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Droht eine neue Pandemie? Was man bisher über Affenpocken weiß

Das Affenpocken-Virus ist eng mit dem Variolavirus verwandt, das die ausgerotteten echten Pocken verursacht.

Das Affenpocken-Virus ist eng mit dem Variolavirus verwandt, das die ausgerotteten echten Pocken verursacht.

(Foto: dpa)

Noch ist die Coronavirus-Pandemie nicht beendet, schon sorgt ein neues Virus für Verunsicherung: Affenpocken. Seit ein paar Tagen gibt es auch in Deutschland die ersten bestätigten Fälle. Weltweit sind es bereits etwa 100. Droht nun eine neue Pandemie? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was ist das Besondere an den aktuellen Affenpocken-Fällen in Europa?

Affenpocken sind seit 1958 bekannt. Der erste Fall einer Affenpocken-Infektion beim Menschen wurde 1970 in der Demokratischen Republik Kongo registriert. In Teilen Afrikas sind Affenpocken endemisch, es kommt immer wieder zu kleineren Ausbrüchen. Auch in den USA gab es im Jahr 2003 einen Ausbruch von Affenpocken, der von Präriehunden ausgelöst wurde, die sich in Zoohandlungen durch Kontakt mit Nagetieren aus Afrika infiziert hatten. In Europa trat das Virus zuletzt vereinzelt auf, 2018, 2019 und 2021 etwa in Großbritannien. Diese Fälle standen immer in Zusammenhang mit Reisen nach Afrika, Kontakt zu Reiserückkehrern oder verunreinigten Materialien.

Jetzt kommt es jedoch zum ersten Mal in Europa zu Infektionsketten von Affenpocken ohne bekannte Verbindung zu West- oder Zentralafrika. "In der Vergangenheit waren die Affenpocken-Ausbrüche begrenzt in der Ausbreitung", sagt der Virologe Stephan Becker von der Uni Marburg. Infektionsketten zwischen Menschen seien ungewöhnlich und müssten eng überwacht werden.

Nimmt die Zahl der Affenpocken-Fälle weltweit zu?

Die Anzahl der bestätigten, vermutlichen und wahrscheinlichen Affenpocken-Fälle ist seit 1970 um mindestens das Zehnfache gestiegen. Ein Grund könnte das Nachlassen der Impfung gegen des menschliche Pockenvirus (Variolavirus) sein, das eng mit dem Affenpockenvirus verwandt ist. Nachdem echte Pocken 1980 ausgerottet wurden, hatte man ab Anfang der 1980er die Impfungen dagegen eingestellt. Als einen weiteren Grund für die steigende Verbreitung vermuten Forscher Abholzung, bewaffnete Konflikte und Bevölkerungsmigration in Afrika, wodurch Menschen vermehrt mit Waldtieren in Kontakt kommen.

Allerdings ist die genaue Tierquelle für das Virus nicht bekannt. Zwar wurde der Erreger in einem dänischen Labor erstmals bei Affen nachgewiesen, daher der Name Affenpocken. Doch Affen gelten als sogenannte Fehlwirte - Fachleute vermuten, dass das Virus eigentlich in Hörnchen und Nagetieren zirkuliert.

Droht nun eine Affenpocken-Pandemie?

Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg sagte gegenüber dem Deutschlandfunk, dass eine Pandemie nicht zu befürchten sei. Affenpocken seien nur sehr schwer übertragbar, da Infektionen über Schleimhautkontakte erfolgten. Er gehe deshalb davon aus, dass sich der Ausbruch der Krankheit eindämmen lasse. Ähnlich äußerte sich der Virologe Gerd Sutter von der Ludwig-Maximilians-Universität München: "Eine neue Pandemie haben wir nicht zu befürchten", sagte er der "Zeit". Fabian Leendertz, Gründungsdirektor des Helmholtz-Institut für One Health (HIOH) in Greifswald, sprach jedoch von einer Epidemie, also einem zeitlich und örtlich begrenzten vermehrten Auftreten der Krankheit: "Ich würde dies bereits als eine Epidemie bezeichnen, es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass diese Epidemie lange dauern wird."

Wie werden Affenpocken übertragen?

Eine Übertragung von Tier zu Mensch ist möglich, dem RKI zufolge häufig durch Kontakt mit infizierten Tieren oder tierischem Blut und Sekreten, über das Essen infizierten Affenfleischs sowie Tröpfcheninfektion. Zwischen Menschen gilt die Übertragung der Affenpocken als selten. Bisher sind nur Infektionsketten von sechs bis neun Menschen beobachtet worden. Ein erhöhtes Risiko für eine Ansteckung haben Haushaltsmitglieder eines Infizierten sowie alle, die im Gesundheitswesen mit Infizierten in Kontakt kommen. "Man kann sich durch engen körperlichen Kontakt mit einer infizierten Person anstecken. Besonders ansteckend sind Hautausschlag, Körperflüssigkeiten (wie Flüssigkeit, Eiter oder Blut aus Hautläsionen) und Schorf", schreibt Virologin Sandra Cisek, Professorin für Virologie in Frankfurt, auf Twitter. Aber auch der Speichel könne infektiös sein, wenn der Patient etwa "entsprechende Läsionen" im Mund habe. Aktuell scheine die Übertragung aber zumindest nicht durch Aerosole zu erfolgen, schätzt Virologe Becker von der Uni Marburg. "Dann wäre das Ausbreitungsmuster anders."

Sind homosexuelle Männer besonders gefährdet?

