Musik

Hol das Haarspray raus! The Cure sind immer noch Eighties

Robert Smith, Frontmann von The Cure, bei einem Konzert in Valencia 2008.

Robert Smith, Frontmann von The Cure, bei einem Konzert in Valencia 2008.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Sie prägten eine Dekade, danach war Schluss, aber da sind sie immer noch: Mit der neuen Version von "Disintegration" überzeugen The Cure auch heute mit ihrer 80er-Jahre-Mucke.

"Hier beginnen die Eighties", schrieb das Fachblatt Melody Maker 1979 zum Album "Three Imaginary Boys", dem ersten von The Cure. 1989 hätte das Magazin anlässlich der Veröffentlichung von "Disintegration" durchaus behaupten können: "Hier hören die 80er wieder auf." Robert Smith und sein vornehmlich aus Schulfreunden und ehemaligen Roadies immer wieder neu zusammen gewürfeltes Ensemble hatten die ablaufende Dekade mehr als nur musikalisch mitdefiniert. Smiths klagender Tenor wurde ebenso zum Markenzeichen wie seine ausufernde Haarpracht: Ganze Horden von Zehntklässlern verbrauchten pro Wochenende eine volle Dose Haarspray, um Songs wie "Close to me" oder "Why can't I be you" auf der Tanzfläche stilecht würdigen zu können. Grufties nannte man diese Fans gemeinhin. Smith selbst hatte mit dieser Bezeichnung zwar so seine Problemchen - wer sich aber konsequent schwarz kleidet und davon singt, nachts von einer Riesenspinne gefressen zu werden, muss damit rechnen, nicht als ausgemachter Sunnyboy in die Popgeschichte einzugehen.

Mut zur Überlänge

Dieses "Lullaby" war die erste Singleauskopplung von "Disintegration" und zugleich ihr mit Abstand größter Hit in Deutschland: Als Nummer drei in den Charts ist der Titel bis heute der einzige Song von The Cure in den hiesigen Top Ten. Das Album erreichte sogar Platz zwei - dabei hatte die oberste Etage der Plattenfirma einen kommerziellen Selbstmord vorhergesagt, als sie "Disintegration" zum ersten Mal vorgespielt bekam. Und so ganz Unrecht hatten die von Smith so ungeliebten Pfeffersäcke eigentlich nicht: Mit Ausnahme der beiden Hits "Lullaby" und "Lovesong" zeigten The Cure auf "Disintegration" einen nicht immer nachvollziehbaren Mut zur Überlänge. Selbst das ebenfalls als Single ausgekoppelte "Pictures of you" wagt einen zweiminütigen (!) Instrumentaleinstieg, bevor Fat Rob die erste Strophe anstimmt. Schlussendlich ist es aber genau diese Verweigerung gegenüber dem Mainstream, die das Verfallsdatum von Cure-Platten deutlich über das ihrer selbstinszenierten Mode setzt. Vielleicht ist es daher gar nicht so erstaunlich, dass neuzeitliche, von The Cure inspirierte Musik überhaupt nicht mehr dem Gruftietum zugerechnet wird, sondern bestenfalls frei erfundenen Schubladen wie Neo Wave oder Romantic Pop - was, natürlich, alles Nonsens ist.

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The Cure hatten Ende der 80er ihren eigenen kleinen Mikrokosmos, und Robert Smith ist noch heute stolz darauf. Er selbst legte im vergangenen Jahr Hand an die Mastertapes, um den Klang für die jetzt erschienene Deluxe-Edition aufzubereiten. Das Set besteht insgesamt aus drei CDs, die neben dem kaum veränderten - man könnte sagen, dem unverfälschten - Originalalbum eine Live-CD und eine weitere mit Raritäten enthält. Wünschenswert wären da exquisite Single-B-Seiten wie "Babble" oder "2 Late" gewesen; stattdessen gibt es die ersten Heimaufnahmen und Proberaummitschnitte der Band für "Disintegration" zu hören, was ausschließlich dem hartgesottenen Sammler eine Freude sein dürfte. Sehr schön an der Live-CD ist dagegen, dass sie das komplette Album "Entreat" - seinerzeit streng in der Auflage limitiert - jetzt als "Entreat Plus" mit vier weiteren Titeln enthält. Alles vom Meister höchstselbst ausgesucht, zusammengestellt und technisch überarbeitet.

Very Eighties, very good

So mancher Fan könnte jetzt argwöhnen, der gute Robert möge doch bitte mal wieder so eine feine Platte wie "Disintegration" aufnehmen, statt sich die Zeit mit dem Säubern der alten Magnetbänder zu vertreiben. Dem könnte man entgegenhalten, dass The Cure seit 1989 eigentlich nicht anderes mehr gemacht haben. "Disintegration" ist - gemessen an allem danach - der Höhepunkt ihrer künstlerischen Entwicklung. Sehr 80er, um es auf Neudeutsch zu sagen. Insofern hatte der Melody Maker mit seiner 79er Prognose absolut Recht. Der Wuschelkopf hat mit seiner Truppe das Jahrzehnt geprägt. Die Dekade ist mittlerweile lange vorbei. The Cure aber sind immer noch, nun ja, very Eighties und very good.

Quelle: ntv.de

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