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"Gewalt nimmt statistisch zu" Warum Menschen bei Hitze schneller ausrasten

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Körperlicher Stress bei Hitze kann die Psyche beeinträchtigen - möglicher Ausgangspunkt für aggressives Verhalten.

Körperlicher Stress bei Hitze kann die Psyche beeinträchtigen - möglicher Ausgangspunkt für aggressives Verhalten.

(Foto: picture alliance / Zoonar)

Sobald es heiß wird, mehren sich Berichte über Gewalt in Parks und Schwimmbädern. Macht Hitze aggressiv? Wie sich hohe Temperaturen auf die Psyche auswirken und wie wir damit umgehen sollten, erklärt ein Experte ntv.de.

Eine Hitzewelle wird vielerorts mit Eisessen, Baden und Bräunen auf der Parkbank gefeiert. Trotzdem machen immer wieder Berichte von Polizeieinsätzen in Freibädern und Parks die Runde. Und wer sich schon einmal an einem heißen Sommertag zur Rushhour in eine volle S-Bahn gequetscht hat, weiß, dass manchmal ein kleiner Schubser mit dem Rucksack ausreicht, um angepöbelt zu werden. Doch macht Hitze wirklich aggressiv?

"Es ist tatsächlich so, dass aggressives Verhalten und Gewalt bei Hitze statistisch gesehen zunehmen", sagt Nikolaus Melcop, Präsident der Psychotherapeutenkammer Bayern und Vizepräsident der Bundestherapeutenkammer, gegenüber ntv.de. Eine Studie aus Südkorea beschreibt sogar einen Anstieg von gefährlichen Angriffen um 1,4 Prozent pro Grad Celsius.

"Ausgangspunkt ist der körperliche Stress"

Laut Melcop bedingen verschiedene Faktoren, in welchem Maß Hitze sich auf die Psyche auswirkt. "Ausgangspunkt ist der körperliche Stress, der sich unterschiedlich auf Emotionen und Impulskontrolle auswirkt." Der Körper muss stetig seine Kerntemperatur um die 37 Grad Celsius halten, bei Hitze fällt ihm das besonders schwer. Durch erhöhte Schweißproduktion und eine Erweiterung der Blutgefäße, um Wärme schneller abzugeben, wird der Kreislauf belastet und es wird mehr Flüssigkeit verbraucht.

Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen und Schlafprobleme sind Folgen des körperlichen Hitzestresses. Viele Menschen werden durch den körperlichen Stress schneller gereizt, ungeduldig und impulsiv. Auch die kognitive Leistungsfähigkeit lässt bei Hitze nach. "Letztlich liegt die Ursache der Aggression darin, dass Aufmerksamkeit und Impulskontrolle reduziert sind", so Melcop. Die enthemmende Wirkung von Alkohol spiele an heißen Tagen, wenn sich viele Menschen im Freien aufhalten, aber durchaus auch eine Rolle.

Mentale Situation leidet bei Hitze

Unabhängig von der Aggression verschlechtere sich die mentale Situation vieler Menschen bei Hitze, sagt Melcop. Psychiatrische Notdienste würden mehr in Anspruch genommen, Suizide nähmen zu und insbesondere Menschen mit Stimmungs- oder Angststörungen litten während einer Hitzewelle mehr. Auch der Zustand von Menschen mit Psychosen oder Demenz verschlechtere sich oft, wenn die Temperaturen steigen, sagt der Experte.

Aber wie verhindert man, dass Menschen in der Hitze aggressiv werden? "Wenn der öffentliche Raum Schutz vor Hitze bietet, dann wirkt das auch psychisch entlastend", so Melcop. Maßnahmen wie schattige Plätze, Grünflächen, kühle Rückzugsräume und Wasserspender könnten zum Beispiel auch die Situation an Orten wie Freibädern entlasten. Auf diese Weise würden Menschen mit einem ohnehin erhöhten Aggressionspotenzial durch die Hitze weniger belastet und dadurch weniger gewaltbereit.

Experte: Stress vermeiden

Aber auch alle anderen Menschen profitierten von kühleren Bedingungen, zum Beispiel am Arbeitsplatz. Melcop schlägt Arbeitgebenden und Vorgesetzten vor, nach Belastungen und Verbesserungsvorschlägen zu fragen. "Das kann auch nur ein Sonnenschirm auf dem Pausenplatz sein." Auch die Vermeidung von Stress wie hohem Leistungsdruck in Hitzeperioden trage laut Melcop zum seelischen Gleichgewicht bei, zum Beispiel in Schulen. Wer Mitarbeitende und Jugendliche vor Hitzestress schützt, vermeidet vielleicht, dass sie nach der Arbeit in der S-Bahn pöbeln.

Um selbst einen kühlen Kopf zu behalten, ist laut Melcop das Wichtigste, die Hitze ernst zu nehmen und Körper und Psyche zu schützen. "Ich kann nicht einfach meine Routine weiterverfolgen und meinen externen Stress ignorieren, ich muss mich an die Situation anpassen." Das fällt Menschen ohne Vorerkrankungen oft leichter als zum Beispiel Menschen mit chronischer Schizophrenie, die aufgrund von Medikamenteneinnahmen eine gestörte Wahrnehmung der Körpertemperatur haben können, oder Menschen mit Demenz, die vergessen zu trinken.

Wie umgehen mit aggressiven Menschen?

Aber auch Menschen ohne Vorerkrankungen rät Melcop, die eigenen Grenzen zu wahren, um nicht selbst zum S-Bahn Pöbler zu werden: "Hitzemanagement, nicht am Normalleistungsniveau festhalten, ausreichend schlafen." Auch sollte man den Körper nicht durch zu viel sportliche Aktivität in der Hitze belasten.

Und wenn alles nichts hilft und man in einer Situation mit einem aggressiven Menschen landet? "Ruhig bleiben und Verständnis haben." Menschen, die sich bei Hitze aggressiv verhalten, seien meist überfordert und hätten körperlichen Stress. Wenn es tatsächlich zu einer Unterhaltung kommen sollte und es noch nicht zu gefährlich sei, könne man das Gespräch auf andere Themen lenken und zum Beispiel fragen, ob die Person etwas trinken möchte.

Übrigens: Ab 37 Grad Celsius Lufttemperatur wird es für die meisten Säugetiere und damit auch Menschen gefährlich, weil sie keine Wärme mehr durch Schwitzen an die Umgebung abgeben können. Allerdings hängt dieser Wert auch von der Luftfeuchtigkeit ab. Bei neueren Messungen der sogenannten Feuchtkugeltemperatur wurde bei einer normalen Luftfeuchtigkeit schon eine Temperatur von 31 Grad Celsius als gefährlich für den Menschen eingestuft.

Quelle: ntv.de

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