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Heftige Kritik von Experten US-Forscher sehen höheres Risiko durch Corona-Impfungen

Einige Daten aus der Zulassungsstudie haben Moderna und Biontech immer noch nicht veröffentlicht.

Einige Daten aus der Zulassungsstudie haben Moderna und Biontech immer noch nicht veröffentlicht.

(Foto: picture alliance / Bildagentur-online/Ohde)

Immer wieder betonen Wissenschaftler und Politiker, die Impfstoffe von Biontech und Moderna seien wirksam und sicher. Eine neue US-Studie behauptet nun jedoch das Gegenteil und sorgt damit für viel Wirbel. ntv.de erklärt, was an den aufsehenerregenden Thesen dran ist - oder vielmehr: was nicht.

Impfungen gelten als wichtigster Eckpfeiler bei der Eindämmung der Corona-Pandemie. Weltweit verhinderten sie Modellrechnungen zufolge möglicherweise bis zu 20 Millionen Covid-Tote. Immer wieder betonen Experten und Politiker, die Vakzine seien wirksam und sicher. Eine neue Studie sorgt derzeit jedoch nicht nur für viel Aufsehen, sondern auch für Verunsicherung. Denn ein US-Forschungsteam will herausgefunden haben, dass das Risiko, durch mRNA-Impfungen schwere Nebenwirkungen zu bekommen, höher sei, als wegen einer Corona-Infektion im Krankenhaus zu landen. Was ist dran an den Ergebnissen?

Die Studie, die in der Fachzeitschrift "Vaccine" erschien, behauptet, dass die mRNA-Impfstoffe weitaus häufiger Nebenwirkungen hervorrufen als bisher angenommen. "Generell traten in der Pfizer/Biontech-Impfstoffgruppe schwere Nebenwirkungen um 36 Prozent häufiger auf als in der Placebogruppe, bei Moderna waren es 6 Prozent. Kombiniert man beide Studien, kommt man auf ein um 16 Prozent erhöhtes Risiko einer schweren Nebenwirkung durch Covid-Impfstoffe", fasste Studienautor Peter Doshi seine Ergebnisse gegenüber der "Welt" zusammen. Demnach sollten die Impfempfehlungen neu überdacht werden - zumindest für diejenigen, die ein geringes Risiko haben, schwer an Corona zu erkranken.

Doshis Ausführungen klingen alarmierend. Tatsächliche Belege liefert seine Studie laut Experten jedoch nicht. So kommentierte Leif Erik Sander, Professor für Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung an der Berliner Charité, die Ergebnisse auf Twitter mit besonders deutlichen Worten: Doshis Artikel zu Nebenwirkungen von mRNA-Impfstoffen basiere "auf krass manipulativer Statistik". Die Studie sei minderwertig und die Schlussfolgerungen seien unzulässig. Andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bezeichneten sie als "dubios", "völligen Blödsinn" und "Anti-Impf-Propaganda".

Statistische Tricksereien?

Kritik trifft unter anderem den betrachteten Zeitraum. Denn die Untersuchung basiert allein auf den Daten der Zulassungsstudien der Impfstoffe von Biontech und Moderna aus dem Jahr 2020. Das Team um Doshi hat diese Daten lediglich noch einmal nach eigenen Kategorien ausgewertet. Dabei wurden seitdem weltweit Milliarden Dosen verimpft. "Wenn man tatsächlich an der Sicherheit und Wirksamkeit der Covid-19-Impfstoffe interessiert wäre, genau hier und jetzt, im September 2022, dann sind die Daten aus den Zulassungsstudien nicht die besten, um das zu bewerten", schreibt David Gorski, Onkologe und Chefredakteur der Website Science-based Medicine.

Das liegt zum einen daran, dass zu der Zeit, als die Zulassungsstudie durchgeführt wurde, Sars-CoV-2 in der Bevölkerung vergleichsweise wenig verbreitet war - das Ansteckungsrisiko war also gering. Die Impfstoffe hätten somit weitaus öfter Gelegenheit gehabt Nebenwirkungen zu verursachen, als das Coronavirus einen schweren Krankheitsverlauf auszulösen, sagt Gorski. Zudem wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Zulassungsstudien lediglich zwei Monate lang beobachtet. Unerwünschte Nebenwirkungen zeigen sich in der Regel in diesem Zeitraum. Der Schutz vor einer Krankenhauseinweisung hält aber deutlich länger an. Somit erfassen laut Gorski die Forscher zwar die meisten Nebenwirkungen, aber nicht den langanhaltenden Schutz vor schweren Covid-Verläufen.

