Timo Ulrichs im ntv-Interview Wie gefährlich ist die Lambda-Variante?
09.07.2021, 15:06 Uhr
Corona-Tests auf einem Markt in Peru.
(Foto: dpa)
In Peru gibt es eine neue Coronavirus-Variante, die die WHO beobachtet. Bei ntv spricht Professor Timo Ulrichs darüber, wie groß die davon ausgehende Gefahr und was von derzeitigen Lockerungen angesichts nicht mehr sinkender Infektionszahlen zu halten ist.
ntv: Seit einigen Tagen stiegen in Deutschland die Zahlen ja wieder leicht an, zugegeben auf sehr niedrigem Niveau. Aber auch der R-Wert, der immer so ein bisschen in die Zukunft weist, liegt wieder über 1. Was bedeutet das jetzt und woran liegt das?

Professor Timo Ulrichs ist Infektionsepidemiologe an der Akkon-Hochschule in Berlin.
(Foto: Timo Ulrichs)
Timo Ulrichs: Es sind ja wie gesagt sehr niedrige Zahlen, von denen wir gerade sprechen. Allerdings könnte es sein, dass wir so langsam den Talboden von den Abnahmen erreicht haben und uns jetzt auf niedrigem Niveau vorwärtsbewegen. Wenn sich das so einigermaßen stabil halten sollte, dann ist das gut, dann können wir mit diesen Zahlen auch gut weitergehen. Aber wenn jetzt langsam wieder eine Trendumkehr zu sehen ist, dann ist es leider eben wieder vorbei mit den Abnahmen, dann haben wir mehrere Gründe für eine Zunahme. Die Delta-Variante könnte einen Teil dazu beitragen, aber sicherlich nicht alles. Aber möglicherweise haben wir eben auch zu schnell und zu stark gelockert.
In Nordrhein-Westfalen gelten ab heute umfangreiche Lockerungen. Da kann man wieder feiern gehen, in die Disco. Man kann Sportveranstaltungen besuchen, auch Schützenfeste, wenn man getestet wurde. Ist das gefährlich?
Solange sich das Ganze draußen abspielt, ist es relativ ungefährlich. Aber sobald das in Innenräumen ist, beispielsweise in Diskotheken, da haben wir ja mittlerweile auch sehr gute Daten vorliegen, da ist das wirklich hochgefährlich. Da kann sich dann auf alle, die nicht immungeschützt sind, das Virus übertragen. Und deswegen sollte man mit so etwas wirklich vorsichtig sein.
Außenminister Maas, der hat ja wieder mal bekräftigt, dass er gesagt hat: Es dauert nicht mehr lange, dann werden alle Beschränkungen fallen - nämlich dann, wenn alle Menschen ein Impfangebot erhalten haben. Halten Sie das für realistisch?
Wenn alle ein Impfangebot erhalten haben, ist es eher nicht so, dass dann damit auch gleichzeitig alles sicher und alles gut ist. Es muss das Maß genommen werden, wie viele tatsächlich vollständig geimpft sind in Deutschland. Und das ist dann eben die Seite, wo man sagen kann, das ist eine gute Zahl, um zu sagen: Jetzt können wir uns auch langsam locker machen bezüglich der Abstands- und Hygieneregeln. Solange das nicht der Fall ist, sollte man die auf jeden Fall beibehalten, vor allen Dingen in Innenräumen.
Lassen Sie uns mal auf andere Länder blicken, auf andere Kontinente. Es gibt aktuell eine Meldung, dass in Peru eine neue Variante aufgetreten ist, Lambda-Variante heißt die. Was weiß man darüber bislang?
Die WHO entscheidet bei diesen neuen Varianten des Coronavirus zwischen denen, die sehr besorgniserregend sind, zum Beispiel Alpha oder Delta, und den anderen, die so ein bisschen beobachtet werden. Und diese Lambda-Variante gehört zur letzteren Gruppe. Da muss man genau gucken, ob die fitter bei der Übertragung ist, ob sie schwerere Krankheitsverläufe verursachen kann oder ob die Impfabdeckung nicht mehr so gut ist. Alle diese drei Parameter sind eben noch nicht sicher. Man kann aber sagen, dass es bei dieser Lambda-Variante nicht so schlimm ausfällt, deswegen ist die ja nicht hochgestuft worden. Man muss aber sehen: Sie hat in Peru schon einige Ausbrüche mit verursacht und deswegen ist sie auch unter Beobachtung. Es sind auch zum Teil schon einige Fälle in Europa aufgetreten und in anderen Weltregionen. Dort scheint sie sich aber gegenüber zum Beispiel der Delta-Variante nicht durchsetzen zu können. Und das spricht dafür, dass es zwar eine neue Variante ist, aber eben eine, die jetzt nicht alles übernehmen wird.
Blicken wir mal nach Afrika. Die WHO sagt heute, dort stünde eigentlich das Schlimmste noch bevor. Auch Südafrika meldet horrende Zahlen. Wie beurteilen Sie das?
Nach wie vor ist die Beurteilung sehr ernst. Es ist jetzt so, dass sich die Delta-Variante sehr stark durchsetzt und sehr viele schwere Erkrankungen auftreten, viele Todesfälle. Das ist gerade mit dieser weiteren Welle, die sich dort ausbreitet, nochmal schlimmer. Und deswegen müssen wir dafür sorgen, dass da die Gesundheitsversorgung besser wird, dass auch die Kapazitäten erhöht werden, was eben Abstands- und Hygieneregeln und andere Dinge angeht, und vor allen Dingen, dass genug Impfstoff bereitgestellt wird, damit auch diese Populationen geimpft werden kann und wir eine Grundimmunisierung reinbekommen.
Also Sie würden sagen, da ist Europa in der Verantwortung, wir müssen mehr helfen.
Alle reichen Länder sind in der Verantwortung. Wir haben ja Impfstoff, und den einfach nicht zu exportieren oder herauszulassen ist ein großer Fehler, weil wir auf diese Art und Weise dem Virus immer weiteren Raum geben, um sich zu verändern. Wir sehen es an der Lambda-Variante in Peru. Es werden noch weitere Varianten auftreten, wenn wir dem Virus gestatten, weltweit irgendwo in großen Mengen aufzutreten. Dann ist die Wahrscheinlichkeit einfach da, dass sich weitere Varianten entwickeln werden, die dann auch ganz anders aussehen könnten und dann zu uns zurückkommen.
Indonesien meldet auch sehr hohe Zahlen, obwohl das ja ein Land ist, wo auch viel getestet wird und die medizinische Versorgung auch nicht so schlecht ist. Woran liegt es denn dort?
Das ist ein Land mit sehr vielen Inseln und die Gesundheitsversorgung auf diesen sehr entfernten Inseln ist einfach sehr schlecht. Dann kommt aber noch dazu, dass da bisher auch nicht genug geimpft worden ist. Jetzt kommt noch dazu, dass neben der Delta-Variante eben auch noch ein verändertes Verhalten in der Population dafür sorgt, dass viele Kontakte stattfinden, nämlich nach dem Ende des Ramadan, es ist ja ein muslimisches Land. Da hat eben das Virus mehr Möglichkeiten, sich auszubreiten, weil die Menschen wieder reisen und einander besuchen. Und das ist natürlich für die Ausbreitung des Virus förderlich. Deswegen ist es jetzt grad sehr kritisch dort. Auch da gilt, man muss eben das Impfprogramm entsprechend fördern. Die WHO hat da schon Hilfsprogramme lanciert, aber das geht natürlich nur, wenn genug Impfstoff zur Verfügung steht.
Mit Professor Timo Ulrichs sprach Doro Steitz
Quelle: ntv.de