
Griechenlands Ministerpräsident Samaras will den Schuldenschnitt. Angela Merkel will ihn unbedingt verhindern.
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Der Wahlkampf dümpelt vor sich hin, die Bundesregierung vermeidet jede Debatte über Griechenland. Zwei bittere Wahrheiten will Angela Merkel dem Wähler nicht zumuten: Ihr Rettungsplan wird nicht aufgehen. Und: Die deutschen Steuerzahler dürfte das Griechen-Debakel bald noch mehr Geld kosten.
Stell dir vor, es ist Wahlkampf - und keiner geht hin. Knapp einen Monat vor der Bundestagswahl diskutiert Deutschland über Veggie Days in den Kantinen, die PKW-Maut und Personalprobleme bei der Bahn. Dabei gäbe es durchaus noch ein Thema, über das es sich zu sprechen lohnen würde: die Schuldenkrise in Griechenland. Doch die Bundesregierung vermeidet jede Debatte über das hellenische Finanzdrama.
Seit mehr als drei Jahren spielen die Regierung in Athen und die Troika der internationalen Geldgeber von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und internationalem Währungsfonds (IWF) ihr Katz-und-Maus-Spiel: Griechenland bastelt ein neues Reförmchen. Die Troika mahnt und drängt auf größere Anstrengungen. Und gibt schließlich trotz großer Bedenken die nächste Hilfstranche frei.
Es ist nicht zu erwarten, dass sich daran bald etwas ändert. Im Gegenteil, es steht zu befürchten, dass sich die Situation nach der Bundestagswahl zuspitzt. Auf den deutschen Steuerzahler dürften in jedem Fall weitere Milliardenlasten zukommen. Denn keine der Optionen der Bundesregierung verspricht eine baldige Lösung des griechischen Schuldendramas.
Option 1: Weiter so
Merkels Rettungspolitik setzt darauf, dass Griechenland durch die Milliardenhilfen genug Zeit gewinnt, sich zu reformieren. Und seine Politiker ihre Reformversprechen einhalten. Beide Ziele wurden bestenfalls teilweise erreicht. Große Fortschritte hat Griechenland bei seinem Ausgabenproblem gemacht: Mit drakonischen Sparmaßnahmen hat die Regierung ihr Budgetdefizit von 15,6 Prozent der Wirtschaftsleistung (2009) auf 6,3 Prozent (2012) heruntergeprügelt. Lässt man den Schuldendienst außer Acht, erzielt Griechenland im Staatshaushalt inzwischen sogar einen Überschuss.
Das löst jedoch nicht das eigentliche Problem. Griechenland ist inzwischen mit 175 Prozent seiner Wirtschaftsleistung verschuldet. Selbst nach den optimistischen Annahmen der Troika soll der Schuldenstand bis 2020 nur auf 120 Prozent sinken. Und wenn Athen seinen riesigen Schuldenberg jemals abtragen will, muss seine Wirtschaft wachsen. Dafür müssten die überbordende Bürokratie abgebaut, der aufgeblähte Staatsdienst beschnitten, die Korruption bekämpft, Staatsfirmen privatisiert werden.
Doch genau bei diesen Strukturreformen mauern Griechenlands Politiker. Denn sie tun richtig weh. 150.000 Beamte hat Athen versprochen bis 2015 zu entlassen. Gerade 4200 wurden bis Ende Juli in eine Auffanggesellschaft verschoben. 25.000 sollen es bis Ende Dezember werden. 50 Milliarden Euro wollte Griechenland ursprünglich mit dem Verkauf von Staatsbetrieben erlösen. Die Wirtschaft soll so aus der lähmenden Umklammerung des Staats befreit, Wettbewerb entfesselt werden. Selbst die EU rechnet inzwischen nur noch mit Erlösen von 24 Milliarden - bis 2020. Verkauft ist bisher einzig die Staatslotterie OPAP für 652 Millionen Euro.
Kein Wunder: Warum sollten Ausländer in Griechenland investieren? Die Wirtschaft steckt das sechste Jahr in Folge in der Rezession, es fehlt ihr an einer Vision. Insgesamt hat jeder vierte Grieche keinen Job. Bei den Jugendlichen ist sogar die Hälfte ohne Arbeit. Es ist schon ein Erfolg, wenn die Wirtschaft im zweiten Quartal im Vorjahresvergleich nur 4,6 Prozent einbricht statt fünf Prozent wie befürchtet.
Wie lange kann das noch gutgehen? Im Kern verlangt die Troika von Griechenland nicht weniger, als sich in ein anderes Land zu verwandeln. Angesichts des Reformstaus ist die nächste Finanzlücke nur eine Frage der Zeit. Zahlreiche Ökonomen rechnen fest damit, dass Griechenland schon bald weitere Hilfen benötigt. Intern hat laut "Spiegel" selbst die Bundesbank "erhebliche Zweifel" an der Reformfähigkeit des Landes, hält die Kreditvergabe an Athen für politisch motiviert und rechnet für Anfang 2014 in jedem Fall mit einem neuen Hilfsprogramm. Bestenfalls hängt Griechenland dann auch die nächsten zehn Jahre am Tropf der Troika.