Außerdem hätten Doshi und sein Team statistische Tricks genutzt. So seien die Daten der beiden Impfstoffe kombiniert worden, um überhaupt ein erhöhtes Risiko für Nebenwirkungen feststellen zu können, schreibt der Schweizer Sozialwissenschaftler Marko Kovic auf Twitter. Und ein weiterer Trick laut den Kritikern: Die Liste der Nebenwirkungen sei willkürlich von den Forschern ergänzt worden, um aufsehenerregende Ergebnisse zu erhalten. Ließe man die Ergänzungen weg, wäre selbst die kombinierte Berechnung für Pfizer und Moderna statistisch nicht mehr relevant. "Man spielt solange mit Daten herum, bis irgendwie halbwegs herauskommt, was man haben will", lautet das Fazit von Kovic.

Fehlende Daten der Hersteller

Zuletzt wirft Gorski Doshis Team vor, "Äpfel mit Birnen" zu vergleichen, wenn sie die Zahl der Nebenwirkungen mit der Zahl der schweren Covid-Verläufe vergleicht. Denn das US-Forscherteam habe beispielsweise einen Studienteilnehmer, der nach einer Impfung Bauchschmerzen und Durchfall hatte, doppelt gezählt, während ein Covid-19-Kranker, der ins Krankenhaus eingewiesen wurde, hingegen nur einmal gezählt wurde. Die Autoren geben diese Schwäche ihrer Untersuchung selbst zu. Jedoch sei es ihnen nicht möglich gewesen, die Symptome den einzelnen Studienteilnehmern zuzuordnen, da weder Biontech noch Moderna die dafür notwendigen Daten dafür freigegeben hätten.

Auf die fehlenden Daten der Hersteller weist dabei nicht nur Doshi seit Längerem hin. "Dass die Hersteller die Daten nicht herausrücken, ist mit nichts zu rechtfertigen", sagte auch der Virologe Alexander Kekule kürzlich dem MDR. Doshi habe zwar, so Kekule, bisher nicht wissenschaftlich nachweisen können, dass es mehr Nebenwirkungen gebe. Dafür fehlten ihm offenbar die Daten, "aber er hat Fragen aufgezeigt, die beantwortet werden müssen".

Tatsächlich ist kaum zu erklären, warum die anonymisierten Personendaten zurückgehalten werden. Moderna schreibt auf MDR-Nachfrage, man habe, "den Zulassungsbehörden im Rahmen des Zulassungsverfahrens (...) Patientendaten vorgelegt". Wissenschaftler hätten dann die Möglichkeit, einen Zugang zu diesen Daten zu beantragen. Und auch Pfizer gibt an: "Wir geben die Ergebnisse unserer klinischen Studien öffentlich bekannt, unabhängig davon, ob die Ergebnisse neutral, negativ oder positiv sind." Auf der Internetseite "clinical data website", auf die auch die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA verweist, werden zwar die klinischen Versuchsdaten aufgeführt, die anonymisierten Daten der Studienteilnehmer sind jedoch auch hier nicht zu finden.

Seltene Komplikationen

Aus wissenschaftlicher Sicht wäre es wünschenswert, wenn Biontech und Moderna diese Daten freigeben würden, sagt der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens. Seiner Ansicht nach ergibt eine erneute Auswertung dennoch nicht allzu viel Sinn, denn es gebe keinen Grund, anzunehmen, dass diese völlig überraschende Erkenntnisse zu den Nebenwirkungen von mRNA-Impfstoffen liefern könnten.

Dass es zu schwerwiegenden Impfnebenwirkungen kommen kann, wenn auch nur in sehr seltenen Fällen, ist dabei unumstritten und in den meisten Ländern gut dokumentiert. Ziel sollte dabei sein, "offen über Impfkomplikationen zu sprechen, Betroffenen zu helfen und Impfungen zu verbessern", wie Infektiologe Sander fordert. Arbeiten wie die von Doschi trügen jedoch nichts dazu bei.

Selbst Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach musste inzwischen einräumen, dass nach einer Corona-Impfung manche Menschen unter anhaltenden schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen leiden. Früher hatte er noch von "nebenwirkungsfreien" Impfungen gesprochen. Dass das so nicht ganz stimmt, zeigen die gesammelten Daten des Paul-Ehrlich-Instituts. Sie zeigen aber auch, dass schwere Nebenwirkungen wie Hirnvenenthrombosen, Herzbeutelentzündungen oder chronische Erschöpfungszustände nur sehr sehr selten auftreten. Laut Sicherheitsbericht gab es seit Impfbeginn Ende 2020 bis Juni 2022 pro 1000 Corona-Impfungen rund 0,3 Meldungen (0,03 Prozent) über solche Verdachtsfälle.

Quelle: ntv.de

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