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Risiko "sehr gering" eingeschätztWildes Poliovirus erstmals in deutschem Abwasser gefunden

12.11.2025, 21:16 Uhr
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Der Nachweis ist ein Einzelfund. Die WHO berichtet jedoch über Fälle in Afghanistan und Pakistan. (Foto: picture alliance/dpa)

Die hochansteckenden Polioviren gelten in Europa seit Jahrzehnten als ausgerottet. Doch nun zeigen sich Experten alarmiert. Im Abwasser werden Spuren des Virus entdeckt. Ohne ausreichenden Impfschutz kann sich dieser schnell ausbreiten.

In Deutschland ist laut Robert-Koch-Institut (RKI) erstmals seit Beginn der systematischen Abwasser-Überwachung im Jahr 2021 das hochansteckende Wildtyp-Poliovirus nachgewiesen worden. Es handele sich um das Wild-Poliovirus Typ 1 (WPV1), teilte das auf Infektionskrankheiten spezialisierte Bundesinstitut auf Anfrage mit. Infektionen bei Menschen seien bislang nicht gemeldet worden. Wo genau in Deutschland die Probe entnommen wurde, gab das RKI nicht bekannt. Der Fund gilt als Rückschlag für die weltweiten Bemühungen, die auch als Kinderlähmung bekannte Krankheit auszurotten. Polio-Wildviren kommen laut RKI nur noch in Afghanistan und Pakistan vor.

Das RKI schätzt das Risiko für die Allgemeinbevölkerung für jegliche Form von Polio jedoch als "sehr gering" ein. Als Grund nannte die Bundesbehörde die hohe Impfquote in Deutschland. Zudem handele es sich bei dem Nachweis im Abwasser um einen Einzelfund. Der Fund ist nicht der erste Nachweis von Polioviren in Deutschland im Rahmen des Monitorings. Bereits seit Ende 2024 werden dem RKI zufolge an mehreren Standorten zirkulierende, von Impfstoffen abgeleitete Polioviren vom Typ 2 (cVDPV2) in Abwasserproben gefunden.

Beide Virustypen können bei Menschen ohne ausreichenden Impfschutz die Krankheit Poliomyelitis auslösen. Die letzte in Deutschland erworbene Polio-Infektion durch Wildviren wurde 1990 gemeldet, die letzten importierten Fälle traten 1992 auf.

Europa seit Jahrzehnten poliofrei

Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge wurden in diesem Jahr bislang 39 Fälle von Wild-Polio in Afghanistan und Pakistan gemeldet. Die Region Europa war 2002 für frei von Wild-Polio erklärt worden. Fachleute betonen seit Langem, dass eine anhaltende Polio-Übertragung in einem Land eine Gefahr für alle darstellt.

Neben dem Wildtyp gibt es eine weitere Form, das sogenannte Impfstoff-abgeleitete Poliovirus. Es kann durch die Verwendung des oralen Schluckimpfstoffs entstehen, der abgeschwächte Lebendviren enthält. Nach der Impfung scheiden Kinder das Virus für einige Wochen mit dem Stuhl aus. In Gemeinschaften mit niedriger Impfquote kann sich dieses Virus ausbreiten und wieder zu einer gefährlichen Variante mutieren.

Länder wie Deutschland und die USA verwenden diesen Lebendimpfstoff nicht mehr. In anderen Ländern kommt er jedoch weiterhin zum Einsatz, was eine weltweite Verbreitung ermöglicht. Der WHO zufolge hat diese Form in diesem Jahr 177 Krankheitsfälle in Ländern wie Nigeria, dem Tschad, dem Jemen und Äthiopien verursacht. In den vergangenen Jahren wurde sie auch in Abwasserproben in mehreren europäischen Ländern, darunter neben Deutschland etwa auch in Spanien und Großbritannien, sowie in den USA nachgewiesen.

Poliomyelitis, auch Kinderlähmung genannt, ist eine hochansteckende Viruserkrankung, die früher jedes Jahr Zehntausende Kinder lähmte. Sie verläuft oft ohne Symptome, kann aber im schlimmsten Fall zu dauerhafter Lähmung oder zum Tod führen. Dank weltweiter Impfkampagnen sind die Fallzahlen seit 1988 um mehr als 99 Prozent zurückgegangen. Das Virus verbreitet sich vor allem in Regionen mit unzureichender sanitärer Versorgung. Fachleute führen das Fortbestehen von Polio auf unzureichende Impfquoten zurück. Der WHO zufolge waren 2024 weltweit rund 84 Prozent aller Kinder vollständig gegen Polio geimpft, die Raten unterscheiden sich jedoch teils stark zwischen den Ländern.

Quelle: ntv.de, mwa/rts

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