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Lauterbachs "Fehler" Warum Freiwilligkeit bei Isolation gefährlich ist

Wenn die Isolationspflicht offiziell wegfallen würde, könnte das bei vielen Menschen eine falsche Signalwirkung haben: Nämlich, dass man mit einer Infektion weiter am öffentlichen Leben teilnehmen könne.

Wenn die Isolationspflicht offiziell wegfallen würde, könnte das bei vielen Menschen eine falsche Signalwirkung haben: Nämlich, dass man mit einer Infektion weiter am öffentlichen Leben teilnehmen könne.

(Foto: picture alliance/dpa)

In Großbritannien sollen sich Corona-Infizierte seit Februar so verhalten, als ob sie erkältet wären. Kurzzeitig sieht es so aus, dass auch Deutschland die Isolationspflicht fallen lässt - mit ungeahnten Konsequenzen. ntv.de erklärt, warum das keine gute Idee ist.

Welche Schritte in der Pandemie angebracht und sinnvoll sind, darüber herrscht in der Politik auch nach mehr als zwei Jahren Coronavirus offenbar immer noch Verwirrung. Sicherlich lassen sich mit der milderen Omikron-Variante und der inzwischen recht hohen Impfquote viele der weitreichenden Lockerungen gut begründen. Doch mit seiner neusten Ankündigung ist Karl Lauterbach weit über das Ziel hinausgeschossen. So weit, dass der Bundesgesundheitsminister keine 48 Stunden später selbst zurückrudert und von einem "Fehler" spricht. Es geht um Infizierte. Konkreter: um die Isolationspflicht, die Bund und Länder ab 1. Mai abschaffen wollten.

Demnach hätten sich Corona-Infizierte und Kontaktpersonen in der Regel nur noch freiwillig und für kürzere Zeit in Isolation oder Quarantäne begeben müssen. Eine Anordnung des Gesundheitsamts wäre weggefallen. "Das Signal ist falsch und schädlich", räumt Lauterbach heute auf Twitter ein. Der Plan ist somit auf Eis gelegt, nicht zuletzt wegen der harschen Kritik.

Doch auch wenn ein Ende der Isolationspflicht auf breiter Ebene für Empörung sorgt - abwegig ist das Vorhaben nicht. Auch Deutschlands Nachbarn diskutieren derzeit über solche Strategien. Zwei europäische Länder haben sie sogar schon umgesetzt. So hob der britische Premierminister Boris Johnson als Teil seines Plans für ein "Leben mit Covid" vor mehr als einem Monat die letzten staatlichen Corona-Regeln in England auf. Dazu gehörte vor allem, dass sich seit dem 24. Februar Menschen nach einem positiven Corona-Test nicht mehr isolieren müssen. Die Regierung setzt darauf, dass sich Infizierte in Selbstverantwortung wie Menschen mit einer Erkältung verhalten, begründete Johnson die Entscheidung. "Lassen Sie uns lernen, mit diesem Virus zu leben und uns und andere weiterhin schützen, ohne dass wir unsere Freiheiten einschränken."

Dem Beispiel Großbritanniens folgte vor rund einer Woche auch Spanien. Die Regierung schaffte die Isolation von Infizierten ab, die keine oder nur leichte Symptome haben. Ihnen wird nur geraten, Masken zu tragen, ihre Kontakte zu verringern und besonders auf Angehörige von Risikogruppen Rücksicht zu nehmen. Infizierte dürfen somit arbeiten, einkaufen und an den Strand gehen. Wer sich gesund genug fühlt, darf seinen Arbeitsplatz aufsuchen, auch wenn Homeoffice empfohlen wird.

Auch symptomlos Infizierte sind ansteckend

Wissenschaftlern und Experten bereitet das Kopfschmerzen. "Ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist", sagte der Mediziner Azeem Majeed vom Imperial College London der Deutschen Presse-Agentur. "Aber wenn die Leute weiterhin vernünftig sind und sich weiter isolieren, wenn sie Symptome haben, werden die Auswirkungen erstmal überschaubar sein." Größere Sorgen macht sich der Experte für öffentliche Gesundheit mit Blick auf den nächsten Herbst und Winter, wenn nicht nur Viren Hochsaison haben, sondern auch die Immunität vieler Menschen durch Impfungen oder vorherige Infektionen abnimmt und dann Infizierte "frei zirkulieren".

