Afrikanische Albträume Am Ende der Zivilisation
07.02.2007, 14:30 UhrDie moderne Mediengesellschaft hat das Bild vom globalen Dorf zum gängigen Topos werden lassen. Kern dieses Bildes ist die Annahme der zunehmenden Vereinheitlichung der Welt. Dabei wird implizit ein universaler Entwicklungsprozess suggeriert, der Abweichungen kaum noch zur Kenntnis nimmt bzw. in die Rubrik Kurioses verweist. Nur die Krisenbilder vom afrikanischen Kontinent, die den Westen in periodischen Abständen erreichen, passen so gar nicht in diese Weltsicht. Die Folge: Es gibt kaum Berichte, die den ernsthaften Versuch unternehmen, die Lebenswirklichkeit in weiten Teilen des Kontinents darzustellen.
Literarische Reportagen
Dieser Mangel an journalistischer Beschäftigung ist zwar ärgerlich, lässt aber auch breiten Raum für alternative Ansätze, der afrikanischen Realität auf die Spur zu kommen. Einen gelungenen Versuch stellen etwa die literarisch inspirierten Reisereportagen des amerikanischen Autors Autor Denis Johnson dar. Drei seiner Berichte sind nun unter dem Titel „In der Hölle. Blicke in den Abgrund der Welt“ im Tropen-Verlag erschienen. Ihr besonderer Wert liegt darin, durch die künstlerische Verarbeitung der Erlebnisse das Unverständliche zumindest ein Stück weit zugänglich zu machen.
Seine erste Reise führt ihn nach Liberia des Jahres 1990. Die schwersten Kämpfe sind zwar beendet, die Verrohungen und Entmenschlichungen des Krieges sind jedoch allgegenwärtig und förmlich mit Händen zu greifen. Der Besuch im Hauptquartier eines Bandenführers bietet ein surreales Erlebnis: Der Anführer gibt dort mit seiner Reggae-Band „Rivers of Babylon“ zum Besten, um dann später ein Video vorzuführen, bei dem der Ex-Staatspräsident auf bestialische Weise gefoltert wird. Der zweite Bericht beschreibt eine Reise vom Grenzland Äthiopiens in die somalische Hauptstadt Mogadischu. Es ist das Jahr 1995, der Abzug der UN-Soldaten ist in vollem Gange. Unterwegs begegnen dem Autor Heerscharen entwurzelter und zugedröhnter Gestalten, die jeden Glauben auf eine bessere Zukunft aufgegeben haben, sofern sie ihn jemals hatten.
Der Rückzug der letzten Blauhelme aus Mogadischu bietet dann den Rahmen für die dort herrschende apokalyptische Endzeitstimmung – die Welt hat angesichts der somalischen Realität schlicht resigniert. Der dritte Bericht führt den Autor noch einmal nach Liberia zurück, wo er ein Interview mit dem selbsternannten Präsidenten und Kriegsfürsten Charles Taylor führen soll. Während einer Odyssee mit wahnwitzigen Erlebnissen beginnt der Autor langsam zu ahnen, dass seine Vorstellungen von Zivilisation und Ordnung in diesem Teil der Welt keine Gültigkeit besitzen und er weder über die Kraft noch den notwendigen Willen verfügt, sich einer Vereinnahmung durch einen Menschenschlächter wie Taylor zu widersetzen.
Blick in den Abgrund
Nun mag man zu Recht einwenden, dass der alleinige Fokus auf die beiden Extrembeispiele Liberia und Somalia die komplexe afrikanische Realität auf unzulässige Weise verkürzt und positive Entwicklungen einfach ignoriert. Dennoch bündeln gerade sie die für die westliche Betrachtungsweise so typischen Missverständnisse, Ängste und Irritationen wie unter einem Brennglas. Dem Autor geht es auch nicht darum, einem bequemen, selbstgefälligen Defätismus das Wort zu reden, sondern der eigenen Ohnmacht, Rat- und Fassungslosigkeit Ausdruck zu verleihen. Dabei gelingt es ihm meisterhaft den äußeren Zivilisationszerfall seiner eigenen inneren Fragilität gegenüberzustellen. Zupass kommt ihm dabei seine eigene Biografie, die von schweren Drogenexzessen und mentalen Erkrankungen gekennzeichnet ist.
Seine Botschaft lautet: Der Blick in den Abgrund ist meist tiefer als erwartet, im Kleinen wie im Großen. Für große Erklärungsansätze und Zukunftsvisionen bleibt da kein Raum. Als literarisches Mittel nutzt er einen knappen, klaren und von sparsamer (Selbst-)Ironie durchzogenen Erzählstil. Am Ende stellt sich beim Autor wie beim Leser schließlich ein Zustand der Demut ob der gesehenen Ungeheuerlichkeiten ein, der die erste Voraussetzung für ein tieferes Verstehen zu sein scheint.
Daniel Müller
Denis Johnson, "In der Hölle. Blicke in den Abgrund der Welt", Tropen Verlag, Berlin 2006, 192 Seiten,18,80 Euro
Quelle: ntv.de