Doppel-Booster gegen Sommerwelle Wer braucht jetzt die vierte Impfung?
14.07.2022, 10:31 Uhr (aktualisiert)
Schon bald könnten alle Menschen über 60 Jahren zur erneuten Auffrischimpfung geladen werden.
(Foto: picture alliance / ROBIN UTRECHT)
Die Infektionszahlen steigen in Deutschland weiter. Gleichzeitig lässt der Impfschutz bei vielen nach. Das ist vor allem für ältere und geschwächte Menschen gefährlich. Daher rät die EMA nun allen über 60-Jährigen zum zweiten Booster. Doch was ist mit dem Rest?
"Das Virus ist clever, es verändert sich, und der Impfschutz lässt nach": Trotz der sommerlichen Temperaturen steigen die Infektionszahlen in Deutschland weiter, warnte der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery zuletzt in den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Führende EU-Behörden empfehlen angesichts der neuen Corona-Welle in Europa allen Menschen ab 60 Jahren eine weitere Auffrischimpfung. Diese könnte mindestens vier Monate nach der vorherigen Impfung verabreicht werden, teilten die EU-Gesundheitsbehörde ECDC und die EU-Arzneimittelbehörde EMA am Montag mit. Auch Vorerkrankte sollten einen zweiten Booster bekommen.
Bislang empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) eine weitere Auffrischimpfung allen über 70-Jährigen, Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebereich sowie immungeschwächten Menschen. Nun sollen auch alle Impfwilligen über 60 Jahren zur vierten Spritze geladen werden. Laut STIKO-Chef Thomas Mertens habe man sich bereits "vor der EMA/ECDC Verlautbarung" im Entscheidungsprozess zu einer möglichen Erweiterung der bestehenden Empfehlung für den zweiten Booster befunden. Das Experten-Gremium werde sich "relativ bald" dazu äußern, erklärte Mertens der dpa.
Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nannte die EU-Empfehlung "sinnvoll und überfällig". "Es gibt genug Impfstoff und die Fallzahlen sind hoch", hob er auf Twitter hervor. "Warten auf angepasste Impfstoffe dauert zu lange und ist zu riskant."
"Geringfügiger Nutzen" für Jüngere
Dass der Doppel-Booster für die betroffenen Gruppen sinnvoll ist, legt eine Studie aus Israel nahe. Demnach seien zweifach Geboosterte Über-60-Jährige dreimal besser vor schweren Krankheitsverläufen geschützt als Menschen in derselben Altersklasse, deren dritte Impfung mehr als vier Monate zurücklag. Außerdem sei der Schutz vor einer Infektion zweimal höher als bei den dreifach Geimpften.
Gleichzeitig zeigen die israelischen Daten aber auch: Für junge und gesunde Erwachsene bringt eine vierte Dosis eines mRNA-Impfstoffs nur "geringfügigen Nutzen". Sie erhöhte bei den jüngeren Studienteilnehmern zwar die Anzahl der neutralisierenden Antikörper, die ein Eindringen des Coronavirus in die Zellen verhindern. Die Werte nach der vierten Dosis waren dabei aber mit den Werten kurz nach der dritten Dosis vergleichbar.
Zusätzlichen Schutz vor einer Ansteckung mit der Omikron-Variante des Coronavirus bot die vierte Dosis der Studie zufolge kaum. Probanden, die eine vierte Biontech-Impfung erhielten, hatten ein um 30 Prozent geringeres Infektionsrisiko als Geimpfte mit drei Dosen. Probanden mit einer Viertimpfung von Moderna hatten lediglich ein um 18 Prozent geringeres Infektionsrisiko.
Drei Impfungen besser als vier?
Dennoch rät Lauterbach allen, die "einen ruhigeren und beschwerdefreieren Sommer haben wollen", eine vierte Impfung in Erwägung zu ziehen. "Diejenigen, die den Sommer für sich selbst absichern wollen - da ist eine vierte Impfung auf jeden Fall eine gute Investition, weil sie wird für einige Monate das Risiko, sich zu infizieren, reduzieren und vor schweren Verläufen schützen", sagte der Gesundheitsminister dem ZDF. Alle Bürgerinnen und Bürger können sich über den individuellen Nutzen mit dem Hausarzt oder der Hausärztin beraten und eine individuelle Entscheidung zur zweiten Auffrischungsimpfung treffen. Der Hausarzt kann dann die vierte Impfung durchführen.
Einige Experten sehen den Aufruf Lauterbachs hingegen kritisch. Bei den Jüngeren bringe die vierte Impfung weder einen Vorteil für ihre eigene Immunität und ihren Schutz, der liege schon nach drei Impfungen bei 94 Prozent, noch bringe es einen Schutz vor Infektionen und Infektiosität, sagte Immunologe Andreas Radbruch im RBB. Man werde sich genauso häufig anstecken wie bei drei Impfungen. Das Immunsystem passe sich außerdem nach mehreren Impfungen an diese Impfstoffe an und reagiere dann gar nicht mehr. Man verliere ein bisschen die Fähigkeit, auf die nächste Welle zu reagieren. Das Immunsystem werde satt und träge. Deswegen seien aus immunologischer Sicht drei Impfungen besser als vier, so Radbruch, der vom Bundestag auch als Sachverständiger zur Corona-Impfung bestellt worden war.
Hinzu kommt: Wer dreifach geimpft und nicht besonders alt ist und an keiner Immunschwäche leidet, ist in der Regel sehr gut vor Covid-19 geschützt. Auch bei den neuen Omikron-Linien BA.5 und BA.4 bleibt das glücklicherweise so. Die Dreifachimpfung habe aufgrund ihrer "hohen Schutzwirkung vor einem schweren Verlauf" auch bei Erkrankungen durch die Omikron-Variante nicht an Bedeutung verloren, heißt es im Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI).
Nicht nur das Alter ist entscheidend
Fest steht aber auch, dass sich Ältere und immungeschwächte Menschen angesichts der aktuellen Corona-Welle erneut boostern lassen sollten. Angenommen wird das Angebot der vierten Dosis unter Älteren bislang jedoch sehr zögerlich: Bislang haben sich nur rund 21 Prozent der über 60-Jährigen hierzulande für die zweite Auffrischdosis entschieden. Anlaufstelle für Erst-, Zweit-, Dritt- und Viertimpfungen kann der Hausarzt oder die Hausärztin sein. Auch mobile Impfteams, Betriebsärztinnen und Betriebsärzte, Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes, Krankenhäuser, Impfzentren und Apotheken können gegen Covid-19 impfen.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz rät älteren Menschen, vor weiteren Impfungen mit ihrem Arzt zu sprechen. "Denn hier ist nicht nur das Alter entscheidend. Vielmehr müssen Vorerkrankungen, individuelle Risiken und der Immunstatus in den Blick genommen werden", erklärte Vorstand Eugen Brysch. Er gibt zudem zu bedenken, dass niemand wisse, welche Virusvarianten im Herbst vorherrschend sein werden. Deshalb seien angepasste Impfstoffe von großer Bedeutung.
(Dieser Artikel wurde am Dienstag, 12. Juli 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de