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Auch leichte Reaktionen gemeldet Nicht mehr schwere Nebenwirkungen nach Corona-Impfung

In Deutschland wurden bislang mehr als 180 Millionen Impfdosen gegen Corona verabreicht - dem Paul-Ehrlich-Institut wurden bis Ende 2021 "in 29.786 Verdachtsfällen schwerwiegende unerwünschte Reaktionen gemeldet".

In Deutschland wurden bislang mehr als 180 Millionen Impfdosen gegen Corona verabreicht - dem Paul-Ehrlich-Institut wurden bis Ende 2021 "in 29.786 Verdachtsfällen schwerwiegende unerwünschte Reaktionen gemeldet".

(Foto: picture alliance / ROBIN UTRECHT)

Im Zusammenhang mit der Corona-Impfung verunsichern Berichte über Nebenwirkungen viele Menschen. Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sollen angeblich viel mehr dieser Nebenwirkungen zeigen als bisher erfasst. Der Faktencheck zeigt: Die Daten werden falsch interpretiert.

Was ist erwartbare Impfreaktion, was schwerwiegende Nebenwirkung? In dieser Frage verheddern sich in der Debatte über Corona-Impfstoffe immer wieder einige Akteure. Nebenwirkungen träten viel häufiger auf als bislang bekannt, wird mitunter behauptet. In einem aktuellen Antrag schreibt etwa die AfD-Bundestagsfraktion mit Verweis auf neue Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) von rund 2,5 Millionen Patienten mit Impfnebenwirkungen, die 2021 von ihren Vertragsärzten behandelt worden seien. Doch die KBV ordnet die Zahlen ein - die Daten unterscheiden demnach beispielsweise nicht zwischen üblichen Impfreaktionen und meldepflichtigen Nebenwirkungen.

Behauptung: Zahlen der KBV zeigen, dass die Nebenwirkungen der Corona-Impfung viel höher liegen als gedacht. Fast 2,5 Millionen Patienten mussten deswegen 2021 in ärztliche Behandlung.

Bewertung: Irreführend.

Demonstration im März 2022 in Tübingen gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht.

Demonstration im März 2022 in Tübingen gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht.

(Foto: picture alliance / Pressebildagentur ULMER)

Fakten: Die Wirksamkeit der Covid-Impfstoffe ist wissenschaftlich erwiesen. Ebenso ist bekannt: Häufig gibt es vorübergehende Reaktionen wie den "Impfarm" oder Kopfschmerzen, äußerst selten hingegen schwerer wiegende Nebenwirkungen. Die neuesten Daten zu Impfnebenwirkungen hatte die Kassenärztliche Bundesvereinigung auf Anfrage der AfD-Fraktion im Bundestag zusammengestellt. Das bestätigte die KBV der dpa. In der Analyse ist die Rede von knapp 2,5 Millionen Patienten, die 2021 nach einer Impfung bei Kassenärzten vorstellig wurden. Zu deren Symptomen gehörten sowohl "übliche und damit nicht meldepflichtige Impfreaktionen als auch meldepflichtige Impfnebenwirkungen", wie die KBV schreibt.

Einen aus diesen Daten erstellten AfD-Bundestagsantrag, in dem zur Aufklärung von Impfnebenwirkungen aufgerufen wird, überwies das Plenum am Mittwoch an den Gesundheitsausschuss. Darin heißt es, Ausmaß und Risiko von Impfnebenwirkungen seien in der Vergangenheit "marginalisiert und bagatellisiert" worden. Der gesundheitspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Martin Sichert, nannte die KBV-Zahlen bereits Ende Juni "beängstigend".

