
Anfang Juni erst brannte der Wald im brandenburgischen Jüterbog lichterloh. Optische Überwachungssysteme seien oft zu langsam, meint Erfinder Müller.
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Waldbrände werden oft erst entdeckt, wenn sie sich schon ausgebreitet haben. Eine neue Technologie soll Feuer bereits in der Frühphase aufspüren und rechtzeitig Alarm schlagen. Kann das funktionieren?
Jürgen Müller öffnet die Schiebetür seines Transporters und holt ein Waldbrand-Set heraus: Grillanzünder, Holzscheite, Zweige und eine Feuerschale. Der bärtige Mann schleppt alles zu einer Lichtung, die zwischen dichten Kieferreihen liegt. Routiniert formt der 69-Jährige ein Nest, entfacht das Feuer und verschwindet kurz darauf hinter dichtem Rauch. Eigentlich will Müller aber Waldbrände verhindern. Die Vorführung soll beweisen, dass seine Technik schneller und besser als alle anderen ist.
Im brandenburgischen Eberswalde, rund 50 Kilometer nördlich von Berlin, testet das von Müller mitgegründete Start-up Dryad Networks ihr System. Auf einer Waldfläche von 400 Hektar hängen Hunderte blattgroße Sensoren an den Kiefern und bilden ein Überwachungsnetz. "Man kann sich das System wie eine elektronische Nase vorstellen, die einen Brand erschnüffelt", erklärt Müller.
Derzeit werden Wälder vor allem durch optische Systeme überwacht. Kameras oder Drohnen schlagen Alarm, wenn über dem Wald Rauch aufsteigt. "Dann ist es meist zu spät", sagt Müller. Sein System setzt deutlich früher an. Die solarbetriebenen Sensoren registrieren typische Gase in der Luft, die bereits bei einem Schwelbrand - der Frühphase des Waldbrandes - auftreten. Waldbesitzer oder die Feuerwehr werden dann per Funk alarmiert.
"Tiere rannten um ihr Leben"
Die Bäume nennt Müller "seine Freunde". Er ist im Landkreis Barnim geboren, aufgewachsen und geblieben. "Als ich zehn war, habe ich einen riesigen Waldbrand mit ansehen müssen. Tiere rannten um ihr Leben, Hütten sind abgebrannt. Das hat mich mein ganzes Leben lang begleitet." Müller wurde Waldökologe und bewies als Professor an der Hochschule Eberswalde, dass Sensoren einen Waldbrand früher erkennen können. 2019 wähnte er sich eigentlich im Ruhestand, als der Unternehmer Carsten Brinkschulte auf seine Forschung stößt. Gemeinsam gründen sie das Start-up Dryad Networks, Müller wird wissenschaftlicher Leiter.
In zehn Ländern kommt die Technologie bereits testweise zum Einsatz, vor allem in Südeuropa und Nordamerika sei das Interesse groß, sagt Müller. Die Entwicklungsphase habe man inzwischen abgeschlossen. Ende 2022 wurden die ersten zehntausend Sensoren ausgeliefert, in diesem Jahr sollen es schon hunderttausend sein. In Annaburg in Sachsen-Anhalt hätte das System bereits einen Brand frühzeitig erkannt, so Müller.
Im waldbrandgeplagten Kalifornien läuft derzeit ein Prestigeprojekt. Ein Dryad-Mitarbeiter ist vor Ort, um gemeinsam mit der kalifornischen Feuerwehr den Jackson State Demonstration Forest mit Sensoren auszurüsten. "Die Amerikaner sind bereit, Geld für unser System in die Hand zu nehmen. In Deutschland ist man da zaghafter", sagt Müller. Das Frühwarn-System kostet rund 50 Euro pro Hektar, Kunden sind Einzelpersonen oder Unternehmen.
