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Interview mit Alia Yunis Kein Erfolg über Nacht

Mit ihrem Erstlingsroman "Feigen in Detroit" erobert Alia Yunis auf Anhieb die Bestseller-Listen. Dennoch kommt der Erfolg für die Drehbuchautorin nicht über Nacht. "Aber 'Feigen in Detroit' war ein Projekt, das ohne Enttäuschungen zum Ziel kam", erzählt Yunis n-tv.de.

n-tv.de: Frau Yunis, "Feigen in Detroit" ist Ihr erster Roman und hat es in den USA gleich auf die Bestseller-Listen geschafft. Haben Sie einen solchen Erfolg erwartet?

Alia Yunis: Als Drehbuchautorin beschäftige ich mich schon sehr lange mit dem Schreiben und gerade Drehbücher erfordern jede Menge Disziplin und Geduld. Es hat sich für mich also nicht so angefühlt, als ob der Erfolg über Nacht kam. Der Unterschied war, dass ich dieses Mal erleben durfte, wie ein Projekt ohne Enttäuschungen erfolgreich ans Ziel kommt. Beim Drehbuchschreiben erleben das nur wenige Glückliche.

Alia Yunis

Alia Yunis

Sie wurden in Chicago geboren, wuchsen in den USA, in Griechenland und im Mittleren Osten und zwar in Beirut auf. Sie arbeiteten lange in Los Angeles und jetzt seit zweieinhalb Jahren in Abu Dhabi. In welche Richtung geht das Flugzeug nach Hause?

Ehrlich gesagt habe ich nie das Gefühl, nach Hause zu kommen, egal, in welche Richtung ich fliege. Es geht nicht um den Ort, es geht um die Person, die dort auf mich wartet. Zum Beispiel lebt meine Mutter in Jordanien, also fühlt es sich dort wie eine Heimat an – ohne sie hätte ich aber wenig Grund nach Jordanien zu reisen. Dasselbe gilt für Virginia in den USA, dort lebt mein Bruder.

"Feigen in Detroit" ist ein Roman über eine arabisch-amerikanische Familie mit libanesischen Wurzeln, die Geschichte könnte aber für jede Familie mit Migrationshintergrund stehen – die Sehnsucht nach einer Heimat, die es so nicht mehr gibt, die Kinder, die deine Sprache nicht mehr sprechen, usw. Was für ein Publikum hat auf den Roman reagiert?

Das meiste Feedback habe ich von Diaspora-Familien gekriegt. Und ich meine jetzt nicht die Diaspora im politischen Sinne. Viele Familien leben nicht mehr zusammen an einem Ort, sondern sind über das ganze Land, in verschiedenen Städten verteilt, das betrifft nicht nur Migranten. Das Buch erinnert sie an ihre eigene Familie und daran, wie schwierig es ist, die Bande zusammenzuhalten. Im Grunde geht es um Entfremdung.

Magischer Realismus spielt eine große Rolle in Ihrem Roman. Scheherazade gibt dem Buch eine spezielle orientalische Note. Was war zuerst da? Die Idee, dem Buch den Rahmen von 1001 Nacht zu geben, oder Fatimas Geschichte?

Ich wollte, dass eine Geschichte zur nächsten führt, daher die Idee, Scheherazade als Figur einzuführen. Außerdem wollte ich, dass Fatima jemanden hat, mit dem sie ehrlich und offen reden konnte, und das konnte keine reale Figur sein, es musste jemand magisches sein, da kein Mensch Fatima zuvor zum Reden gebracht hatte. Ich liebe den magischen Realismus, wie ihn zum Beispiel Isabel Allende oder Gabriel Garcia Marquez verwenden. Und natürlich sind die Geschichten aus 1001 Nacht selbst magisch.

Sie haben das Buch Ihrer Familie gewidmet: Ihren Eltern und Ihrem Bruder. Das ist im Vergleich zu Fatimas eine relativ kleine Familie. Aber sind Sie auch Teil einer Großfamilie, wie Sie sie in dem Buch beschreiben?

Im Kern gibt es wirklich nur meine Eltern, meinen Bruder und mich – wir sind fast Zwillinge, nur 18 Monate auseinander. Aber mein Vater hatte 12 Brüder und Schwestern und meine Mutter 8 Geschwister, also habe ich eine Menge Cousins und Cousinen, obwohl meine Generation nicht mehr so viele Kinder hat.

Meine Cousins und ich sind wirklich sehr unterschiedlich, was auch an der jeweiligen Erziehung und den verschiedenen Orten liegt, an denen wir aufgewachsen sind. Selbst mein Bruder und ich sind sehr unterschiedlich, obwohl wir uns sehr nahe stehen. Einige meiner Cousins fanden das Buch wirklich offensiv, andere fanden es noch zu zahm – sie sehen die Welt schwärzer als ich.

Wieviel von der wirklichen Familie oder Freunden oder gar Ihnen selbst steckt denn in den Romanfiguren?

