Infografik

R-Wert: Kennzahl zur Corona-Lage Der aktuelle Stand der Ansteckungsrate

Prominente Kennziffer, komplexe Berechnung: Die vom Robert-Koch-Institut veröffentlichte Reproduktionszahl R soll die Trends im deutschen Corona-Infektionsgeschehen abbilden, leidet aber unter gewissen Schwächen. Wie entwickelt sich der sogenannte R-Wert?

Deutschland sucht seit Beginn der Coronavirus-Pandemie nach belastbaren Kennzahlen zur Einschätzung der Infektionslage. Die Ansteckungsrate, kurz: der R-Wert, steht dabei seit Frühjahr 2020 im Vordergrund, bietet aber bestenfalls nur grobe Anhaltspunkte, wie es um die Trends im deutschen Infektionsgeschehen steht.

Der Grund: Die Reproduktionszahl R - auch bekannt als "Sieben-Tage-R" - ist zwar eine gängige Kennzahl unter Epidemiologen. Für den Einsatz im Rampenlicht der Öffentlichkeit aber ist diese Kennziffer denkbar schlecht geeignet. Dafür ist die Berechnung zu komplex, das Ergebnis zu vage. Von Nutzen ist der R-Wert als Indikator bestenfalls in der Zusammenschau mit weiteren Daten zur Coronavirus-Pandemie.

Das Problem: Die deutsche Ansteckungsrate liefert mittlerweile kaum noch belastbare Aussagen zur Pandemiesituation. Die rechnerisch ermittelte Zahl sollte angeben, wie viele Personen ein Infizierter im Durchschnitt ansteckt. Die aufwändig berechnete Kennziffer basiert jedoch letztlich nur auf den Meldedaten. Hier stößt das RKI auf zunehmende Schwierigkeiten.

Im Prinzip beschreibt der R-Wert nur, mit wie vielen Folgeansteckungen je Infektionsfall gerechnet werden muss. Grundlage für die Berechnung sind Schätzwerte zur Anzahl der Infektionen aus zwei aufeinanderfolgenden Vergleichszeiträumen aus den vergangenen Tagen (Details der Methodik beschreibt das RKI hier). Verzögerungen im Meldesystem können das Ergebnis schnell verzerren. In Zeiten niedriger Fallzahlen führen einzelne Ausbrüche schnell zu enormen Ausschlägen, in Phasen flächendeckender Ansteckungswellen bewegt sich der R-Wert dagegen kaum.

Bei den vom RKI tagesaktuell veröffentlichten Angaben zum R-Wert handelt es sich so oder so nur um Schätzungen auf Basis der bisher vorliegenden Fallmeldungen. Die Angaben werden vom RKI nachträglich korrigiert, sobald neuere Daten vorliegen. Dies führt in der Regel dazu, dass das RKI die tagesaktuell berichteten R-Werte nach oben korrigieren muss: Der revidierte R-Wert zeigt ein etwas schärferes Bild der Infektionsdynamik.

In der Omikron-Welle haben sich die Rahmenbedingungen jedoch grundsätzlich verändert. Der starke Anstieg der Fallzahlen im Januar und Februar 2022 brachte nicht nur das deutsche Meldesystem an seine Grenzen. Die eingeschränkte Verfügbarkeit von PCR-Tests kann auch die Berechnung des R-Werts schnell aushebeln. Dazu ein Beispiel: Wenn die Gesundheitsämter am Anschlag arbeiten, kann die Zahl der laborbestätigten Infektionen nicht weiter ansteigen. Der R-Wert würde vorerst um Werte von 1,0 pendeln - bis die Meldezahlen wieder spürbar sinken.

Der R-Wert hat aber nicht nur deshalb an Aussagekraft eingebüßt. Die Berechnung der Reproduktionszahl beruht auch auf angenommenen Eigenschaften des Virus, die sich mit der Vorherrschaft von Omikron längst verändert haben könnten. Es gibt Hinweise, dass Omikron nicht nur ansteckender ist, sondern auch kürzere Generations- und Inkubationszeiten aufweist.

Die veränderten Eigenschaften des vorherrschenden Erregertyps könnten nach Einschätzung des RKI dazu führen, dass die Berechnung des R-Werts grundlegend angepasst werden müsste. Bisher wird noch mit einer mittleren Dauer von vier Tagen zwischen Infektion und Weitergabe des Virus kalkuliert. Die Überarbeitung läuft. Ein Termin für die Neuauflage des R-Werts unter Berücksichtigung der Omikron-Eigenschaften steht noch aus.

Die Basisreproduktionszahl unterscheidet sich von Erreger zu Erreger. Beim Coronavirus wurde die theoretische Ansteckungsrate zunächst auf ungefähr 3 geschätzt, für die Corona-Varianten Delta und Omikron liegt die Reproduktionszahl wohl deutlich höher. Normale Erkältungsviren kommen auf Werte zwischen 2 und 3, die echte Influenza liegt irgendwo zwischen 0,9 und 2,1. Für Windpocken wird sie mit 10 bis 12 angegeben, bei den Masern bewegt sie sich zwischen 12 und 18.

Wie geht es mit dem R-Wert weiter? Das Robert-Koch-Institut (RKI), das die Angaben mit einem täglich berechneten Stand und einem Stand inklusive Nachmeldungen veröffentlicht, rückte diese Kennzahl zu Beginn der Pandemie aus gutem Grund mit in den Vordergrund. Der R-Wert war von Anfang an Teil der politischen Entscheidungsgrundlage - und damit selbstverständlich auch von öffentlichem Interesse. Als ein Indikator unter vielen wird die Ansteckungsrate weiter von Bedeutung bleiben.

Die prominente Rolle, die der R-Wert in der Berichterstattung lange genoss, kann die Kennziffer in ihrer aktuellen Form vorerst nicht beanspruchen. Dabei kam die öffentliche Aufmerksamkeit nicht aus heiterem Himmel: Stark befördert wurde das Interesse an der Ansteckungsrate auch durch Verlautbarungen des RKI: Erklärtes Ziel war und ist es, den aus den Meldedaten gewonnenen R-Wert deutlich unter die kritische Marke von 1,0 zu drücken. Ein R-Wert über 1,0 steht auch weiterhin für ein exponentielles Wachstum der Fallzahlen.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen