Wirtschaft

Korruption verhindern Nach Syrien müssen nicht sofort "Massen an Geld" fließen

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Kämpfer unter Führung der HTS haben am Wochenende Damaskus erobert und den langjährigen Machthaber Baschar al-Assad gestürzt.

Kämpfer unter Führung der HTS haben am Wochenende Damaskus erobert und den langjährigen Machthaber Baschar al-Assad gestürzt.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Assads Sturz ist eine historische Wende. Allein die politische Neuordnung stellt Syrien vor Herausforderungen. Hinzu kommt: Die Wirtschaft des Landes liegt am Boden. Im Interview erzählt Ökonomin Salam Said, wie das Regime Syrien kaputt gewirtschaftet hat und welche wirtschaftlichen Perspektiven es jetzt gibt.

ntv.de: Syrien ist nach dem Sturz von Baschar al-Assad nicht nur politisch instabil. Dem Land geht es auch ökonomisch sehr schlecht. Was ist noch übrig von Syriens Wirtschaft?

Salam Said: Syrien ist bisher viergeteilt in ein von Assad kontrolliertes Gebiete und die Regierung in Damaskus, ein HTS-Gebiet in Idlib, die türkisch unterstützten Oppositionsgebiete um Aleppo - und die Gebiete unter der kurdischen Selbstverwaltung im Nordosten. Assad hatte also nur einen Teil Syriens kontrolliert und etwa keine Kontrolle über viele Ölfelder und landwirtschaftliche Acker im Norden und Nordosten des Landes. Zwischen den Regionen besteht seit dem laufenden Konflikt kein offizieller Binnenhandel mehr. Durch die Sanktionen, die der Westen verhängt hat, kommen außerdem kaum noch Investitionen ins Land. Aus dem Ausland fließt bis auf das Geld, das Syrer ihren Familien in die Heimat schicken, kein Geld mehr. Die Wirtschaft leidet zudem unter der Zerstörung der Infrastruktur. Im Laufe des Krieges sind viele Fabriken und landwirtschaftliche Acker zerstört worden. Wirtschaftliche Aktivitäten, die Einkommen generieren, sind deswegen immer weniger geworden. Außerdem ist die syrische Wirtschaft geprägt von Vetternwirtschaft. Eine kleine militärische Elite hatte die Kontrolle und setzte diese für ihre eigenen Interessen ein. Eine wichtige Einkommensquelle, auf die sich Assads Regime jahrelang ungeachtet aller Probleme noch stützen konnte, war die Drogenproduktion und der Drogenhandel.

Salam Said studierte Wirtschaftswissenschaft in Damaskus und promovierte an der Universität Bremen. Seit 2009 lehrt sie an deutschen Universitäten. Derzeit ist sie Leiterin des Libyen-Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung. Der Schwerpunkt ihrer jüngsten Veröffentlichungen liegt auf geopolitischen Analysen und den Auswirkungen der Sanktionen gegen Syrien.

Salam Said studierte Wirtschaftswissenschaft in Damaskus und promovierte an der Universität Bremen. Seit 2009 lehrt sie an deutschen Universitäten. Derzeit ist sie Leiterin des Libyen-Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung. Der Schwerpunkt ihrer jüngsten Veröffentlichungen liegt auf geopolitischen Analysen und den Auswirkungen der Sanktionen gegen Syrien.

Lange gingen Experten davon aus, dass der Niedergang der syrischen Wirtschaft das Regime Assad stürzen könnte. Es ist anders gekommen. Wieso hat die Wirtschaftskrise den Diktator nicht zu Fall gebracht?

Assad hat seine Macht und die wenigen Staatseinnahmen dafür genutzt, um seine Elite mit Waffen auszustatten, damit diese die Bevölkerung einschüchtern kann. Nichtsdestotrotz hat es in den vergangenen Jahren immer wieder überall in Syrien Aufstände gegeben. Das zeigt, egal ob die Leute politisch auf der Seite von Assad standen oder nicht: Die Bevölkerung ist schon lange unzufrieden gewesen. Sie konnten politisch nur nichts erreichen, weil die Repressionen so groß gewesen sind.

Das Regime hat die Sanktionen für die Wirtschaftskrise verantwortlich gemacht. Stimmt das?

Assad hat die Sanktionen natürlich für seine Propaganda genutzt. Zum Teil hat er aber auch recht. Die Sanktionen haben zwei wichtige Sektoren getroffen: das Finanzwesen und den Handel. Niemand konnte offiziell Geld nach Syrien schicken. Auch Syrer, die ihre Familien aus dem Ausland finanziell unterstützt haben, konnten dafür keine Banken nutzen und mussten andere Methoden finden. Außerdem wollte niemand mehr mit Syrien Handel betreiben. Es gab zwar zum Beispiel keine Sanktionen auf Importe von Medikamenten nach Syrien. Aber dadurch, dass das gesamte Importgeschäft durch das Bankensystem abgewickelt wurde, war der Handel enorm erschwert. Nichtsdestotrotz: Assad ist für die Wirtschaftskrise in Syrien verantwortlich.

Was hat die Wirtschaftspolitik von Assad ausgemacht?

Assad hat staatliche Investitionen in Infrastruktur, Gesundheit und Bildung schon vor dem Krieg heruntergefahren und damit die Wirtschaft geschwächt. Auch die Liberalisierung der Märkte und Privatisierung hat viele Industrien zerstört. Das hat nicht nur zu einer hohen Arbeitslosigkeit geführt, sondern Syrien musste nun auch viele einstige lokale Produkte durch Importe ersetzen. Das wiederum hat den Druck auf staatliche Ausgaben und die Währung erhöht. Diesen neoliberalen Politikkurs hat Assad während des Kriegs fortgeführt. Hinzu kommt die Umstellung auf eine Kriegsökonomie. Das hat die Inflation und die Abwertung der Währung immer weiter angeheizt.

Die syrische Währung ist seit Jahren konstant unter Druck.

Eine Währung spiegelt normalerweise die wirtschaftliche Stärke eines Landes wider. In Syrien hat es aber immer einen fixen Kurs zum Dollar gegeben, um die Lira zu stützen. Sie hat deswegen nie Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Lage erlaubt. Assad hat sogar den Handel mit Dollar und Euro verboten. So konnte das Regime die Abwertung der Lira in Grenze halten. Trotz dieser Politik verlor die Lira seit der Finanzkrise im Libanon im Jahr 2019 enorm an Wert. Über die Banken im Libanon hatte das Land bisher das Sanktionssystem umgangen und die Geschäfte der Syrer gegen Devisen abgewickelt. Direkt nach der Machtübernahme hat die Führung der Oppositionskräfte jetzt mitgeteilt, dass der Lira-Kurs sich wieder stabilisiert hat. Sie haben außerdem das Verbot von Assad aufgehoben.

Welche Perspektiven hat die syrische Wirtschaft jetzt?

Syriens Wirtschaft leidet an einem Mangel an Arbeitskräften, an Investitionen und an Kapital. Assads Regime war für viele Syrer der Hauptgrund, warum eine Rückkehr bisher undenkbar gewesen ist. Ich kenne viele gut ausgebildete Syrer, die im Ausland Arbeit gefunden haben oder etwas gespart haben, die jetzt zurück in ihre Heimat gehen und in das Land investieren wollen. Sobald die Sanktionen aufgehoben sind und das Finanzsystem wieder funktioniert, wird Syrien auch wieder für ausländische Investoren attraktiver. Bislang ist noch nicht abzusehen, in welche Richtung sich die Wirtschaft nach Assad entwickeln wird. Mit Blick auf die Wirtschaftspolitik der HTS in Idlib halte ich eine liberale Wirtschaft mit einem islamischen Bankensystem aber für denkbar.

Was ist ein Anreiz für Syrer, zurück in die Heimat zu gehen?

Viele syrische Geflüchtete, die in prekären Lagern in Jordanien, Libanon oder der Türkei leben, haben oftmals Rassismus, Diskriminierung und Gewalt erfahren. Ihnen bietet ein Syrien ohne Assad viel mehr Chancen. Syrer, die im Ausland studiert, ihre eigenen Geschäfte aufgebaut haben oder deren Kinder in die Schule gehen, werden erstmal abwarten, wie sich die Lage entwickelt, bevor sie zurückkehren.

Gibt es überhaupt so etwas wie einen funktionierenden syrischen Arbeitsmarkt?

Viele Nichtregierungsorganisationen werden ihre Arbeit in Syrien fortsetzen wollen, sollte die neue Führung ihre Arbeit zulassen. Die NGOs sind nicht nur für die Zivilgesellschaft von großer Bedeutung. Sie sind auch ein wichtiger Arbeitgeber im Land, der Zehntausende von Syrern beschäftigt. Branchen wie die Industrie und Landwirtschaft haben unter Assad stark gelitten. Allein für ihren Wiederaufbau braucht das Land viele Arbeitskräfte. Und auch der Bausektor wird ohne zusätzliche Arbeitskräfte nicht auskommen.

Der Wiederaufbau Syriens wird enorme finanzielle Mittel erfordern. Wie kann dem Land jetzt am besten geholfen werden?

Bislang gibt es keinen Masterplan für den Wiederaufbau Syriens. Die große Sorge ist jetzt natürlich, dass ein Wiederaufbauplan dem Land von außen aufgezwungen wird. Ein erfolgreicher Wiederaufbau kann aber nur in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten vor Ort gelingen. Dafür müssen übrigens nicht sofort Massen an Geld ins Land fließen. Viel Geld ist immer mit Korruption verbunden. Für Syrien wäre es besser, wenn die finanzielle Unterstützung erst nach und nach kommt.

Mit Salem Said sprach Juliane Kipper

Quelle: ntv.de

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