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Körper produziert selbst Alkohol Abstinente Frau muss sturzbetrunken in Klinik

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Mit Atem- oder Bluttests lässt sich der Alkoholwert im Körper messen.

Mit Atem- oder Bluttests lässt sich der Alkoholwert im Körper messen.

(Foto: picture alliance / Frank May)

Eine Frau muss immer wieder wegen einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus behandelt werden. Die Mutter zweier Kinder schwört, keinen Alkohol angerührt zu haben. Zunächst glauben ihr die Ärzte kein Wort. Doch dann erkennen sie, woran die Frau tatsächlich leidet.

Sieben Mal innerhalb von zwei Jahren - so oft musste eine Mutter zweier Kinder mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus. Ein trauriger Fall von Alkoholismus? Könnte man denken. Nur rührte die Frau schon seit Jahren keinen Tropfen mehr an. Kann das sein? Das Gleiche haben sich auch die Ärzte gefragt, die die Frau immer wieder untersuchten. Im Fachblatt der Canadian Medical Association haben sie nun ihre Geschichte vorgestellt.

Früher trank die heute 50 Jahre alte Frau aus Kanada an Feiertagen gern mal ein Glas Wein, doch in den vergangenen Jahren hatte sie aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen ganz mit dem Thema Alkohol abgeschlossen. Zumindest dachte sie das. Denn seit zwei Jahren überkam sie immer wieder eine übermäßige Schläfrigkeit. Manchmal schlief sie ein - auf der Arbeit oder wenn sie das Essen für ihre Familie vorbereitete. Sie stürzte, konnte manchmal nicht mehr klar sprechen und roch dabei nach Alkohol. Wenn sie sich dann in der Notaufnahme vorstellte, lautete die Diagnose: Alkoholvergiftung. Wie konnte das sein? Schließlich gab sie jedes Mal an, keinen Alkohol getrunken zu haben. Auch ihre Familie bestätigte ihre Abstinenz.

Eine Computertomografie-Aufnahme (CT) ihres Kopfes, die Ärzte bei einer ihrer Krankenhausaufenthalte angefertigt hatten, zeigte keine Auffälligkeiten. Dreimal haben Psychiater aus der Suchtmedizin sie untersucht. Doch bei einem gängigen Fragebogen zum eigenen Alkoholkonsum erzielte die Frau null Punkte. Danach wäre ein Alkoholmissbrauch unwahrscheinlich - zumindest wenn sie wahrheitsgemäß auf Fragen wie "Haben Sie sich jemals wegen Ihres Trinkens schuldig gefühlt?" geantwortet hatte.

Steckt eine seltene Diagnose hinter den Alkoholwerten?

Bei ihrem siebten Besuch in der Notaufnahme maßen die Ärzte einen Alkoholpegel von umgerechnet etwa 2,8 Promille, was bei einigen Menschen kurz vor Bewusstlosigkeit rangiert. Sollte diese Frau wirklich keinen Alkohol getrunken haben, konnte es für diesen Wert nur eine Erklärung geben. Und so stellte der Notarzt schließlich die Verdachtsdiagnose: Eigenbrauer-Syndrom.

Bei dieser seltenen Krankheit kommt es zu einer Fehlbesiedlung des Verdauungstraktes mit bestimmten alkoholproduzierenden Hefepilzen oder Bakterien. Ist das Mikrobiom durch ein schwaches Immunsystem oder nach der Einnahme von Antibiotika geschwächt, können sich die Mikroben übermäßig stark vermehren und im Körper zu einer Art Brauerei werden. Durch ihre starken Gärungsprozesse produzieren sie vor allem bei der Verarbeitung von Kohlenhydraten mitunter so viel Alkohol, dass Betroffene zu lallen oder zu torkeln beginnen.

Mögliche Ursache: Antibiotika

Der Arzt verordnete der Frau Medikamente gegen eine Pilzinfektion und überwies sie in die Gastroenterologie, in der man ihr zusätzlich eine kohlenhydratarme Diät empfahl. Tatsächlich verschwanden ihre Symptome bald darauf. Als sie nach einigen Wochen jedoch wieder mehr Kohlenhydrate zu sich nahm, kam es erneut zu den alten Beschwerden und zu einem weiteren Sturz. Wieder verordnete man ihr Pilzmittel, wieder wurde ihre Ernährung auf eine kohlenhydratarme Diät umgestellt und wieder verschwanden die Beschwerden. Nach einigen Wochen bekam die Frau zusätzlich spezielle Probiotika, um ihre Darmflora wieder ins Gleichgewicht zu bekommen.

Dieses Mal hielt der Erfolg an. Nach sechs Monaten verabreichte man ihr testweise eine Art Glukosesirup, um zu kontrollieren, wie ihr Körper darauf reagierte. Auch Stunden später war ihr Blutalkohol kaum messbar gestiegen. Warum die Frau das Syndrom entwickelt hat, lässt sich rückblickend nicht eindeutig sagen. Ihre Ärzte vermuten jedoch, dass eine wiederholte Einnahme von Antibiotika gegen Harnwegsinfektionen zu der Fehlbesiedlung des Darms geführt haben könnten. Möglicherweise spielten auch genetische Faktoren eine Rolle, so die Autoren des Fallberichts.

Patient gewinnt vor Gericht

Bei einer systematischen Überprüfung im Jahr 2020 wurden gerade einmal 20 Patienten identifiziert, über die seit 1974 in der englischsprachigen medizinischen Literatur berichtet wurde. Zum ersten Mal beschrieben wurde das Krankheitsbild 1952 in Japan unter dem Begriff Meitei-sho, was so viel wie "Alkohol-Autointoxikationssyndrom " bedeutet.

Der letzte öffentlich gewordene Fall dagegen liegt nicht lange zurück: Ein 40-Jähriger aus dem belgischen Brügge wurde immer wieder mit einem erhöhten Alkoholspiegel aus dem Verkehr gezogen. Nachdem die Polizei im April 2022 erneut zu hohe Promillewerte bei ihm festgestellt hatte, wurde er angeklagt. Der Mann wehrte sich. Seine Erkrankung habe zu den erhöhten Alkoholspiegeln geführt, ohne dass er etwas dafür konnte. Vor wenigen Wochen gab das Gericht ihm recht.

Dieser Text erschien zuerst bei stern.de.

Quelle: ntv.de

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