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Ausgangspunkt Wuhan Neue Studien stützen Zoonose-Theorie für Coronavirus

Der Huanan-Markt wurde später geschlossen und komplett desinfiziert.

Der Huanan-Markt wurde später geschlossen und komplett desinfiziert.

(Foto: REUTERS)

Es gibt zwei Annahmen darüber, woher das Coronavirus stammt - aus einem Labor oder von einem Tier, das es an den Menschen weitergab, kurz unterschieden nach Laborthese und Zoonosen-Theorie. Nun erscheinen gleich zwei neue Studien, die sich in dem Streit eindeutig auf eine Seite schlagen.

Die erbitterte Laborunfall-oder-Zoonose-Debatte um das erste Auftreten des Coronavirus geht in eine weitere Runde. Zwei am Dienstag im Wissenschaftsmagazin "Science" veröffentlichte Studien kommen zu dem Schluss, dass die Corona-Pandemie mit mindestens zwei, vielleicht aber auch mehr als zwanzig Übertragungsereignissen in der chinesischen Stadt Wuhan begann.

Die Forschenden der ersten Studie durchsuchten unter anderem Daten über die frühesten Patientinnen und Patienten, die mit den zu diesem Zeitpunkt neuartigen Atembeschwerden behandelt wurden. Demnach waren von den ersten 41 Personen, die bis zum 2. Januar 2020 mit unbekannter Lungenentzündung ins Krankenhaus eingeliefert wurden, 27 direkt dem Huanan-Großhandelsmarkt für Meeresfrüchte ausgesetzt. "Die Erstdiagnosen von Covid-19 wurden zwischen dem 18. und 29. Dezember 2019 in mehreren Krankenhäusern unabhängig voneinander gestellt", schreiben die Autoren um Michael Worobey von der University of Arizona und Kristian G. Anderson vom kalifornischen The Scripps Research Institute. Insgesamt würden 55 von 168 der frühesten bekannten Covid-19-Fälle mit diesem Markt in Verbindung gebracht.

Eine geografische Analyse der Verteilung der ersten Covid-Fälle im Dezember 2019 zeige, dass diese eng um den Huanan-Tiermarkt in Wuhan herum angesiedelt waren. Nicht alle der Erstpatienten hatten den Markt besucht, einige lebten lediglich in unmittelbarer Nähe. Die geografische Verteilung wurde auch im Hinblick auf die bisher bekannten Abstammungslinien A und B hin untersucht. Dazu wurden Virus-Proben herangezogen, die aus dem Dezember 2019 und dem Januar 2020 stammten. Dabei stellte sich heraus, dass die B-Linie in Proben nachgewiesen wurde, die direkt im Markt genommen wurden, während die A-Linien-Proben aus einem Hotel in der Nähe und von einem weiteren Ort in der Umgebung des Marktes stammten.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler halten es deshalb für wahrscheinlich, dass sich beide Linien während der frühen Epidemie vom Huanan-Markt aus in die umliegenden Nachbarschaften ausbreiteten. "Das Virus begann sich bei Menschen auszubreiten, die auf dem Markt arbeiteten, breitete sich dann aber in der umliegenden Gemeinde aus, als Verkäufer in lokale Geschäfte gingen und Menschen infizierten, die in diesen Geschäften arbeiteten", wird Worobey in der "Washington Post" zitiert.

Herd im Südwesten des Marktes?

Aus verschiedenen Datensätzen wurde in der Studie der Grundriss des Marktes rekonstruiert, um die Virenquelle weiter einzugrenzen. Durch den Abgleich mit Handelsregisterdaten und Bußgeldbescheiden wegen des illegalen Verkaufs lebender Säugetiere konnten die Forschenden fünf Stände identifizieren, "die wahrscheinlich lebende oder frisch geschlachtete Säugetiere oder andere nicht näher bezeichnete Fleischprodukte in der südwestlichen Ecke des westlichen Teils des Marktes verkauften". Es werden unter anderem Füchse und Marderhunde genannt.

Fünf positive Sars-CoV-2-Proben stammten demnach allein von einem Stand. Außerdem gab es positive Proben von einem Metallkäfig, zwei Karren, wie sie häufig zum Transport mobiler Tierkäfige verwendet werden, und einem Werkzeug zur Entfernung von Haaren oder Federn. Deshalb wird ein Zusammenhang zum Tierhandel vermutet. Alle acht Corona-Fälle in Wuhan, die vor dem 20. Dezember 2019 gemeldet wurden, konnten auf den westlichen Teil des Marktes zurückgeführt werden.

