"500.000 Jobs in Gefahr" Kommt jetzt das Sonntagsshopping?
19.06.2021, 13:23 Uhr
Experten sind sich einig: Die Politik muss den stationären Einzelhandel attraktiver machen.
(Foto: picture alliance/dpa)
Nach den Einbußen, die stationäre Einzelhändler durch den Lockdown hatten, fordert DIW-Chef Fratzscher nun dringend einen faireren Wettbewerb. Mit ihrem "engen Korsett" könnten sie sich nicht gegen den Onlinehandel behaupten. Der Handel warnt vor massiven Arbeitsplatzverlusten.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, fordert angesichts der schwierigen Lage vieler Einzelhändler eine Lockerung der Öffnungszeiten. "Eine Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten ist dringend geboten, damit der stationäre Einzelhandel sich im Wettbewerb gegen den Onlinehandel behaupten und Arbeitsplätze sichern kann", sagte Fratzscher dem "Handelsblatt".
Der Ökonom stellte sich damit an die Seite des Handelsverbands HDE, der eine Öffnung auch an Sonntagen fordert. "Durch die Pandemie gab es eine massive Verschiebung hin zum Onlinehandel, was sich auch nach der Pandemie nicht komplett wieder umkehren wird", erläuterte Fratzscher. Faire Wettbewerbsbedingungen bedeuteten aber nicht, dass Menschen 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche online einkaufen könnten, aber der stationäre Einzelhandel ein "enges Korsett" habe und sonntags geschlossen sein müsse.
"Anstelle von Sanktionen oder Abgaben für den Onlinehandel, sollte die Politik den stationären Einzelhandel attraktiver machen", sagte der DIW-Chef. Dazu gehörten neben flexibleren Einkaufszeiten auch moderne urbane Konzepte, durch die die Innenstädte wieder attraktiver werden. "Dies hat nicht nur einen unmittelbaren ökonomischen Wert, sondern es ist auch aus sozialer und gesellschaftlicher Perspektive sehr wichtig, dass Menschen sich persönlich begegnen und miteinander in Kontakt kommen."
Der HDE hatte vorgeschlagen, die Geschäfte zumindest bis Jahresende auch sonntags öffnen zu lassen. Das gebe den Händlern die Chance, wenigstens einen Teil des während der Lockdowns verlorenen Umsatzes nachzuholen und wäre auch ein Signal an die Menschen, dass die Innenstädte wieder offen seien. Auch darüber hinaus sollte es verlässlichere Regeln für eine rechtssichere gelegentliche Sonntagsöffnung geben.
"Ortskerne dürfen nicht weiter veröden"
Neben dem Handelsverband HDE sprach sich auch der Städte- und Gemeindebund für die Erweiterung der Ladenöffnungszeiten aus. "Wir müssen jetzt alles tun, damit unsere Innenstädte und Ortskerne nicht weiter veröden", sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg dem "Handelsblatt". "Da wäre es ein positives Signal, zusätzliche Sonntagsöffnungszeiten zu ermöglichen." Landsberg verwies auf die bedrohliche Lage des Handels und die Gefahr für Hunderttausende Arbeitsplätze.
Über 100.000 Einzelhandelsgeschäfte könnten schließen oder gar nicht mehr öffnen, sagte Landsberg. Damit stünden fast 500.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Der Onlinehandel habe hingegen habe seinen Umsatz im vergangenen Jahr auch pandemiebedingt auf über 72 Milliarden Euro steigern können. Zusätzliche Sonntagsöffnungszeiten wären daher "ein kleines, aber wichtiges Signal, dass die Innenstädte und Ortskerne Zukunft haben".
Die FDP unterstützte den Vorstoß bereits als geeignete Konjunkturhilfe für den Einzelhandel. Die Gewerkschaft Verdi wies ihn dagegen als zu kurzsichtig gedachten "Generalangriff auf die Handelsbeschäftigten, ihre Familien, aber auch auf das Grundgesetz" zurück.
Quelle: ntv.de, ddi/rts