Kassenärzte reagieren mit Empörung

Darauf reagierte der Dachverband der 17 Kassenärztlichen Vereinigungen in Deutschland empört: Der Vorstand "distanziert sich aufs Schärfste von den Aussagen und Interpretationen" Sicherts, teilte die KBV mit. Die Zahl von rund 2,5 Millionen Patienten mit Impfnebenwirkungen sei "keineswegs unerwartet und dramatisch". Unter Impfnebenwirkungen versteht die KBV nämlich auch typische harmlose Impfreaktionen, die ein bis drei Tage anhalten: etwa Hautausschlag, Rötungen und Schmerzen an der Einstichstelle, Fieber oder Müdigkeit. "Sie bilden den mit Abstand größten Anteil der registrierten Unverträglichkeiten und Komplikationen." Mitnichten wurden also nur schwere Nebenwirkungen gemeldet.

Die KBV wertete Abrechnungsdaten anhand von vier Diagnose-Schlüsseln aus, von denen nur einer spezifisch auf Corona-Impfungen angewandt wird. Die anderen drei können genauso bei Impfreaktionen nach einer Tetanus- oder Hepatitis-Spritze vergeben werden. Ärzte und Ärztinnen müssen diese sogenannten ICD-Codes auf ihren Abrechnungen angeben. Wer sich zum Beispiel nach einer Impfung zu schlapp fühlt, um arbeiten zu gehen, konsultiert den Arzt für eine Krankschreibung. Dazu müssen die Patienten aber nicht unbedingt behandelt werden, wie die KBV mitteilt. Ein ICD-Schlüssel wird aber dennoch vergeben.

Übliche Impfreaktion oder schwere Nebenwirkung?

Solch ein Code kann also je nachdem eine übliche und ungefährliche Impfreaktion beschreiben oder eine über das übliche Maß hinausgehende Nebenwirkung, die zusätzlich dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) angezeigt werden muss. Das PEI bewertet Nutzen und Risiko von Impfstoffen. Dem Institut wurden bis Ende 2021 insgesamt 244.576 Verdachtsfälle einer Nebenwirkung nach einer Corona-Impfung gemeldet. "In 29.786 Verdachtsfällen wurden schwerwiegende unerwünschte Reaktionen gemeldet", so das PEI.

"Der Unterschied zwischen den von Ärztinnen und Ärzten dokumentierten im Vergleich zu den dem PEI gemeldeten Impfreaktionen ist daher nachvollziehbar und war zu erwarten", heißt es von der KBV. Die Zahl der gesamten Corona-Impfungen in Deutschland lag 2021 laut Robert-Koch-Institut bei rund 150 Millionen. Die knapp 2,5 Millionen von der KBV dokumentierten Patienten mit Nebenwirkungen müssen zudem nicht ausschließlich wegen Symptomen nach einer Impfung in die Praxen gekommen sein: "Patientinnen und Patienten werden auch wegen anderer Beschwerden wie z. B. einer chronischen Grunderkrankung zum Arzt gegangen sein und dabei die Impfnebenwirkung erwähnt haben, was der Arzt wiederum dann codiert hat", so die KBV.

Vergleich hinkt

Ebenso hinkt der Vergleich der Zahl gemeldeter Nebenwirkungen der Covid-Impfung bei der KBV mit der von früheren Impfungen, worauf auch die KBV hinweist: Expertinnen und Experten haben immer wieder betont, dass die hohe öffentliche Aufmerksamkeit während der Pandemie auch zu mehr Meldungen möglicher Impfreaktionen und -nebenwirkungen führt. In der Vergangenheit gab es mehrfach Versuche, eine angeblich unerkannte hohe Anzahl von Corona-Impfnebenwirkungen nachzuweisen. Bisher gibt es dafür aber keinen Beleg.

Vermeintliche Analysen wiesen arge Mängel auf: Die Studie eines Stiftungsprofessors der Berliner Charité stellte sich als offene Internet-Umfrage heraus, deren Datenbasis selbst die Charité nicht für geeignet hielt. Eine Auswertung der Krankenkasse BKK Provita unterschied nicht zwischen vorübergehenden Impfreaktionen und anhaltenden Nebenwirkungen.

(Dieser Artikel wurde am Freitag, 08. Juli 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de, Veronika Völlinger, dpa

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