Politik

Europa im Sezessionsfieber Wie die Schotten, so die Katalanen?

Auch die Katalanen stimmen in einem Referendum im November über ihre Unabhängigkeit ab. Aber anders als in Schottland ist die Abstimmung rechtlich umstritten.

Auch die Katalanen stimmen in einem Referendum im November über ihre Unabhängigkeit ab. Aber anders als in Schottland ist die Abstimmung rechtlich umstritten.

(Foto: REUTERS)

Die Briten feiern in einigen Tagen möglicherweise eine Premiere. Erstmals droht einem EU-Staat der Verlust eines Landesteils. Der Fall Schottland könnte einen Dominoeffekt auslösen - denn nicht nur auf der Insel gibt es Abspaltungstendenzen.

Am 18. September gilt es: Dann entscheiden die Schotten über ihre politische Zukunft. Diese liegt entweder, und wie schon seit mehr als 300 Jahren, in Großbritannien oder aber in einem eigenen Staat. In der Regel erfreuen sich Wahlen in dem Fünf-Millionen-Einwohner-Land nur begrenzter Aufmerksamkeit, doch diesmal schauen Menschen aus ganz Europa hin. Denn das Referendum hat Signalwirkung. Erstmals in der Geschichte der EU droht einem Mitgliedsstaat der Verlust eines Landesteils.

"Wenn es bei den Schotten jetzt so einfach klappt, würden natürlich andere separatistische Bewegungen sagen: Es geht doch. Treten wir einfach aus unserem Heimatland aus und gehen in die EU", sagt der Ökonom Berthold Busch. Die Schotten sind längst nicht die einzigen in Europa, die ihr Heimatland verlassen und einen unabhängigen Staat gründen wollen. Eine ganze Reihe von Regionen kämpft teilweise schon seit Jahrzehnten für die Abspaltung - mit unterschiedlichen Erfolgsaussichten.

Die, die wohl am prominentesten nach Unabhängigkeit streben, sind die Katalanen. Katalonien, 7,6 Millionen Einwohner stark und eine der wohlhabendsten Regionen Spaniens, hat seit 1978 den Status einer autonomen Gemeinschaft. 2006 wurde die Eigenständigkeit erweitert. Vielen geht dies jedoch nicht weit genug. 74 Prozent der Katalanen, darunter auch Bayern-Trainer Josip Guardiola, fordern die Gründung eines eigenen Staates. Die Separatisten beklagen die hohen Transferleistungen an Madrid unter dem Slogan "Spanien bestiehlt uns" und wollen künftig eigene Steuern erheben.

Auf Betreiben des katalanischen Regierungschefs Artur Mas findet am 9. November ein Unabhängigkeits-Referendum statt. Mit einem entscheidenden Unterschied zu Schottland: Die Loslösung ist rechtlich umstritten. Laut der spanischen Verfassung müsste die Abspaltung nicht nur von den Katalanen, sondern von den Spaniern insgesamt gebilligt werden. Das Referendum "darf und wird auch nicht stattfinden", sagt Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy. Christdemokrat Mas will das Votum aber wie geplant durchführen.

Basken, Korsen und Flamen

Liegen politisch über Kreuz: Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy (l.) und der Regierungschef Kataloniens, Artur Mas.

Liegen politisch über Kreuz: Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy (l.) und der Regierungschef Kataloniens, Artur Mas.

(Foto: REUTERS)

Nicht nur die Katalanen streben innerhalb Spaniens nach Eigenständigkeit, sondern auch die Basken. Deren damaliger Regierungschef Juan José Ibarretxe scheiterte zwar vor einigen Jahren mit seinem "Unabhängigkeitsplan", aber am Willen der nationalen Minderheit in der spanisch-französischen Grenzregion ändert dies nichts. Erst im Juni bildeten 100.000 Basken zwischen Durango und Pamplona eine 123 Kilometer lange Menschenkette für Unabhängigkeit. Mittelfristig ist eine Loslösung wohl eher unwahrscheinlich, dennoch dürfte man im Norden Spaniens Mitte September aufmerksam in Richtung Schottland schauen.

