ZEW-Index sinkt in Minusbereich "Verschlechterung der ohnehin nicht guten Konjunkturlage"
16.05.2023, 15:55 Uhr Artikel anhören
"Die deutsche Wirtschaft könnte dadurch in eine – wenn auch leichte – Rezession rutschen."
(Foto: picture alliance / ZB)
Börsenprofis blicken einmal mehr pessimistischer auf die wirtschaftliche Entwicklung. Nach Ansicht des ZEW ist das Thema Rezession damit nicht vom Tisch. Optimismus scheint einem größeren Realitätssinn gewichen zu sein, kommentiert ein Analyst.
Die Aussicht auf weiter steigende Zinsen und ein möglicher US-Zahlungsausfall lassen Börsenprofis den dritten Monat in Folge pessimistischer auf die deutsche Wirtschaft blicken. Im Mai sank das Barometer zur Einschätzung der Konjunktur in den nächsten sechs Monaten um 14,8 auf minus 10,7 Punkte. Damit liegt es erstmals seit Dezember 2022 wieder im negativen Bereich, wie das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zu seiner monatlichen Umfrage unter 181 Analysten und Anlegern mitteilte. Ökonomen hatten zwar mit einem geringeren Rückgang gerechnet.
Die Einschätzung der Lage verschlechterte sich im laufenden Monat ebenfalls: Dieser Wert fiel um 2,3 auf minus 34,8 Punkte. "Die Finanzmarktexpertinnen und -experten rechnen auf Sicht von sechs Monaten mit einer Verschlechterung der ohnehin nicht guten Konjunkturlage", kommentierte ZEW-Präsident Achim Wambach die Entwicklung: "Die deutsche Wirtschaft könnte dadurch in eine – wenn auch leichte – Rezession rutschen."
Ein Grund für den Rückgang des Stimmungsindikators sei die Erwartung einer noch stärkeren Anhebung der Zinsen durch die Europäische Zentralbank (EZB). Das könnte Kredite, etwa für Investitionen, weiter verteuern. "Ein möglicher Zahlungsausfall der Vereinigten Staaten in den nächsten Wochen erhöht zudem die Unsicherheit bezüglich der internationalen Konjunkturentwicklung", sagte Wambach mit Blick auf den Haushaltsstreit in den USA, dem wichtigsten Abnehmer von Waren "Made in Germany". Dort streiten Demokraten und Republikaner über die Anhebung der Schuldenobergrenze.
Vieles spricht für eine schwächere Konjunktur
"Der Optimismus vom Jahresbeginn scheint einem größeren Realitätssinn gewichen zu sein", sagte ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. "Ein Rückgang der Kaufkraft, ausgedünnte Auftragsbücher in der Industrie sowie die Folgen der aggressivsten geldpolitischen Straffung seit Jahrzehnten und die erwartete Verlangsamung der US-Wirtschaft sprechen für eine schwache Konjunktur."
Zwar scheine zumindest die akute Gefahr durch die Schieflage einiger US-Banken wieder etwas abzuebben, sagte NordLB-Analyst Bernd Krampen. "Mittelfristig dürften sich die Finanzierungsbedingungen jedoch weiter verschlechtern und die Konjunktur dämpfen." Perspektivisch werde sich die restriktive Geldpolitik noch weiter dämpfend auswirken, zumal die EZB inflationsbedingt noch weitere Zinsstraffungen wohl vornehmen wolle.
Im Kampf gegen die Inflation hat sie im vergangenen Jahr ihre Nullzinspolitik beendet und den Leitzins auf aktuell 3,75 Prozent heraufgesetzt. Die EU-Kommission sieht die Konjunkturaussichten für die Eurozone insgesamt etwas rosiger als im Winter - nicht jedoch für Deutschland. Die Bundesrepublik gehört aus Brüsseler Sicht dieses Jahr zu den Schlusslichtern in Sachen wirtschaftlicher Dynamik, wie aus der Frühjahrsprognose hervorgeht. Nur Estland steht mit minus 0,4 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) schlechter da als Deutschland und Finnland, denen jeweils ein mageres Wachstum von 0,2 Prozent zugetraut wird. Die Bundesregierung erwartet hierzulande einen doppelt so starken Zuwachs von 0,4 Prozent. Brüssel rechnet für die Eurozone nun mit plus 1,1 Prozent nach 0,9 Prozent in der Winterprognose.
Quelle: ntv.de, jwu/rts