Er ist (leider) wieder daXavier Naidoo: Schuld sind immer die anderen
Von Nicole Ankelmann
Einige Jahre herrscht nahezu Funkstille in Bezug auf Xavier Naidoo. Nun kehrt der durch antisemitische und verschwörungstheoretische Aussagen in die Negativschlagzeilen geratene Musiker auf die Bühne zurück. Seine Fans freut's, seine Kritiker nicht. Doch wer hat nun recht?
Sechs Jahre war Xavier Naidoo aus der Öffentlichkeit und von der großen Bühne verschwunden. Am Dienstagabend kehrte er nun in Köln auf eben diese zurück und spielte das erste Konzert seiner "Bei meiner Seele"-Tour in der ausverkauften Lanxess-Arena. Ein weiteres wird am heutigen Mittwochabend folgen, ehe er im neuen Jahr noch Berlin und Leipzig mit seiner Anwesenheit beglückt.
Die Freude über Xavier Naidoos Rückkehr ist bei seinen Fans riesig, bei allen anderen ist sie verhalten bis nicht vorhanden. Man kann wohl sogar so weit gehen, von Unverständnis und Entsetzen darüber zu sprechen. Warum bekommt jemand, der sich über Jahre hinweg durch Antisemitismus, die Nähe zum Reichsbürgertum und zahlreiche Verschwörungsmythen in der und um die Corona-Pandemie herum ins Aus geschossen hat, dann doch wieder einen derartigen Rahmen geboten?
Einer, der deutsche Musikgeschichte schrieb
Zugegeben, es gab eine Zeit, in der Xavier Naidoo - zunächst als Teil der Söhne Mannheims, ab 1998 dann auch solo - deutsche Musikgeschichte schrieb. Sein Debütalbum "Nicht von dieser Welt" verkaufte sich über eine Million Mal, auch die darauffolgenden Werke gingen einen ähnlichen Weg, der damals noch ein leichter war. Erste Anzeichen dessen, was später zum medialen Absturz seines Erlöser-Images führen würde, gab es zwar, doch wurden die gern übersehen.
So gab Xavier Naidoo schon 1999 in einem Interview mit dem "Musikexpress" zu, ein "Rassist ohne Ansehen der Hautfarbe" zu sein. Er bezeichnete sich selbst gern als den "N**** aus Kurpfalz". Zuvor hatte Naidoo in dem Gespräch erklärt, im Falle plötzlichen Reichtums lieber seiner Stadt Mannheim helfen zu wollen als "Tieren oder Ausländern". Des Weiteren ging es viel um seine Hinwendung zu Gott, und auch sonst schwadronierte Naidoo schon damals mächtig herum. Bis zur QAnon-Verschwörung, der er ebenfalls anhängig gewesen ist, war es dann ein kürzerer Weg, als man je geglaubt hätte.
Nach und nach brach sich dieser dunkle Teil des angeblich bloß vom Glauben verklärten Musikers weiter Bahn und ließ sich auch vor der breiten Öffentlichkeit nicht mehr verbergen. Deutschland sei kein echtes Land, so Naidoo beispielsweise 2011 im ARD-"Morgenmagazin". Eine Ansicht, die er in den darauffolgenden Jahren mehrfach wiederholte und die in einem Auftritt vor 300 Reichsbürgern vor dem Reichstagsgebäude 2014 gipfelte. Hier wollte er angeblich Brücken bauen - zu Menschen, die diese unbedingt verbrennen wollen. Es ginge ihm nur um Liebe, sagte Naidoo ins Mikrofon. Anschließend gesellte er sich noch zu einer Versammlung vor dem nicht weit entfernten Kanzleramt dazu, wo der bekennende Antisemit Carsten Halter gegen Israel, die Nato und die Haltung Deutschlands im Ukraine-Konflikt wetterte. Ein Problem mit all dem hatte Xavier Naidoo nicht. Im Gegenteil.
