
Eine Empfehlung für die zweite Auffrischimpfung für alle gibt es bislang nicht.
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Die Infektionszahlen steigen in Deutschland wieder. Gleichzeitig lässt der Impfschutz bei vielen nach. Das ist vor allem für ältere und geschwächte Menschen gefährlich. Sie sollen eine vierte Spritze bekommen. Doch wie sieht es beim Rest der Bevölkerung aus?
Eine neue Corona-Welle rollt auf Deutschland zu. "Ich gehe davon aus, dass wir dieses Mal eine echte Sommerwelle bekommen werden", erklärt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ntv. Nach einem kurzen Abwärtstrend steigt die Infektionskurve wieder - und das viel früher als erwartet. Hoffnungen auf den traditionellen Sommereffekt verpuffen. Grund sei unter anderem, dass die aktuell zirkulierende Virusvariante sehr leicht übertragbar sei und sich im Sommer gut ausbreiten könne, sagt Lauterbach. Somit steigt für alle Altersgruppen wieder das Risiko, sich anzustecken. Gleichzeitig gibt es kaum noch Schutzmaßnahmen. Sollte man sich vorsorglich um eine zweite Corona-Auffrischimpfung bemühen? Statt abzuwarten, bis im Herbst wahrscheinlich ein besser an Omikron angepasster Impfstoff zugelassen wird?
Die letzte Booster-Dosis liegt bei vielen Menschen inzwischen Monate zurück. Zahlreiche Studien zeigen, dass für den Schutz vor Ansteckung relevante Antikörper im Blut nach drei Monaten wieder abnehmen. Und dann ist da noch die neue Variante BA.5, die sich deutschlandweit verbreitet und den Immunschutz noch mehr umgeht als bisherige Omikron-Linien. Ob eine vierte Impfung sinnvoll ist, hängt laut der Ständigen Impfkommission (STIKO) in erster Linie vom Alter und Gesundheitszustand ab. Seit Anfang Februar empfiehlt das Fachgremium eine zweite Auffrischdosis folgenden Personengruppen:
- Menschen ab einem Alter von 70 Jahren
- Bewohner und Betreute in Pflegeeinrichtungen und Personen mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf in Einrichtungen der Eingliederungshilfe
- Menschen mit einer Immundefizienz ab 5 Jahren
- Mitarbeitende über 16 Jahre in medizinischen Einrichtungen und Pflegeeinrichtungen, insbesondere solche mit direktem Patienten- beziehungsweise Bewohnerkontakt
Bei gesundheitlich gefährdeten Menschen soll der zweite Booster frühestens drei Monate nach der ersten Auffrischimpfung erfolgen, das Personal in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen solle den zweiten Booster frühestens nach sechs Monaten erhalten. Für Menschen, die nach der ersten Auffrischimpfung eine Corona-Infektion durchgemacht haben, empfiehlt die STIKO keine zweite Auffrischungsimpfung.
Kaum Nutzen für Jüngere
Die STIKO begründete ihre Empfehlung damit, dass "aktuelle Daten zeigen, dass der Schutz nach der ersten Auffrischimpfung gegen Infektionen mit der momentan zirkulierenden Omikron-Variante innerhalb weniger Monate abnimmt". Dies sei "insbesondere für Menschen ab 70 Jahren und für Personen mit Immunschwäche bedeutsam, da diese das höchste Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf nach einer Infektion haben".
Die Impfungen sollen zuallererst dabei helfen, das Schlimmste zu vermeiden, nicht unbedingt aber alle Ansteckungen. Über 70-Jährige und Menschen mit Immunschwäche haben zwar nach drei Corona-Impfungen ein geringeres Risiko als ganz ohne Impfung, schwer zu erkranken. Es ist aber in vielen Fällen immer noch relativ hoch, vor allem, wenn die letzte Impfung schon Monate zurückliegt.
Angesichts auf uns zurollenden Sommerwelle gibt es erneut Überlegungen, den zweiten Booster für alle einzuführen. Doch Daten aus Israel zeigen: Für junge und gesunde Erwachsene bringt eine vierte Dosis eines mRNA-Impfstoffs nur "geringfügigen Nutzen". Die Studie, die im Fachmagazin "New England Journal of Medicine" veröffentlicht wurde, untersuchte 274 Beschäftigte des Sheba Medical Center in Tel Aviv, die vier Monate nach der ersten Booster-Impfung mit Biontech/Pfizer oder Moderna noch eine zweite Auffrischimpfung erhalten hatten. Jeder Proband wurde mit zwei Teilnehmern einer Kontrollgruppe verglichen, die nur drei Impfdosen erhalten hatten.
Das Ergebnis: Die vierte Dosis erhöhte bei den Studienteilnehmern zwar die Anzahl der neutralisierenden Antikörper, die ein Eindringen des Coronavirus in die Zellen verhindern. Die Werte nach der vierten Dosis waren dabei aber mit den Werten kurz nach der dritten Dosis vergleichbar.
Zusätzlichen Schutz vor einer Ansteckung mit der Omikron-Variante des Coronavirus bot die vierte Dosis der Studie zufolge aber kaum. Probanden, die eine vierte Biontech-Impfung erhielten, hatten ein um 30 Prozent geringeres Infektionsrisiko als Geimpfte mit drei Dosen. Probanden mit einer Viertimpfung von Moderna hatten lediglich ein um 18 Prozent geringeres Infektionsrisiko.
Bester Schutz durch Schleimhautimmunität
Eine langanhaltende Immunität kann man Charité-Virologe Christian Drosten zufolge aber auch abseits von angepassten Impfstoffen oder Viert- und Fünftimpfungen erreichen. "Die ideale Immunisierung ist, dass man eine vollständige Impfimmunisierung hat mit drei Dosen und auf dem Boden dieser Immunisierung sich dann erstmalig und auch zweit- und drittmalig mit dem Virus infiziert und dass man dadurch eine Schleimhautimmunität entwickelt, ohne schwere Verläufe in Kauf nehmen zu müssen", sagte Drosten im NDR-Podcast. Wer das durchgemacht hat, sei wahrscheinlich über Jahre immun und werde sich nicht wieder reinfizieren. Dabei bestimme die Intensität der Infektion mit, wie anhaltend der Immunschutz sei.
In den Schleimhäuten existiert ein eigenes Immunsystem mit einer speziellen Form von Antikörpern, erklärte Molekularbiologe Emanuel Wyler der "Zeit". Die mRNA-Vakzine können die Produktion solcher Antikörper vorübergehend anregen - irgendwann seien sie aber abgebaut. Mit der Zeit, so Wyler, reiche die Antikörpermenge in den Schleimhäuten nicht mehr aus, um das Coronavirus abzuwehren. Man infiziert sich. Die sogenannten T-Zellen verhindern dann in den allermeisten Fällen eine schwere Erkrankung.
Eine natürliche Infektion auf Basis einer vollständigen Impfung regt die Schleimhautimmunität Drosten zufolge deutlich besser an. Die Omikron-Variante und ihre schnelle Ausbreitung können dabei wie eine Art natürlicher Booster wirken.
Warten auf angepassten Impfstoff?
Hinzu kommt: Wer dreifach geimpft und nicht besonders alt ist und an keiner Immunschwäche leidet, ist in der Regel sehr gut vor Covid-19 geschützt. Auch bei den neuen Omikron-Linien BA.5 und BA.4 bleibt das glücklicherweise so. Die Dreifachimpfung habe aufgrund ihrer "hohen Schutzwirkung vor einem schweren Verlauf" auch bei Erkrankungen durch die Omikron-Variante nicht an Bedeutung verloren, heißt es im Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI).
Momentan empfiehlt die STIKO keine zweite Auffrischimpfung für alle. Das kann sich aber je nach Infektionslage ändern. Auch wenn die Impfstoffhersteller ein potenteres Vakzin auf den Markt bringen, könnten wieder alle zu einer weiteren Spritze geladen werden. Moderna meldete bereits erste Erfolge bei dem auf Omikron angepassten Impfstoff und auch Biontech arbeitet derzeit an einem entsprechenden Vakzin. Die Hoffnung: Kurzfristig könnten dadurch womöglich auch, wie bereits in anderen Impfkampagnen geschehen, Ansteckungen in der Bevölkerung verringert und damit eine Infektionswelle in der Gesamtbevölkerung abgeflacht werden.
Jedoch rechnet Lauterbach frühestens im September mit den angepassten Impfstoffen. Bis dahin ist es Experten zufolge sehr wahrscheinlich, dass BA.5 das Infektionsgeschehen in Deutschland dominiert. Ob die Vakzine auch gegen diesen Omikron-Subtypen einen besseren Schutz mit sich bringen, ist bislang unklar. Und selbst wenn, würde der Effekt der Impfungen, Infektionen zu stoppen, mit hoher Wahrscheinlichkeit wie bei bisherigen Impfungen auch innerhalb weniger Wochen bis Monate wieder abnehmen. Nur kurzfristig kann die Impfung bislang den Eintritt des Virus in die Atemwegsschleimhäute verhindern.
Fest steht aber: Ältere und immungeschwächte Menschen sollten sich angesichts der neuen Corona-Welle erneut boostern lassen. Angenommen wird das Angebot der vierten Dosis unter Älteren bislang jedoch sehr zögerlich: Nur rund 19 Prozent der über 60-Jährigen haben sich hierzulande bis Mitte Juni für die zweite Auffrischdosis entschieden. Anlaufstelle für Erst-, Zweit-, Dritt- und Viertimpfungen kann der Hausarzt oder die Hausärztin sein. Auch mobile Impfteams, Betriebsärztinnen und Betriebsärzte, Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes, Krankenhäuser, Impfzentren und Apotheken können gegen Covid-19 impfen.
(Dieser Artikel wurde am Mittwoch, 15. Juni 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de