiche Institutionen ihre Konjunkturvorhersagen angesichts der zweiten Pandemie-Welle vor allem in Europa und den USA für dieses und das kommende Jahr noch einmal deutlich nach unten korrigiert. Hoffnungen auf eine schnelle Erholung - in Grafiken zum Wirtschaftswachstum in der Form eines V sichtbar - waren weitgehend begraben worden. Der Internationale Währungsfonds etwa prophezeite weltweit nur eine "langsame, ungleich und unsichere" Erholung der Konjunktur.
Warnung vor Engpässen
Das ändert sich nun nach Ansicht einiger Ökonomen wieder schlagartig. Als erste Unternehmen weltweit haben die deutsche Firma Biontech und der US-Pharmagigant Pfizer erfolgreiche Daten aus der für eine Zulassung entscheidenden Studie mit einem Corona-Impfstoff vorgelegt. Sie wollen noch 2020 weltweit bis zu 50 Millionen Impfstoffdosen herstellen und 2021 bis zu 1,3 Milliarden.
Als "Game-Changer" bezeichnet auch Torsten Slok, Chefökonom des Finanzinvestors Apollo, gegenüber Bloomberg den Durchbruch beim Impfstoff. "Das wird alle Vorhersage-Tabellen auf den Kopf stellen. Zwar ist der Zulassungsprozess für den Impfstoff noch lange nicht in trockenen Tüchern und eine flächendeckende Impfung der Bevölkerung weltweit dürfte Monate, wenn nicht Jahre in Anspruch nehmen. Doch der Einfluss auf die Wirtschaft könnte sich schneller zeigen, indem die Hoffnung auf den Impfstoff die Erwartungen von Konsumenten und Unternehmen beeinflusst. So könnten beispielsweise Verbraucher ihren Urlaub für den kommenden Sommer buchen oder Firmen ihre Investitionen anpassen.
Allerdings gibt es auch warnende Ökonomen-Stimmen. Vorsicht sei weiter angebracht, schreibt die für Konjunkturprognosen zuständige Direktorin der zum gleichnamigen Wirtschaftsmagazin gehörenden Economist Intelligence Unit, Agathe Demarais, in einer ersten Einschätzung zum Impfstoff. "Wir sind noch nicht über den Berg." Beim Produktionsprozess des Impfstoffs seien Engpässe zu erwarten und die Auslieferung weltweit sei schwierig und teuer. Sie gehe daher weiter davon aus, dass die Erholung der Weltwirtschaft "langsamen und holprig" sein werde.
Quelle: ntv.de, mbo/rts