Option 2: Schuldenschnitt
Ökonomen fordern längst die radikale Lösung: "Es ist klar, dass Griechenland früher oder später einen weiteren Schuldenschnitt brauchen wird", sagt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. "Nach der Wahl wird es ein böses Erwachen geben", prophezeit auch SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider. Schuldenschnitt, Haircut, Schuldenerlass, Umschuldung, Schuldentausch – wie auch immer die Operation am griechischen Patienten heißt, sie würde bedeuten: Athens Gläubiger müssen auf einen Teil ihres Geldes verzichten.
Die Hellenen wären auf einen Schlag ihre Schulden los. Griechenland würde die Chance auf einen Neustart bekommen. Kostenlos. Griechische Politiker werben verständlicherweise bereits für diese Lösung: Er gehe davon aus, dass es im November Gespräche über eine Erleichterung der Schuldenlast geben könnte, sagte Finanzminister Stournaras einer griechischen Zeitung. Athen will eine Belohnung für den harten Sparkurs.
Kanzlerin Merkel und ihr Finanzminister wiederum haben den Schuldenschnitt verständlicherweise bereits mehrfach ausgeschlossen. Denn dabei würden die Steuerzahler Geld verlieren, die sie im September wiederwählen sollen. 210 Milliarden Euro Finanzhilfen sind inzwischen laut EU-Kommission nach Athen geflossen. 183,5 Milliarden Euro haben allein die Euro-Länder nach Griechenland gepumpt. Ein Großteil des Geldes wäre verloren. Auf Deutschland kämen Verluste im zweistelligen Milliardenbereich zu.
Dass sie mit einem Schuldenschnitt, den sie zuvor kategorisch ausgeschlossen hat, vollends ihre Glaubwürdigkeit verlieren würde, wäre für Angela Merkels Regierung noch das kleinste Problem. Viel schwerer wiegt: Nach jahrelangem Gezeter und Gezerre würde die EU Griechenland mit einem Schuldenschnitt einfach vom Haken lassen. Ist Athen erst seine Schulden los, hat Brüssel keinerlei Druckmittel mehr, um wirkliche Reformen zu erzwingen. Die nächste Finanzkrise in der Eurozone wäre programmiert, wenn Athen wieder über seine Verhältnisse lebt. Ganz abgesehen davon, dass auch andere Schuldensünder wie Portugal, Spanien, Irland und Malta nach einem Schuldenschnitt in Griechenland ebenfalls den kostenlosen Neustart fordern würden.
Option 3: Schuldenschnitt in Zeitlupe
Die scheinbar unlösbare Aufgabe für Angela Merkel lautet also: Erleichterungen für Griechenland durchbringen, ohne dass es die Öffentlichkeit zu sehr erzürnt. Und ohne das die Griechen ihren Reformeifer verlieren. Und natürlich ohne dass es (Angela Merkel) etwas kostet. Wie dieses Kunststück gelingen könnte, hat sie bereits einmal vorgemacht.
Im November hat die EU die Zinsen auf ihre Hilfskredite für Griechenland um ein Prozent gesenkt. Die Laufzeiten wurden um 15 Jahre verlängert. Die Zinszahlungen wurden für zehn Jahre aufgeschoben. Die EZB muss seitdem Kursgewinne auf Griechenland-Anleihen, die sie gekauft hat, an Athen überweisen. Deutschland und die anderen Euro-Länder haben durch diese Maßnahmen schon damals zum ersten Mal auf die Rückzahlung von Finanzhilfen verzichtet.
Allein 2013 dürften sich dadurch Verluste von 730 Millionen Euro im Haushalt niederschlagen. 2014 sollen noch einmal 660 Millionen Euro hinzukommen. Der schleichende Schuldenerlass, ein Forderungsverzicht auf Raten, ein Schuldenschnitt in Zeitlupe hat bereits begonnen. Angela Merkel dürfte ihn fortsetzen. Ihre Regierung ist längst eingeknickt: Spanien hat mehr Zeit für den Defizitabbau bekommen. Auch die Kreditlaufzeiten für Portugal und Irland wurden um sieben Jahre verlängert. Was spräche dagegen, die Rückzahlungen aus Athen noch einmal zu verschieben? Die Zinsen noch weiter zu senken? Den Schuldenerlass könnte Angela Merkel so als Reformerfolg verkaufen. Das Problem weiter in die Zukunft verschieben. Und die Verantwortung auch.
Quelle: ntv.de