Altmunition erschwert Löscharbeiten
Doch auch deutsche Wälder brennen in zunehmender Regelmäßigkeit. Allein in Brandenburg gab es im vergangenen Jahr über 500 Waldbrände. Erst Anfang Juni standen in Jüterbog, südlich von Berlin, Hunderte Hektar Wald in Flammen. Die Löscharbeiten wurden durch Tonnen von Altmunition, Bomben und Granaten aus DDR- und Kriegszeiten erschwert, die dort im Boden schlummern und zu explodieren drohten.
Global gesehen sind Waldbrände zudem ein Haupttreiber des Klimawandels. 2021 sind durch sie 6,45 Milliarden zusätzliche Tonnen CO₂ in die Atmosphäre gelangt, errechneten Forscher des EU-Erdüberwachungsprogramms Copernicus. Alle EU-Staaten zusammen haben im gleichen Zeitraum nur halb so viel ausgestoßen. Auch wenn die meisten Waldbrände menschengemacht sind, befeuert die Erderwärmung ihre Entstehung und Ausbreitung. Die Trockenheit macht Wälder zu Pulverfässern.
Programm zeigt Brandherd an
Im backsteinroten Bürogebäude von Dryad Networks in Eberswalde ist derweil ein Signal eingegangen. Ein Laptop-Bildschirm zeigt ein Satellitenbild des Eberswalder Stadtwaldes mit vielen grünen und einem rot leuchtendem Punkt - die Stelle, an der Müller mit der Feuerschale stand. Klappt schonmal.
In den Firmenräumen liegt der dezente Duft nach Lagerfeuer. Wer dem Geruch folgt, landet im Labor. In einem Regal stehen Proben aus den Wäldern der Dryad-Kunden in beschrifteten Einmachgläsern: "Italien Kiefer Rinde", "Griechenland Nadeln", "Spanien 1". Mithilfe einer Maschine mit langem Schlauch, die nach Do-it-yourself ausschaut, lernt die KI, verschiedene Gaszusammensetzungen zu erkennen.
"Jeder Wald riecht anders und muss separat ins System gespeist werden", sagt Müller und führt das Prozedere vor. Er erhitzt eine Probe mit Kieferngemisch auf 400 Grad, der Rauch wird durch ein Rohr in einen Glaskasten geleitet. Die KI merkt sich dann die jeweilige Gaszusammensetzung. Das Programm wird auch auf Autoabgase oder veränderte Witterungsverhältnisse trainiert, um Fehlalarme zu vermeiden.
Stadt kann Projekt übernehmen
Der Stadtförster von Eberswalde, Florian Manns, steht dem Sensorsystem jedoch zwiegespalten gegenüber. "Es ist auf jeden Fall sicherer und genauer als die bisherigen optischen Systeme. Aber es wird ja auch eine Menge Technik in den Wald gebracht." Er befürchtet, dass vermehrt Elektroschrott entstehen könnte, der dann verloren herumliegt. Auch sei das Sensorsystem mit hohen Kosten verbunden. "Ohne staatliche Subventionen ist das für die meisten Waldbesitzer nicht zu stemmen."
Das Pilotprojekt im Eberswalder Stadtwald finanziert Dryad auf eigene Kosten. Nach drei Jahren hat die Stadt die Möglichkeit, das System zu übernehmen. Manns kann sich das durchaus vorstellen. "Die Sensoren hängen ja schon." Eine Ausweitung des überwachten Gebiets sei bei klammen kommunalen Kassen jedoch voraussichtlich zu teuer.
Ob sich das Dryad-System für Kunden lohnt, hänge zum einen von der jeweiligen Waldbrandgefahr, aber auch vom Geldbeutel ab, sagt Waldexperte Müller. In Zeiten, in denen der Waldbrand-Smog ganze Städte verhüllt, sieht er das Momentum aber auf der Seite seines Produkts: "Die Menschen erkennen zunehmend, wie wertvoll der Wald ist."
Quelle: ntv.de