In einer zweiten Studie widmet sich ein internationales Forschungsteam ausschließlich den beiden Abstammungslinien A und B. Aus ihren Berechnungen und Simulationen schlussfolgern Joel O. Wertheim, außerordentlicher Professor in der Abteilung für Infektionskrankheiten und globale öffentliche Gesundheit an der San Diego School of Medicine, und sein Team, dass diese Abstammungslinien das Ergebnis von mindestens zwei getrennten Übertragungsereignissen auf den Menschen sind.

Die erste zoonotische Übertragung, also der Virenübergang vom Tier auf den Menschen, betraf ihrer Meinung nach wahrscheinlich Viren der Linie B im Zeitraum zwischen dem 23. Oktober und dem 8. Dezember 2020. Die separate Einführung der Linie A erfolgte wahrscheinlich innerhalb von Wochen nach diesem Ereignis. Für unwahrscheinlich halten es die Forschenden, dass Sars-CoV-2 vor November 2019 weit verbreitet beim Menschen zirkulierte. "Wie bei anderen Coronaviren ist die Entstehung von Sars-CoV-2 wahrscheinlich auf mehrere zoonotische Ereignisse zurückzuführen", schreiben die Autorinnen und Autoren.

Labortheorie nicht zu widerlegen

Die an den beiden Studien beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass ihre Untersuchungen die Zoonosen-These stützen. Trotzdem räumen sie ein, dass es weiterhin viele Unbekannte gibt, die weiterer Untersuchungen bedürfen. Als Beispiel nennen sie die Frage, welche Tiere genau an dem sogenannten Spillover beteiligt waren. Auf dem Wildtiermarkt wurden nicht nur die erwähnten Arten, sondern auch lebende Hunde, Ratten, Stachelschweine, Dachse, Hasen, Füchse, Igel, Murmeltiere und eine chinesische Hirschart verkauft.

"Dies sind die überzeugendsten und detailliertesten Studien darüber, was in Wuhan in den frühesten Stadien der späteren Covid-19-Pandemie passiert ist", wird Stephen Goldstein, einer der Mitautoren, zitiert. Goldstein ist Postdoktorand in der Abteilung für Humangenetik an der Medizinischen Fakultät der Universität von Utah. "Wir haben überzeugend gezeigt, dass die Wildtierverkäufe auf dem Huanan-Markt in Wuhan an den ersten Fällen der Krankheit beim Menschen beteiligt sind."

Die Untersuchungen hätten gezeigt, "dass es einfach nicht plausibel ist, dass dieses Virus auf eine andere Weise als durch den Handel mit Wildtieren auf dem Markt von Wuhan eingeschleppt wurde", sagte auch der Virologe Michael Worobey von der University of Arizona. Er ist als Autor an beiden Studien beteiligt und hatte im vergangenen Jahr einen offenen Brief unterzeichnet, in dem dazu aufgerufen wurde, die Theorie eines Laborunfalls im Institut für Virologie in Wuhan weiter in den Blick zu nehmen. Die seitdem gesammelten Erkenntnisse hätten ihn aber zum Umdenken bewegt, sagte der Virologe nun. Das Virus sei "auf diesem Markt entstanden und hat sich von dort aus ausgebreitet."

Studien-Mitautor Kristian Andersen vom Scripps Research Institute sagte, die Theorie eines Laborausbruchs sei zwar nicht widerlegt. Vermutlich werde dies sogar nie gelingen. Es sei aber wichtig zu verstehen, "dass es mögliche und wahrscheinliche Szenarien gibt. Und dass möglich nicht gleich wahrscheinlich ist." Jonathan E. Pekar, Doktorand in Bioinformatik und Systembiologie, der gemeinsam mit Wertheim das Projekt leitete, vermutet, dass eine Pandemie wahrscheinlich schon seit Jahren drohte. "Das ist schon einmal passiert, und es wird weiter passieren. Die Natur ist ein besseres Labor, als es der Mensch je sein wird", so Pekar.

Quelle: ntv.de

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