"Besser als jeder Mann" Emma Thompson kämpft als Richterin
30.08.2018, 19:52 Uhr
Gottgleich, jetzt mal ehrlich. Oder? Emma Thompson. Kann alles und jeden an die Wand spielen. Will sie aber gar nicht. Groß!
(Foto: imago/Matrix)
Jeder Film, in dem Emma Thompson mitspielt, ist ein Geschenk. Ein Geschenk an die Filmwelt, an ihre Fans, an die, die sie erstaunlicherweise noch nicht kennen, und auch für die Journalisten. Denn mit Emma Thompson zu sprechen ist einfach so fantastisch, dass man nie wieder aufhören möchte. Nicht nur, dass sie entzückende Komplimente verteilt und bestens gelaunt ist, sie ist eine Inspirationsquelle, im Film und im Leben. In ihrem neuen Film "Kindeswohl" spielt sie eine Richterin, die in jeglicher Beziehung über ihre Grenzen geht. Es geht um die Frage, ob eine minderjährige Person gegen ihren Willen und entgegen ihrer religiösen Überzeugung zu einer lebensrettenden Behandlung gezwungen werden darf. Emma Thompson ist Fiona Maye, eine erfahrene Familienrichterin in London. Ausgerechnet in einer Phase, in der ihre Ehe mit Jack (Stanley Tucci) in einer tiefen Krise steckt, wird ihr ein eiliger Fall übertragen, bei dem es um Leben und Tod geht: Der 17-jährige Adam (Fionn Whitehead) hat Leukämie, doch als Zeugen Jehovas lehnen er und seine Eltern die lebensrettende Bluttransfusion ab. Fiona muss entscheiden, ob das Krankenhaus den Minderjährigen gegen seinen Willen und den seiner Eltern behandeln darf. Die Auseinandersetzung mit dem intelligenten Jungen führt Fiona zu einer Entscheidung, die auch ihr eigenes Leben verändern wird. Der preisgekrönte Autor Ian McEwan adaptierte seinen Bestseller "Kindeswohl" nun für die große Leinwand - ein Meisterstück! Mit n-tv.de sprach Emma Thompson im Münchener Hotel "Bayerischer Hof".
n-tv.de: Mrs. Thompson, danke, ich habe sehr viel gelernt in diesem Film.
Emma Thompson: Oh mein Gott, ja! Ich auch! Ich fange mal damit an: Ich hatte die Gelegenheit, Richterinnen vom Familiengericht kennenzulernen, das war äußerst interessant. Ich habe auch gleich zwei neue Freudinnen gewonnen, und sogar mehr als das, zwei Heldinnen!
Welcher Art?
Nun, ich habe einen profunden Eindruck vermittelt bekommen von der Art und Weise ihrer Arbeit, von dem Druck der dort herrscht, und zwar nicht nur deswegen, weil es so unglaublich viele Fälle zu bearbeiten und zu entscheiden gibt, sondern vor allem, weil sie den ganzen Druck, der auf ihnen als Frauen lastet, auch noch aushalten müssen.
Ist das tatsächlich immer noch so?
Ja, sie müssen besser sein als jeder Mann! Das Rechtssystem ist noch immer unglaublich männlich dominiert. Es ist geradezu - und ich übertreibe kein Bisschen, wenn ich das sage - das Herz des Patriarchismus (lächelt). Als Frau in diesen Kern, diesen inner circle, vorzudringen, ist wirklich unfassbar schwierig. Was aber auch bedeutet: die Frauen, die es geschafft haben, sich dort zu bewegen, dort zu arbeiten, sind absolut außergewöhnlich! Ich habe nie zuvor Frauen mit solch' unglaublichen Gehirnen (fasst sich an den Kopf) kennen gelernt.
Klingt fast unwirklich …
… das ist es auch: Die eine steht morgens um vier Uhr auf, sie hat übrigens vier Kinder, und arbeitet erstmal, bis die Kinder wach werden. Dann macht sie das Übliche, Frühstück und so weiter, Sie wissen was ich meine, dann ab in die Schule, und dann geht sie zum Gericht. Das heißt …
… dass sie irre müde ist …
… (lacht), ja, aber auch, dass sie eine unglaubliche Energie hat. Nur mit dieser Art von Energie kann man es so weit schaffen. Ich habe also eine Menge über das Recht und ihre Pfleger gelernt, aber ich habe auch viel über die Zeugen Jehovas gelernt.
Man ist so voller Halbwissen …
Es war wirklich interessant. Denn damit einherging, dass ich wirklich viel über die Rechte von Kindern gelernt habe. Und dabei ist mir klar geworden, dass Kinder noch gar nicht lange überhaupt über Rechte verfügen. Man hat Kinder sehr lange als den Besitz ihrer Eltern erachtet - genauso wie Frauen früher der Besitz zuerst ihres Vaters und dann ihres Mannes waren. Dieser Film ist für mich also eine Möglichkeit gewesen, in sehr viele Bereiche des menschlichen Lebens zu schauen, ein Teil davon zu sein.
Sie haben über das Recht, das Gesetz, gesprochen. Aber da ist ja noch ein ganz anderer, großer Aspekt: die Gerechtigkeit.
Oh ja!
Was, wenn man die falsche Entscheidung fällt? Wie lebt man als Richter oder Richterin damit?
Auf jeden Fall! Das Risiko ist sogar sehr groß, dass man falsche Entscheidungen trifft. Als Richter ist man - ich sage es jetzt einfach mal so - gottgleich. Man sitzt vor Gericht in dieser Position (Anm.d.Red.: sie meint das leicht erhöhte, auf die anderen herabschauende Moment, wenn der Richter/ die Richterin im Saal auf das Gerichtspublikum schaut), und man hat diese Verantwortung, ganz genau zuzuhören. Man darf sich keine Fehler erlauben. In meiner Rolle habe ich versucht, mit meinem ganzen Körper, meiner ganzen Präsenz, zuzuhören. So viel Grausames, was man da hört vor Gericht, so große Tragödien, die sich vor einem abspielen, so viel Schmerz und Angst, das ist fast nicht auszuhalten, und man muss versuchen, sich ein bisschen zu distanzieren.
Das ist ähnlich schwer wie bei Ärzten, oder?
Ja, man muss eine Balance finden. Die Ideale der Gerechtigkeit und des Rechts in Einklang zu bringen mit unseren Gefühlen und Emotionen ist eine große Herausforderung. Und im Amt des Richters muss man die Emotionen eigentlich komplett außen vor lassen.
Sie haben zwei unglaubliche Männer, zwei fantastische Schauspieler, an Ihrer Seite: Stanley Tucci und Fionn Whitehead.
Oh ja, das ist richtig. Fionn ist unglaublich authentisch, er ist ein bisschen wie seine Rolle, wie Adam: komplett offen und vor allem ist er so rein. Pur. Seine Mutter ist relativ kurz vor dem Dreh gestorben, und aus allem, was ich herausgehört habe, wenn ich mich mit Fionn unterhalten habe, muss sie eine fantastische Frau gewesen sein. Auf jeden Fall hat sie einen Sohn zurückgelassen, mit dem es großartig war, zu arbeiten. Er ist völlig frei von Allüren, er tut nicht cool oder überheblich, er ist einfach ein ganz anständiger Mensch.
Konnten Sie ihm Ratschläge geben?
Das hätte ich sicher gekonnt, aber er wollte gar keine (lacht). Er ist ein Mann, der genau weiß, was er will. Ich meine, wir haben uns viel unterhalten, ja, aber er ist ganz anders als Adam, der mir im Film ja nachläuft und meine Nähe sucht, auf nicht so gesunde Weise. Fionn Whitehead ist hingegen vollkommen ausgeglichen.
Und Stanley Tucci?
Stanley ist einer der besten Schauspieler der Welt, das sage ich aus tiefster Überzeugung. Es ist eine absolute Freude und Ehre, mit ihm zu spielen. Und er ist großzügig.
Was meinen Sie mit großzügig?
Dass er einer der wenigen Männer ist, der ein "A-List-Actor" ist und in diesem Film mit seiner Rolle eine Frau in der Hauptrolle unterstützt. Das ist eine Position, die vielen Männern nicht passt, und die eine solche Rolle deswegen auch nicht spielen würden. Die meisten Top-Schauspieler wollen, dass eine Frau, auch gerne von der "A-List", sie unterstützt. So herum ist es quasi normal. Aber Stanley sagte: "Nein nein, ich spiele die "Supporting Role" und zwar sehr gerne." Das sagt mir alles über sein Verhältnis zur Schauspielerei und ehrlich gesagt auch über sein Verhältnis der ganzen Welt gegenüber: Er ist ein Großer. Er ist vor allem intelligent. Aber der Rest unseres Casts ist auch ganz hervorragend ausgewählt, die meisten der Schauspieler sind sonst am Theater. (zögert) Wir haben mit dieser Produktion wirklich so viel Glück gehabt.
Zurück zum Gericht - ändern die Zeiten sich nicht aber doch?
Ja, natürlich, aber langsam! Zu langsam, wenn man es auf die ganze Welt bezieht! Oder glauben Sie, dass sich in, sagen wir mal beispielsweise Kairo, irgendwas geändert hat? Für Frauen? Für Kinder? In bestimmten Bereichen der Gesellschaft ändern sich natürlich die Zustände, aber zu wenig. Ich beobachte allerdings, dass Frauen sich ihre Rechte auch wieder zurückholen. Das ist für eine wie mich, die Feministin ist, seit sie 19 ist, wirklich erleichternd zu sehen (lacht). Wenn junge Frauen jetzt für ihre Rechte kämpfen, dann inspiriert mich das so sehr!
Was am meisten?
Dass die Geschlechterrollen aufweichen. Dass Männer und Frauen sich immer mehr einander angleichen, wenn es um Jobs geht, oder um Familie. Wir bemerken einfach immer mehr, dass es nicht einfach ist, ein guter Mensch zu sein. Egal, ob Mann oder Frau. Und wenn man in seiner Rolle verharrt, dann ist man eingesperrt, und zwar auch egal, ob Mann oder Frau.
Mit Emma Thompson sprach Sabine Oelmann
"Kindeswohl" startet am 30. August in den deutschen Kinos
Quelle: ntv.de