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Hype fegt Londoner Tresore leer Warum am Silbermarkt Panik herrscht

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Bei der Silberrally ist Vorsicht geboten: Der Markt ist deutlich kleiner als der Goldmarkt. Schon moderate Abflüsse von Investorengeldern könnten den Preis ins Rutschen bringen.

Bei der Silberrally ist Vorsicht geboten: Der Markt ist deutlich kleiner als der Goldmarkt. Schon moderate Abflüsse von Investorengeldern könnten den Preis ins Rutschen bringen.

(Foto: picture alliance / Zoonar)

Der Silbermarkt ist im Ausnahmezustand. Panikkäufe, Lieferengpässe und nackte Gier sorgen beim "Gold des kleinen Mannes" für einen Höhenflug, der sogar die Goldrally in den Schatten stellt. Erinnerungen an eine fatale Blase vor 45 Jahren werden wach.

In Londoner Handelskreisen geht eine große Sorge um: Gibt es bald kein physisches Silber mehr? Die Tresore im Zentrum des globalen Edelmetallhandels sind leer gefegt . "So etwas habe ich noch nie erlebt. Was wir beim Silber sehen, ist völlig beispiellos", zitiert das Finanzportal Bloomberg Anant Jatia, Chief Investment Officer des Rohstoff-Hedgefonds Greenland Investment Management. "Derzeit ist keine Liquidität verfügbar."

Die Verknappung hat den Spotpreis für eine Feinunze Silber zuletzt auf 53,55 Dollar hochgetrieben - das ist mehr als jemals zuvor - auch mehr als der legendäre Höchststand aus dem Jahr 1980. Damals platzte kurz darauf die von Spekulanten getriebene Blase.

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Silber 44,28

Diesmal ist die Preisexplosion jedoch nicht auf Spekulationen zurückzuführen, sondern auf eine seltene Mischung aus geopolitischer Unsicherheit, industrieller Knappheit und einem aufgrund der geringen Handelsvolumina äußerst engen Markt, in dem schon kleine Störungen Schockwellen auslösen können. Während Gold seit Jahresbeginn um rund 56 Prozent zulegte, verteuerte sich Silber um fast 80 Prozent – damit überholte der Silberpreis sogar den Bitcoin, der im selben Zeitraum um sensationelle 63 Prozent stieg.

Händler sprechen bereits von einer "Silber-Panik": Die physischen Bestände in den Tresoren sind in den vergangenen Jahren um ein Drittel geschrumpft. Angesichts des aktuellen Runs werden heute Barren per Frachtflug über den Atlantik nach London gebracht, um abgeschlossene Kontrakte zu erfüllen – ein teures Unterfangen, das sonst nur Gold vorbehalten ist.

Warum Silber plötzlich glänzt

Die Ursachen für den Boom sind vielfältig. Geopolitische Risiken haben zugenommen und verunsicherte Anleger suchen Alternativen zu Aktien. Auch der Handelsstreit zwischen den USA und China, neue Zölle auf Metalle und die Unsicherheit über die amerikanische Geldpolitik treiben Anleger in physische Werte.

Gold in USD
Gold in USD 4.145,60

Gold ist in solchen Phasen traditionell der "sichere Hafen", doch nach der Rekordjagd über 4000 Dollar pro Unze erscheint ein Investment vielen zu teuer. Wer bei der Edelmetall-Rally dabei sein will, greift zum günstigeren Silber. Der "Fear of Missing Out"-Effekt, die Angst, bei der Rally nicht dabei zu sein, spielt eine wesentliche Rolle.

Im Unterschied zu Gold ist Silber kein reines Anlageobjekt, sondern ein Industriemetall - unersetzlich in Solarmodulen, Elektrofahrzeugen, Halbleitern oder Batterien. Das treibt die Nachfrage zusätzlich. Die hohe elektrische Leitfähigkeit macht es zum Schlüsselrohstoff der Energiewende. Mehr als die Hälfte der weltweiten Silbernachfrage stammt mittlerweile aus der Industrie. Die Produktion hält längst nicht mehr Schritt: Seit 2016 ist die Minenförderung um etwa sieben Prozent gesunken. Für 2025 erwartet der internationale Datenanbieter Silver Institute das fünfte Angebotsdefizit in Folge.

Ein zusätzlicher Treiber kommt aus Asien: In Indien stehen im Oktober mit Dussehra und Diwali gleich zwei Feste an, bei denen traditionell Edelmetalle verschenkt werden. Auch hier entscheiden sich viele Käufer wegen des hohen Goldpreises inzwischen für Silber, wie man an den Importdaten ablesen kann, die sich binnen eines Jahres nahezu verdoppelt haben: Juweliere zahlen wegen der hohen Nachfrage Aufschläge von zehn Prozent auf den Weltmarktpreis.

"Schon kleine Schieflagen können Panik auslösen"

Wie weit trägt diese Rally? Im Londoner Nervenzentrum wird täglich der Referenzpreis für Gold und Silber, die sogenannte Gold-Silber-Ratio, festgelegt, die das Preisverhältnis der beiden Edelmetalle angibt. Dabei wird der Goldpreis durch den Silberpreis geteilt. Ein hohes Ratio (zum Beispiel um 100) deutet auf eine Unterbewertung von Silber im Vergleich zu Gold hin, was oft als Kaufgelegenheit interpretiert wird. Umgekehrt signalisiert ein niedriges Ratio (zum Beispiel um 40) eine Überbewertung von Silber, die als Verkaufssignal interpretiert werden kann. Die aktuelle Gold-Silber-Ratio liegt zwischen 80,2 und 80,45. Das bedeutet, Silber ist nach dieser Lesart immer noch unterbewertet und könnte im Wert weiter steigen.

Das Problem: Leerverkäufer geraten in diesem Markt unter Druck. Da die Lager leer sind, sind die Leasingraten für Silber - also die Kosten, das Metall zu leihen - in den vergangenen Wochen um mehr als 30 Prozent gestiegen. Wer auf fallende Kurse gewettet hat, muss sich nun teuer eindecken. Einige Analysten sprechen bereits von einem Short Squeeze: einer Kettenreaktion, bei der Leerverkäufer mit ihren panischen Käufen den Preis weiter in die Höhe treiben.

Händler müssen Barren aus New York nach London fliegen, um ihre Positionen zu schließen. "Was wir erleben, ist eine Diskrepanz zwischen Papierkontrakten und physischem Metall", sagt Evy Hambro von Blackrock im Bloomberg TV. "Die Liquidität ist so dünn, dass schon kleine Schieflagen Panik auslösen." Lässt der Kaufdruck nach, drohen plötzliche Kursrückgänge.

Dennoch halten viele Experten die Rally nicht für ausgereizt. Paul Williams, Chef des Edelmetallhändlers Solomon Global, spricht von "starken, realen Kräften". "Ein Silberpreis von 100 Dollar bis Ende 2026 ist realistisch", sagt Williams dem Portal Finanznachrichten.de. Auch Analysten der Bank of America und BNP Paribas Fortis sehen Verdopplungspotenzial. "Wir stehen noch näher am Anfang als am Ende dessen, was sich zu einem der größten Edelmetall-Bullenmärkte entwickeln könnte", prognostiziert Philippe Gijsels, Chefstratege bei BNP Paribas Fortis im Gespräch mit Wallstreet Online.

Erinnerung an eine alte Blase

Die Parallelen zur Preisexplosion vor 45 Jahren, der in einem Crash mündete, sind offensichtlich. Die Hunt-Brüder, texanische Ölmilliardäre, hatten in den späten 1970er Jahren versucht, den Silbermarkt zu monopolisieren, indem sie massiv Silber kauften. Ihre Spekulation trieb den Silberpreis in die Höhe, aber die Börse Comex griff ein, indem sie den Handel mit Silber-Terminkontrakten einschränkte. Dies führte zu einem plötzlichen Absturz des Silberpreises. Innerhalb weniger Wochen brach er um zwei Drittel ein, was die Brüder fast 1,5 Milliarden Dollar kostete und zu ihrem Bankrott führte. Damals waren es Spekulanten, heute sind es strukturelle Engpässe. Doch das Muster bleibt dasselbe: Euphorie, Knappheit, Übertreibung.

Der Silbermarkt ist deutlich kleiner als der Goldmarkt - das Handelsvolumen beträgt nur etwa ein Neuntel. Schon moderate Abflüsse von Investorengeldern könnten den Preis demnach ins Rutschen bringen. Analysten von Goldman Sachs warnen, dass bereits ein vorübergehender Rückgang der Investitionsströme eine überproportionale Korrektur auslösen könne.

Einen Vorgeschmack gab es Dienstagnachmittag, als der Silberpreis plötzlich um knapp vier Dollar pro Unze absackte. Die Feinunze gab nicht nur die gesamten Gewinne aus der Nacht ab, sondern auch fast die gesamten Gewinne vom Wochenauftakt. "Das könnte ein Umkipper sein, der eine Konsolidierung einleitet", kommentierte ein Marktteilnehmer.

Quelle: ntv.de, Grafik von Christoph Wolf und Martin Morcinek

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