Bei den aktuell erfassten Fällen sind in der Mehrheit, wenn auch nicht ausschließlich, Männer betroffen, die Sexualkontakte zu anderen Männern hatten. "Aktuell scheinen die Risikoexpositionen vorwiegend sexuelle Kontakte unter Männern zu sein", heißt es vom Bundesgesundheitsministerium. "Expositionsorte der in Deutschland bislang bekanntgewordenen Fälle waren Party-Veranstaltungen, unter anderem auf Gran Canaria (Spanien) und in Berlin, bei denen es zu sexuellen Handlungen kam." Das Virus scheine sich derzeit vor allem zwischen homo- oder bisexuellen Männern auszubreiten, sagt auch Virologe Becker.

Die UN-Organisation Unaids warnte jedoch vor einer Stigmatisierung der Virusinfektion, welche den "Kampf gegen die Epidemie schnell untergraben" könnte. Zwar betreffe ein großer Teil der bislang bestätigten Fälle von Affenpocken Schwule, Bisexuelle oder andere Männer, die Sex mit Männern haben, doch die Krankheit könne durch engen Kontakt mit einer infizierten Person übertragen werden und "somit jeden treffen".

Wann tauchte der erste Fall in Europa auf?

Am 7. Mai war in Großbritannien ein Fall von Affenpocken bei einem Reiserückkehrer aus Nigeria bestätigt worden. Am 19. Mai hatte das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr auch in Deutschland einen Fall von Affenpocken nachgewiesen.

Wie wird eine Infektion nachgewiesen?

Der Nachweis erfolgt wie beim Coronavirus und anderen Erregern mit einer Probe des Betroffenen über einen sogenannten PCR-Test. Sind Affenpockenviren enthalten, wird gezielt deren Erbgut in einem speziellen Gerät vermehrt und kann danach leicht nachgewiesen werden.

Was sind die Symptome von Affenpocken?

Zu den Symptomen zählen: plötzlich einsetzendes Fieber, starke Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Halsschmerzen, Husten, häufig auch Lymphknotenschwellungen. Typisch ist zudem ein vom Gesicht auf den Körper übergreifender, pockentypischer Ausschlag. Selten treten Erblindung und entstellende Narben als Dauerschäden auf.

Wie gefährlich sind die Affenpocken?

Die kursierende Variante des Affenpockenvirus ruft nach Angaben von Gesundheitsbehörden meist nur milde Symptome hervor, kann aber auch schwere Verläufe nach sich ziehen. Es sind zwei Varianten des Erregers bekannt: Die mildere, westafrikanische Variante führt nach Angaben von Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie der München Klinik Schwabing, zu einer Sterblichkeit von etwa einem Prozent, vor allem bei Kindern unter 16 Jahren. "Man muss aber bedenken, dass diese Daten aus Afrika nicht zwingend übertragbar auf das Gesundheitswesen in Europa oder den USA sind, bei uns wäre die Sterblichkeit eher niedriger anzusetzen. Das ist eine Erkrankung, die meines Erachtens nicht das Potenzial hat, die Bevölkerung massiv zu gefährden." Die Sterblichkeit für die zweite, zentralafrikanische Variante wird mit etwa zehn Prozent angegeben.

Bei allen bisher genetisch analysierten Proben handelte es sich um die westafrikanische Erreger-Variante, auch bei dem ersten Patienten in München. Alle Altersgruppen und Geschlechter gelten dem RKI zufolge als gleichermaßen empfänglich.

Was gibt es an Therapiemöglichkeiten?

In der EU ist seit Januar das Medikament Tecovirimat zugelassen, das gegen Pocken, Kuhpocken und Affenpocken wirkt. Laut RKI kommt das Mittel zur Behandlung vor allem für immungeschwächte Personen infrage, ist aber noch nicht breit verfügbar.

Gibt es einen Impfstoff gegen Affenpocken?

Vor Affenpocken schützt auch die klassische Pockenimpfung, da die Viren sich sehr ähnlich sind. Die Wirksamkeit soll bei mindestens 85 Prozent liegen. Der Schutz einer Pockenimpfung besteht wohl lebenslang. Allerdings wurde die Impfung Anfang der 1980er eingestellt, nachdem das menschliche Pockenvirus ausgerottet worden war. Jedoch dürften ältere Menschen, die die Impfung noch bekommen haben, also auch vor den Affenpocken geschützt sein.

Seit 2013 ist in der EU der Impfstoff Imvanex gegen die Pocken (Variolavirus) für Erwachsene zugelassen, der ein modifiziertes Pockenvirus enthält. Eine Zulassung zur Vorbeugung von Affenpocken hat er in der EU nicht. Es handelt sich um einen Impfstoff der dritten Generation, die weniger wahrscheinlich Nebenwirkungen verursachen als klassische Pockenimpfstoffe. Seine Schutzwirkung ist laut Studien an Tieren vermutlich ähnlich wie beim klassischen Pockenimpfstoff. Die WHO weist darauf hin, dass dieser Impfstoff nicht flächendeckend verfügbar sei. Man wolle Experten einberufen, um mögliche Impfempfehlungen zu erörtern.

Wer sollte sich gegen Affenpocken impfen lassen?

Das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) empfiehlt bei Infektion mit Affenpocken eine Impfung für enge Kontaktpersonen mit hohem Risiko (nach Risiko-Nutzen-Abwägung), falls in dem betreffenden Land ein passender Impfstoff zugelassen ist. Ob in Deutschland eine Pockenimpfung für Kontaktpersonen und Risikogruppen empfohlen werde, sei noch Gegenstand der fachlichen Abklärung, heißt es vom Bundesgesundheitsministerium. Genug Impfstoff ist offenbar vorhanden: "Von dem klassischen Pockenvirenimpfstoff, einem Lebendimpfstoff, haben wir in Deutschland so viel Vorrat, dass man die ganze Bevölkerung impfen könnte", so Virologe Sutter.

Quelle: ntv.de, kst/dpa

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