Rassist, Antisemit, QAnon-Gläubiger
Nun könnte man meinen, das sei das Aus für seine Karriere gewesen. Doch mitnichten. Stattdessen hielten viele noch zu ihm, als erste Forderungen zum Canceln des "Ausnahmekünstlers" laut wurden. 2015 stellte sich die "Kulturprominenz" Deutschlands sogar in einer ganzseitigen Anzeige in der "FAZ" hinter Naidoo. Auslöser war der Umstand, dass er wegen rechter Äußerungen von der ARD-Show "Unser Song für Österreich", dem ESC-Vorentscheid, ausgeladen worden war.
Die Anzeige trug den Titel "Menschen für Xavier Naidoo", und zu den 121 Unterzeichnenden gehörten Jan Josef Liefers, Til Schweiger, Jan Delay, Farid Bang und Mario Adorf. Bezahlt wurde sie von Marek Lieberberg, langjähriger Ausrichter von Naidoos stets ausverkauften Konzerten. Und auch jetzt ist es seine Veranstaltungsagentur Live Nation, die für die Auftritte in Köln, Berlin und Leipzig verantwortlich zeichnet. Dass Lieberberg, der selbst Jude ist, den Musiker trotz all seiner antisemitischen Aussagen der vergangenen Jahre weiterhin unterstützt, verbuchen viele als Beleg dafür, dass der 54-Jährige eigentlich doch gar kein Antisemit sein kann. Dass ihn und Lieberberg stattdessen schlicht eine Art gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis verbindet, ist natürlich eine reine Unterstellung.
Dabei hielt Naidoo mit seinem Antisemitismus doch nie hinter dem Berg. Schon in seinem Song "Raus aus dem Reichstag" von 2009 ging es nicht nur um die Regierung, die ihr Volk hasst, um Korruption und Lobbyismus, sondern auch um Juden und die angebliche Weltverschwörung: "Baron Totschild gibt den Ton an, und er scheißt auf euch Gockel / Der Schmock ist'n Fuchs und ihr seid nur Trottel." Im 2020 veröffentlichten "Goldwagen/Goldwaagen" bemüht er einen weiteren Verschwörungsmythos: "9/11, London und Madrid / Jeder weiß, dass al-Qaida nur die CIA ist." Ob Naidoo den 7. Oktober 2023 oder das kürzliche Attentat auf Juden in Sydney ebenfalls für "False Flag"-Aktionen des Mossad oder der CIA hält, ist nicht bekannt, aber unter diesen Vorzeichen durchaus vorstellbar. Überhaupt war er lange oder ist auch heute noch - wer weiß das schon - der Meinung, dass Deutschland ein von den USA besetztes Land sei. Im Song "Wo sind sie jetzt?" schwadronierte er 2021 mit Kool Savas vom QAnon-Mythos, fantasierte über Homosexualität, Pädophilie und Ritualmorden an Kindern.
2015 verteidigte Marek Lieberberg seinen beispiellosen Einsatz in der "FAZ" so: "Wir fühlen uns Xavier Naidoo verbunden, und zwar nicht erst seit heute und gestern, sondern über Jahrzehnte hinweg." Oder auch: "Ich verstehe die Diskussion. Aber ich bleibe dabei: Xavier Naidoo ist weder antisemitisch noch homophob. Da gibt es viele Missverständnisse und Widersprüche." Daran scheint sich bis heute nichts geändert zu haben. Zumindest hat man sich von Live Nation anlässlich der aktuellen Tour nur zu einer kurzen Stellungnahme hinreißen lassen. Und außer "eine Entschuldigung ist eine Entschuldigung" gab es da wohl nichts weiter zu sagen.
