Panorama

IT-Probleme im Nordosten Der peinliche graue Fleck auf der RKI-Karte

Das Dashboard des Robert-Koch-Instituts ist seit Wochen unvollständig.

Das Dashboard des Robert-Koch-Instituts ist seit Wochen unvollständig.

(Foto: imago images/Rüdiger Wölk)

Ein Cyberangriff legt Mitte Oktober unter anderem das Corona-Meldesystem des Landkreises Ludwigslust-Parchim lahm. Seit Wochen versuchen IT-Experten das Problem zu beheben. Doch das dauert. So lange weist das Robert-Koch-Institut keine aktuellen Daten für die Region im Nordosten aus. Muss das sein?

Der Slogan von Ludwigslust-Parchim lautet "Raum für Zukunft". Derzeit mutet das recht ironisch an, denn der Landkreis in Mecklenburg-Vorpommern schlägt sich seit über einem Monat mit einem IT-Problem infolge eines Cyberangriffs herum. Kriminelle hatten in den frühen Morgenstunden des 15. Oktober begonnen, mit einer Schadsoftware Teile der Verwaltungsdaten Schwerins, des Kreises Ludwigslust-Parchim und weiterer kreisangehöriger Ämter und Städte zu verschlüsseln. Laut dem Kommunalservice Mecklenburg (KSM) und der Schweriner IT- und Servicegesellschaft (SIS) waren die Daten auf gemeinsamen Servern der Unternehmen gespeichert. Alle Systeme wurden daraufhin zur Sicherheit heruntergefahren.

Mehr als einen Monat später heißt es noch immer auf der Website des Landkreises: "Weiterhin arbeiten IT-Experten mit Hochdruck an der Behebung des Ausfalls." Was das konkret bedeutet, hat die Deutsche Presse-Agentur recherchiert: Demnach sind Experten aktuell damit beschäftigt, alle Systeme und die zugehörigen Rechner im Landkreis und in der Landeshauptstadt Schwerin Stück für Stück einer eingehenden Prüfung zu unterziehen und erst danach wieder in Betrieb zu nehmen.

4000 Arbeitsplatz-PC mussten laut dem NDR nach der Attacke im Nordosten vom Netz genommen werden. "Wer mal seinen Rechner zu Hause aktualisiert hat, weiß, was das für Arbeit sein kann - und das jetzt 4000 Mal", zitiert der Sender den IT-Experten Birger Bösel. Dem Bericht zufolge wird es noch bis 2022 dauern, bis alle Bereiche der betroffenen Verwaltungen wieder im Normalbetrieb sind.

In normalen Zeiten würde diese Verwaltungsposse vermutlich nur in regionalen Medien Platz finden. Doch der anhaltende IT-Ausfall hat bundesweite Konsequenzen. Denn seit dem Cyberangriff sind die Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) zum aktuellen Corona-Geschehen unvollständig. Der flächenmäßig zweitgrößte Landkreis bleibt auf der Deutschlandkarte des Instituts mit 411 Kreisen und Städten einfach ausgegraut. Angaben zu Neuinfektionen, Todesfällen, Inzidenzen etc. fehlen.

RKI spricht von "technischen Gründen"

Das bedeutet: Die täglich vom RKI gemeldeten Fallzahlen sind etwas zu niedrig, die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz nicht ganz exakt. Dabei sind einzelne Werte aus dem Landkreis durchaus bekannt. Im täglichen Lagebericht des Landesamtes für Gesundheit und Soziales in Mecklenburg-Vorpommern (Lagus) werden die Eckdaten aus Ludwigslust-Parchim mitgeliefert. Und auch auf der Website des Landkreises sind die Angaben prominent zu finden. Am Dienstag wurden beispielsweise 122 neue Fälle gemeldet. Die Sieben-Tage-Inzidenz beträgt demnach 152,5.

Auf diese Daten bezieht sich auch ntv.de für die Deutschlandkarte der Regionen. Anders als beim RKI wird der mecklenburgische Landkreis dementsprechend nicht ausgegraut. Bei spezielleren Auswertungen, etwa zur Fallinzidenz nach Altersgruppen, ist allerdings auch bei den Grafiken von ntv.de ein grauer Fleck zu sehen. Auf die Frage, warum nicht auch das RKI die vorhandenen Angaben der Landesbehörde übergangsweise übernimmt, heißt es aus der Pressestelle lediglich: "Die Auswertung der Meldedaten und Weiterbearbeitung erfolgt automatisiert. Eine 'händische' Eingabe ist aus technischen Gründen nicht möglich."

Beim Lagus hat man sich nach eigenen Angaben an die Umstände angepasst. Weil eine elektronische Übermittlung der Daten derzeit nicht funktioniert, erfolge die Berichterstattung bis auf Weiteres in Form eines täglich angepassten Kurz-Lageberichts, heißt es. Darin würden die wichtigsten Daten aller Landkreise und kreisfreien Städte zum Infektionsgeschehen eingearbeitet. "Das betroffene Gesundheitsamt übermittelt diese Daten manuell." Wie der "Nordkurier" berichtet, erfolgt die Nachverfolgung von Kontaktpersonen in Ludwigslust-Parchim seit Mitte Oktober analog: "per Stift, Zettel und Telefon".

Seit Beginn der Pandemie sind in Ludwigslust-Parchim bisher 9306 Infektionen bestätigt worden. 276 Personen kamen nach Angaben des Kreises im Zusammenhang mit Covid-19 ums Leben. Im bundesweiten Vergleich mögen das niedrige Zahlen sein. Sollte das IT-Problem im Nordosten behoben sein, dürften dennoch einige Hundert Fälle und auch Todesfälle vom RKI nachgemeldet werden. Dass im zweiten Jahr der Corona-Krise ein augenscheinlich lapidares Übermittlungsproblem für eine dauerhafte Daten-Lücke bei der Bundesbehörde sorgt, ist allerdings denkbar unnötig.

Das Meldesystem Schwerins ist derweil übrigens kein Problemfall: Anders als das Gesundheitsamt von Ludwigslust-Parchim setze die Landeshauptstadt nämlich nicht auf die Software SORMAS, sondern auf das Programm SURFnet, das auch vom RKI genutzt wird. Wie eine Kreissprecherin aus Parchim der dpa erläuterte, wird normalerweise eine Schnittstelle genutzt, um Daten zwischen den beiden genannten Programmen auszutauschen. An dieser werde gearbeitet, funktionsbereit sei sie jedoch aktuell nicht. Auch eine direkte Übertragung der Tausenden Datensätze von SORMAS in SURFnet sei nicht möglich, hier könne es nach Angaben des Softwareanbieters zu Dopplungen der Falldaten kommen.

Quelle: ntv.de, mit dpa

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