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Diess darf VW-Chef bleiben Das "System Wolfsburg" lebt

Herbert Diess bleibt VW-Chef.

Herbert Diess bleibt VW-Chef.

(Foto: imago images/Sven Simon)

Der manchen VW-Oberen unbequeme Konzernchef Herbert Diess wurde erst durch subtile Indiskretionen infrage gestellt, darf jetzt aber bleiben. Er muss Verantwortung abgeben - auch an neue Vorstandskollegen. Zum Frühstücksdirektor wird Diess damit aber noch lange nicht.

Oben, in den staubfreien Vorstandsetagen, wird die Luft dünner. In der backsteinernen Konzernzentrale des Volkswagen-Konzerns gilt das erst recht. Wer es versteht, die mächtigen Arbeitnehmervertreter mit dem einen oder anderen Versprechen zu umgarnen, dem wird im Falle des Falles geholfen. Wer es sich mit den Betriebsräten verscherzt, der hat es schwer. Wie VW-Chef Herbert Diess.

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So funktioniert das "System Wolfsburg", ein über Jahrzehnte geölter Machtapparat. Eine Hand wäscht die andere. Viel beschworener Kulturwandel hin oder her. Will der Vorstand im Aufsichtsrat teure Vorhaben - wie etwa Investitionen in ausländische Werke oder neue Geschäftsbereiche - durchboxen, gelingt dies am besten, wenn man im Gegenzug auch ein paar Bonbons für die deutschen Einheiten, allen voran dem Wolfsburger Stammwerk, auf den Tisch legt. Das Zugeständnis diesmal: Wolfsburg darf ab dem Jahr 2024 eine Teilfertigung des Elektroautos ID.3 übernehmen. Das Nutzfahrzeugwerk in Hannover, in dem in wenigen Jahren unter anderem E-Modelle der Konzernmarke Porsche vom Band rollen sollten, darf künftig auch den Elektrobus ID.Buzz produzieren. Der Betriebsrat darf das als Verhandlungserfolg reklamieren.

Diess hat im ersten Anlauf gegen diese Regeln verstoßen. Keck ließ er den Abbau von bis zu 30000 Arbeitsplätzen in Wolfsburg durchspielen. Ohne Bonbons. Die Arbeitnehmervertreter fühlten sich vorgeführt. Das Echo: In immer kürzeren Abständen kursierten Gerüchte, Diess sei an der Konzernspitze nicht mehr länger haltbar. Dass der Bayer bei Treffen mit Führungskräften mitunter sehr energisch und unbequem auftritt - passendes Beiwerk. Ein VW-Chef ohne den Rückhalt der Betriebsräte? Schon der inzwischen verstorbene VW-Patriarch Ferdinand Piech sagte: "Wer das Vertrauen der Arbeitnehmervertreter verliert, der hat es schwer." Vor allem deshalb, weil in entscheidenden Sitzungen des Aufsichtsrats manche Stimmen der Kapitalseite mit den Arbeitnehmern koalieren - die des Landes Niedersachsen, einer der größten VW-Aktionäre. Geht es um den drohenden Verlust von Arbeitsplätzen an den niedersächsischen Standorten, ist mit den Politikern im Aufsichtsrat nicht zu spaßen. Jetzt schon gar nicht. Im kommenden Herbst stehen Landtagswahlen an.

Tesla als Vorbild

Diess hat es trotzdem geschafft, nach einer wochenlangen Pokerpartie darf er Vorstandschef bleiben - wenngleich auch mit weniger Macht in einem 12-köpfigen Vorstandsgremium. Er verantwortet künftig Strategiethemen, eigentlich Usus für einen Konzernchef. Und die neue Software-Sparte CARIAD. Warum diese Verantwortung nicht in die Verantwortung der künftigen IT-Vorständin Hauke Stars fällt, dürfte manchen Beobachter wundern. Fakt ist: Die neue Software ist besonders wichtig, um im Wettbewerb zu bestehen. Deshalb soll sie Chefsache sein.

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Für den Wolfsburger Konzern ist es eine gute Nachricht, dass Diess bleibt. Der Bayer ist kantig, verfolgt aber eine klare Strategie: Er konzentriert sich, wie kaum ein anderer deutscher Autoboss auf Elektromobilität und Digitalisierung. Vor allem, weil sich die Konkurrenz aus dem Ausland anschickt, deutschen Herstellern Marktanteile abzuringen, soll VW unter ihm schnell agiler und wettbewerbsfähiger werden. Vorbild ist Tesla. Der US-Konkurrent verkauft nicht nur Autos, sondern Technologie.

Bleibt zu hoffen, dass die Bewahrer in Wolfsburg Diess' Beharrungsvermögen zu schätzen lernen. Tun sie das nicht und halten an Altem fest, wird Europas größter Autobauer geschwächt und droht im globalen Wettbewerb den Anschluss zu verlieren. Kompromisse mit dem Betriebsrat wären dann kaum mehr möglich. Nicht nur das "System Wolfsburg" wäre dann lädiert, sondern der ganze Konzern.

Quelle: ntv.de

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