Eine fadenscheinige Entschuldigung
Diese Entschuldigung scheint ohnehin das Argument für alle zu sein, die nun öffentlich wieder fest an der Seite Naidoos stehen - darunter Oliver Pocher, Kontra K und Pietro Lombardi. Gemeint ist ein gerade einmal dreiminütiges Video, das der Mannheimer 2022 auf seinen Kanälen veröffentlichte. Darin sprach er von "verstörenden Äußerungen" seinerseits in der Vergangenheit, er habe sich teilweise auf "Irrwegen" befunden. Der russische Angriffskrieg habe ihn zum Umdenken bewegt, denn seine Frau stammt aus der Ukraine. Er habe angefangen, sich selbst zu hinterfragen, so Naidoo. Dafür sei er "dankbar". Er habe versucht, sich als eine Art "Wahrheitssucher" zu definieren, doch habe er sich auf diesem Weg "in vielen Abzweigungen verrannt" und sei "von Verschwörungserzählungen geblendet" worden. Dann distanzierte er sich noch von "allen Extremen", insbesondere von "rechten und verschwörerischen Gruppen".
Das war's? Fall geschlossen? Zurück zur Tagesordnung? Für Xavier Naidoos Fans und Freunde kein Problem, für viele andere schon, denn seine "Entschuldigung" - die nicht mal eine Bitte um Entschuldigung war - überzeugte kaum, dafür war alles Gesagte viel zu vage. Und so passiv, wie er seine Rolle darstellte, war sie bei Weitem nicht. Dieses Video hätte der Anfang einer echten Rehabilitation sein können, doch folgte dem nichts weiter - außer einer Verurteilung wegen Volksverhetzung 2024. Bis im Sommer 2025 die neuen Konzerte angekündigt wurden und binnen kürzester Zeit ausverkauft waren. Der Erfolg gibt ihm also in Teilen Recht - so traurig und desillusionierend man das auch finden mag.
Aber Xavier Naidoo ist ja auch nicht der Einzige, dem zumindest einige Menschen jedes noch so unrühmliche Verhalten, jede noch so unsägliche Aussage verzeihen. So steht sein Corona-Schwurbler-Kollege Michael Wendler ebenfalls wieder auf Bühnen, wenn auch auf deutlich kleineren und vor wesentlich weniger Anhängern. Der wegen Gewalt an seiner Ex verurteilte Jérôme Boateng bekommt von der ARD eine dreiteilige, recht unkritische Doku-Serie spendiert. Und Till Lindemann spielt eine ausverkaufte Tournee nach der anderen, "Casting-Direktorin" Alena Makeeva darf angeblich auch wieder mit.
Einmal Fan, immer Fan?
Fans bleiben eben oft auch dann noch Fans, wenn das Fehlverhalten ihres Lieblings nicht mehr von der Hand zu weisen ist. Wenn sie bei genauer Betrachtung und dem gleichzeitigen Verzicht auf das Messen mit zweierlei Maß zugeben müssten, dass ihr Fan-sein eigentlich nicht länger vertretbar ist. Sie verzeihen ihrem Star Dinge, die sie bei anderen Menschen lautstark anprangern würden. Plötzlich spielt Moral keine Rolle mehr, dafür der juristische Begriff der Unschuldsvermutung eine umso größere. Mit einem Mal ist die Kunst vom Künstler zu trennen. Rassistische, misogyne, homophobe, transfeindliche und antisemitische Aussagen oder übergriffiges Verhalten sind für sie entweder "frei erfunden" oder eine Frage der Auslegung.
Loslassen ist eben gerade in unsteten Zeiten schwierig. Zu gern macht man es sich in der Verklärung bequem und sehnt sich nach der Geborgenheit vergangener Tage zurück. Und diese ist nun mal eng verbunden mit der Musik aus jenen - meist subjektiv betrachtet - besseren Zeiten. In Köln sagte Xavier Naidoo jetzt zum Publikum: "Ihr seid Schuld, dass ich hier steh'". Und: "Ich bedanke mich bei der Familie Lieberberg, sie hat immer an mich geglaubt." Zumindest in diesen beiden Punkten hat er wohl absolut Recht.