Ich habe niemanden absichtlich portraitiert, es ist eher eine Mischung aus Leuten und Dingen, die ich gut kenne. Aber es ist eine Familiengeschichte und dementsprechend hat meine Familie etwas empfindlich reagiert. Bei einer Lesung in LA kam beispielsweise einer meiner Cousins zu mir und hat mich gefragt: "Warum hast Du den Alkoholiker nach mir benannt?" Ich versicherte ihm, dass ich beim Schreiben gar nicht an ihn gedacht hätte, aber das gefiel ihm dann auch nicht. Aber ehrlich gesagt ist es nicht so, als ob meine ganze Familie das Buch gelesen hätte. Sie greifen doch lieber zu einem Sudoku als zu einem Roman.

Das Echo in den Medien war sehr enthusiastisch und feierte den intimen Einblick in eine arabisch-amerikanische Familie. Gab es von der arabischen Gemeinde Bedenken, dass das Buch quasi zuviel verraten könnte und die Moslems in den USA noch mehr Kritik auf sich ziehen?

Nahezu alle Reaktionen auf das Buch kamen von außerhalb. Die Ausnahme waren einige arabisch-amerikanische Freunde, die sich in dem Buch wiedergefunden haben. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob es bis in die arabisch-amerikanischen Gemeinde vorgedrungen ist. Diese Gemeinschaft ist eigentlich kein großer Unterstützerin der Künste, egal, ob Film, Theater oder Literatur. Sie interessiert sich mehr für Naturwissenschaften.

Sie konfrontieren die Leser mit jeder Menge Klischees – die Bauchtänzerinnen in Las Vegas, Amir, der als Schauspieler ausschließlich Terroristenrollen angeboten kriegt und so weiter. Sie öffnen den Lesern damit auf humorvolle Weise die Augen. Aber wie viel Wut steckt dahinter, wenn Sie diese dummen Vorurteile beschreiben?

Ich bin nicht wütend, aber ich sehe, die Absurdität dieser Dinge, den engen Horizont, den die Leute haben. Und diese Dinge gehen manchmal zu weit.

Was Amir angeht, kenne ich diese Art von Schauspieler aus meiner Zeit in Los Angeles sehr gut. Viele arabische Schauspieler hatten ihren Durchbruch nach dem 11. September 2001 – als Terrorist Nr 7 oder Terrorist Nr 11. Oder als Taxifahrer. Schauspieler zu sein ist hart und es ist besonders hart, wenn sich Deine Träume auf diese Art erfüllen. Sie geben Dir ein Stück Gold dafür, dass Du ihre Vorurteile bestätigst.

Fast zehn Jahre nach dem 11. September 2001 gelten Araber weiterhin als potenziell gefährlich – gerade in den vergangenen Tagen war dies in Deutschland gut zu beobachten. Wie hat sich das Leben der arabischen Amerikaner nach den Terroranschlägen des 11. September verändert?

Es ist etwas, das immer da war, aber stärker geworden ist. Früher gab es kein öffentliches Bewusstsein für Moslems. Die Leute haben mich gefragt: Du bist Moslem? Was ist das? Und ich musste ihnen erklären, dass es eine Religion ist. Der 11. September 2001 hat jeden Araber zum "Boogeyman", zum "Schwarzen Mann" Nummer eins gemacht.

Aber der Islam hat sich auch verändert. Die Menschen waren früher viel säkularer, sowohl in den USA als auch im Mittleren Osten. Zum Beispiel waren Kopftücher in der Generation meiner Mutter nicht sehr üblich. Aber mit den Jahren und der wachsenden Armut wurden die Menschen religiöser, in den arabischen Ländern und in den USA. Und mit den Kopftüchern sind sie leichter zu identifizieren. Es ist einfacher, sie zur Zielscheibe zu machen.

Gleichzeitig sind aber auch die Amerikaner christlicher geworden, in den vergangenen Jahren hat sich ein fundamentalistisches Christentum entwickelt. Eine Entwicklung, die mich als Amerikanerin verstört. Diese religiösen Tendenzen haben geholfen, den Hass zu schüren. Es ist eine sehr viel dogmatischere Welt geworden.

In wie viele Sprachen wurde "Feigen in Detroit" bislang übersetzt? Und wie kam das Buch bislang in Deutschland an?

Bisher wurde das Buch auf Deutsch und Norwegisch übersetzt, Französisch folgt jetzt. In Deutschland wurde das Buch sehr gut angenommen. Die Deutschen sind neugieriger auf den Rest der Welt, ich denke, deswegen werden so viele Bücher ins Deutsche übersetzt. Und es gibt eine Lese-Kultur, eine Liebe zum Buch. Hier werden nicht nur die "Airport-Writers", die Schriftsteller, deren Bücher man schnell auf dem Weg zum Flugzeug greift, gelesen. Es ist großartig zu sehen, wie viele Menschen hier beispielsweise zu Lesungen gehen. Und das deutsche Verlagswesen ist sehr speziell. Besonders was die Betreuung von Autoren angeht, geht hier Qualität vor Quantität, während es in den USA oft andersherum ist.

Quelle: ntv.de, mit Alia Yunis sprach Samira Lazarovic

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