Aber reicht es nicht, nur Corona-Erkrankte mit Symptomen zu isolieren? Nein, sagt Virologin Sandra Ciesek. Dass Infizierte mit einem asymptomatischen Verlauf nicht ansteckend sind, sei ein Gerücht, sagt die Direktorin der medizinischen Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt am Main der "Zeit". "Das ist so nicht richtig." Dabei stützt sie sich auf eine kürzlich im Fachmagazin "Nature Medicine" veröffentlichte Studie aus Großbritannien. Forschende infizierten 36 junge gesunde Freiwillige mit Sars-CoV-2. Zwar wurde für die Studie nicht Omikron, sondern der Wildtyp des Virus verwendet, dennoch liefert sie laut Ciesek wichtige Erkenntnisse.

Von denen, die sich infizierten, entwickelten die meisten auch Symptome, zwei Probanden blieben jedoch asymptomatisch. Die Forschenden konnten keinen Zusammenhang zwischen den Viruslasten und der Schwere der Symptome feststellen. Auch die Studienteilnehmer, die keine Symptome angaben, hatten hohe Viruslasten und waren somit potenziell ansteckend. "Hohe Viruslasten sehen wir auch häufig bei Omikron-Infizierten mit nur milden Symptomen", sagt Ciesek. Da helfe nur häufiges Testen. Als Faustregel gilt: Solange der Test positiv ausfällt, ist man wahrscheinlich auch noch ansteckend.

"Corona ist keine Erkältung"

Wenn die Isolationspflicht offiziell wegfallen würde, könnte das bei vielen Menschen eine falsche Signalwirkung haben: Nämlich, dass man mit einer Infektion weiter am öffentlichen Leben teilnehmen könne. Schließlich gehe es einem gut - warum dann das Konzert, den Geburtstag der Freundin oder das wichtige Geschäftsessen ausfallen lassen? "Ich hatte mir eigentlich erhofft, dass wir durch die Corona-Pandemie gelernt hätten, dass es nicht okay ist, wenn man mit einer ansteckenden Erkrankung weiter zur Arbeit kommt", sagt Watzl dem "Focus". So eine falsche Verhaltensweise würde dann wieder unterstützt.

Zudem bestünde die Gefahr, dass sich das Virus wieder rasch ausbreitet. Eine Gruppe von britischen Wissenschaftlern, die auch für das Beratungsgremium Sage arbeitet, warnte kürzlich, das Ende der Isolationspflicht könne zu "einer Rückkehr zu einem rapiden epidemischen Wachstum" führen. Den Modellierern zufolge könnten dadurch Infektionen um 25 bis 80 Prozent zunehmen. Laut den an der Universität Warwick berechneten Modellierungen tragen Maßnahmen wie Isolation, Testen und Maskentragen sowie verstärktes Arbeiten von zu Hause dazu bei, das Ansteckungsrisiko um 20 bis 45 Prozent zu reduzieren.

"Corona ist keine Erkältung", twittert Lauterbach. "Daher muss es weiter eine Isolation nach Infektion geben. Angeordnet und kontrolliert durch die Gesundheitsämter." Das Ende der Pflicht ist somit vom Tisch - zumindest vorerst. Denn früher oder später wird die Freiwilligkeit wie schon bei den Masken auch hier kommen. Doch noch ist es eindeutig zu früh dafür. Zwar sinkt die Sieben-Tage-Inzidenz allmählich, mit aktuell 1322 ist sie aber weiterhin auf hohem Niveau. Täglich sterben immer noch rund 300 Menschen im Zusammenhang mit dem Coronavirus. Überwunden ist die Pandemie noch lange nicht.

Schnellschüsse wie von Lauterbach verunsichern in diesen Zeiten, die eh schon von Widersprüchen geprägt sind: Auf der einen Seite wird gelockert. Und auf der anderen Seite wird an die Menschen appelliert, sich trotzdem freiwillig vor einer Covid-Erkrankung und den möglichen Folgen zu schützen. Eigenverantwortung klingt zwar erstrebenswert, aber angesichts der nach wie vor hohen Infektionszahlen und den eh schon laxen Regeln ist es vor allem für gefährdete Menschen jetzt schon schwer, den Kontakt mit dem Virus zu meiden. Und die gilt es weiterhin zu schützen.

Quelle: ntv.de

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