Auch knapp 900 Kilometer Luftlinie entfernt vom Baskenland ist der Begriff Separatismus historisch. Über Jahrzehnte kämpfte die Frontu di Liberazione Naziunalista Corsu mit Bombenanschlägen für die Unabhängigkeit Korsikas von Frankreich. Paris räumte der Mittelmeerinsel in der Vergangenheit zwar zunehmend mehr Rechte ein, blockiert jedoch eine Abspaltung der Korsen. Diese würde möglicherweise eine Kettenreaktion auslösen und auch in anderen französischen Bevölkerungsteilen - zum Beispiel unter Bretonen, Elsässern und Savoyarden - Sezessionstendenzen wecken.

Die lodern nördlich von Frankreich bereits kräftig. Die Neu-Flämische Allianz, kurz N-VA, die bei der belgischen Parlamentswahl im Mai stärkste Partei wurde, würde das Land in seinen jetzigen Grenzen gerne abschaffen. Ihr Vorsitzender Bart De Wever fordert zunächst Autonomie für Flandern, später die Unabhängigkeit von der armen im Süden Belgiens gelegenen Wallonie. Beide Landesteile gingen 1830 aus dem Zerfall der Niederlande hervor. Seitdem schwelt der Streit zwischen Flamen und Wallonen. Einige Experten raten in den seit mehr als drei Monaten andauernden Koalitionsverhandlungen sogar dazu, die N-VA in eine Regierung einzubinden - um das Auseinanderbrechen Belgiens zu verhindern.

"Bayern kann es auch allein"

Ein mit Belgien vergleichbares Gefälle zwischen reichem Norden und armem Süden befördert auch in Italien immer wieder Separationsbestrebungen. Vor allem die rechtspopulistische Partei Lega Nord setzte sich für die Unabhängigkeit Norditaliens ein. Parteichef Umberto Bossi fordert in den 90ern die Gründung des Phantomstaates "Padanien". Vor allem in Südtirol und Venetien sind die Unabhängigkeitsbemühungen immer noch aktuell. Das deutschsprachige Südtirol genießt in Italien seit 1946 den Status einer selbstverwalteten Provinz mit vielen Autonomierechten. Das genügt jedoch nicht allen der 500.000 Einwohner. Einige fordern die Vollautonomie von Italien. Ihnen missfällt, dass ihre Regierung jedes Jahr viele Millionen in die italienische Staatskasse zahlen muss.

Auch in der Region um Venedig reizt viele Menschen der Gedanke, nicht mehr zu Italien zu gehören. Eine informelle Volksbefragung, bei der sich 2,3 der 5 Millionen Einwohner der Region beteiligten, ergab eine klare Mehrheit von 89 Prozent für eine Abspaltung von Rom und Süditalien. Luca Zaia, der Präsident von Venetien, beruft sich auf das internationale Recht zur Selbstbestimmung. Infolgedessen berichteten auch russische Medien im Frühjahr im Zusammenhang mit dem illegalen Krim-Votum fleißig über das "Referendum". Dass dieses politisch folgenlos blieb, wurde dabei gern übersehen.

Und Deutschland? In der Bundesrepublik gibt es keine ernstzunehmende Sezessionsbewegung. Einzig in Bayern gibt es regelmäßig Personen, die das Thema ansprechen. Zum Beispiel Wilfried Scharnagl. In seinem Buch "Bayern kann es auch allein: Plädoyer für den eigenen Staat" kokettierte der CSU-Mann und enge Vertraute von Franz Josef Strauß vor zwei Jahren mit der Abspaltung. "Mitte der 1980er hätte auch noch niemand geglaubt, dass etwa Litauen, Lettland oder Estland 20 Jahre später freie Länder sein würden. Landkarten sind nicht für die Ewigkeit", sagte Scharnagl damals. "Wenn man das Thema richtig anpacken würde, gäbe es viele Möglichkeiten. Das ist wie bei der nach oben offenen Richterskala bei Erdbeben."

Quelle: ntv.de, mit dpa

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