Wissen

Radioaktives Fukushima-Abwasser Verseucht Japan jetzt das Meer?

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
In mehr als 1000 Tanks lagert das kontaminierte Wasser im havarierten AKW Fukushima Daiichi.

In mehr als 1000 Tanks lagert das kontaminierte Wasser im havarierten AKW Fukushima Daiichi.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Die Tanks sind voll, das radioaktive Wasser muss weg: Japan will das Abwasser aus dem havarierten AKW Fukushima ins Meer leiten - gereinigt und verdünnt. Ganz strahlungsfrei ist es aber trotzdem nicht. Das verunsichert vor allem Nachbarländer. Wie gefährlich wird der Entsorgungsplan für die Umwelt?

Mehr als 1,3 Millionen Tonnen radioaktiv belastetes Wasser lagern auf dem Gelände des havarierten Kernkraftwerks Fukushima Daiichi an der Ostküste Japans. Jeden Tag kommt neues kontaminiertes Wasser hinzu. Denn die zerstörten Reaktoren müssen weiterhin gekühlt und einsickerndes Grund- und Regenwasser aufgefangen werden. Jetzt, zwölf Jahre nach der schlimmsten Atom-Katastrophe seit Chernobyl, sind die Kapazitäten der riesigen Tanks am Ende.

Japans Lösung: aufbereitetes Wasser verdünnen und durch einen rund einen Kilometer langen Tunnel in den Pazifik ableiten. Während die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) grünes Licht für das Vorhaben gibt, ist der Aufschrei bei örtlichen Fischern und auch in Nachbarländern groß. Doch welche Auswirkungen hat das Fukushima-Abwasser auf die Umwelt tatsächlich?

So gut wie keine, sagt IAEA-Chef Rafael Grossi. Die radiologischen Auswirkungen auf Meerwasser, Fische und Sedimente seien "vernachlässigbar", verkündet er am gestrigen Dienstag in Tokio. Radioaktives Abwasser enthalte zwar einige gefährliche Elemente, die meisten davon könnten jedoch vor dem Einleiten ins Meer aus dem Wasser entfernt werden. Die Betonung liegt dabei auf "meisten", denn das radioaktive Isotop Tritium kann selbst mithilfe modernster Technologie nicht herausgefiltert werden - und wird somit im Pazifischen Ozean landen.

Japans Regierung und die IAEA argumentieren aber, dass das kontaminierte Wasser stark verdünnt und über Jahrzehnte nur langsam freigesetzt wird. Das bedeute, dass die freigesetzte Tritiumkonzentration genauso hoch oder sogar geringer sei als die in anderen Ländern zulässige Menge. Außerdem komme das radioaktive Isotop auch in der Natur vor, zum Beispiel im Regen- und Leitungswasser und sogar im menschlichen Körper. Die Freisetzung kleiner Mengen ins Meer sollte also unbedenklich sein, sagt die IAEA.

Hamsterkäufe in Südkorea

Doch nicht alle teilen diese Haltung. In den Nachbarstaaten rufen Umweltschützer, Fischer und Politiker seit längerem zum Widerstand auf. So teilt das chinesische Außenministerium mit, der Bericht der IAEA stelle keinen Beweis dar, dass die Verklappung die sicherste und verlässlichste Option sei. Die Regierung von Südkorea äußert ebenfalls Kritik an der Entscheidung und kündigt an, an ihrem Importverbot für Fischereierzeugnisse aus Japan so lange festzuhalten, bis die Sorgen der Menschen ausgeräumt werden könnten.

Für die Bewohner der Pazifik-Region sorgt das für große Verunsicherung. Berichten zufolge haben sich einige bereits mit Meeresfrüchten und Meersalz eingedeckt, weil sie befürchten, dass diese Produkte durch das freigesetzte Abwasser kontaminiert werden könnten. Laut Reuters sind die Preise für Meersalz in Südkorea sprunghaft angestiegen. Ladenbesitzer gaben demnach an, dass sich ihr Umsatz in letzter Zeit verdoppelt habe. In Tweets behaupten Koreaner, einen Drei-Jahres-Vorrat an Algen, Anchovis und Meersalz gekauft zu haben.

"In Wahrheit ist fast alles radioaktiv"

Die Panik sei indes vollkommen unbegründet, sagt der Physiker Nigel Marks von der Curtin University in Australien. In Südkorea und anderen Ländern des pazifischen Raums sei die Öffentlichkeit mit einer Desinformationskampagne über die Freisetzung von Tritium in Aufregung versetzt worden. "In Wahrheit ist fast alles radioaktiv, auch der Pazifische Ozean", so der Experte. Tritium mache dabei nur einen Anteil von 0,04 Prozent der gesamten Radioaktivität aus. "Eine Erhöhung dieser winzigen Menge um eine winzige Menge ist alles andere als ein Weltuntergang", versichert Marks. Zum Vergleich: "Der gesamte Fang vor Fukushimas Küste entspricht der Strahlung eines einzigen Bisses in eine Banane."

Andere Experten weisen darauf hin, dass die geplante Wassereinleitung in Fukushima kein Präzedenzfall ist. Kernkraftwerke auf der ganzen Welt entsorgen seit mehr als 60 Jahren routinemäßig tritiumhaltiges Wasser in die Ozeane - meist in deutlich höheren Mengen als Japan es vorhat. So leitet Südkorea jedes Jahr mehr als das Vierfache der geplanten Fukushima-Abgabe in den Pazifik ein.

Das Meer soll nicht zur Müllhalde werden

Auch wenn es in Kernkraftwerken gängige Praxis ist, seien die Auswirkungen von Tritium auf Umwelt und Nahrungsmittel noch nicht ausreichend erforscht, mahnt hingegen Biologe Tim Mousseau von der Universität von South Carolina. Ebenfalls kritisch äußert sich Robert H. Richmond, Direktor des Kewalo Marine Laboratory an der Universität von Hawaii in Manoa. Er bezeichnet Japans Plan gegenüber CNN als "unklug und verfrüht".

Richmonds Befürchtung ist, dass die Verdünnung des Abwassers nicht ausreichen könnte, um die Auswirkungen auf die Meeresfauna zu verringern. Schadstoffe wie Tritium könnten die verschiedenen Ebenen der Nahrungskette - einschließlich Pflanzen, Tiere und Bakterien - durchdringen und sich im Meeresökosystem anreichern.

Die Weltmeere stünden durch Klimawandel, Versauerung, Überfischung und Verschmutzung bereits unter genug Stress, sagt auch Tony Hooker, Direktor des Zentrums für Strahlenforschung an der Universität Adelaide in Australien. Obwohl der Entsorgungsplan der japanischen Regierung seiner Ansicht nach die wissenschaftlichen und rechtlichen Anforderungen erfülle, sieht er die Nutzung des Meeres als "Müllhalde" kritisch. "Es ist an der Zeit, andere Entsorgungsmethoden für die Zukunft in Betracht zu ziehen."

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen