
Androgyne Schönheit - Jane Birkin hat lange mit sich und ihrem Aussehen gehadert.
(Foto: Nathaniel Goldberg)
Sie ist eine Ikone – und wenn sie dieses Wort hört, lacht sie laut, weil sie sich selbst überhaupt nicht so sieht, "not at all!" Mit diesem Lachen hat sie es auch geschafft, der Autorin, die diesem Gespräch voller Respekt entgegensah, jegliche Befürchtungen zu nehmen. Der Respekt ist nur noch gewachsen.
In der Grundschule sollten wir uns in unserer ersten Englisch-Unterrichtsstunde damals einen Namen aussuchen, wie wir künftig genannt werden wollten von unserer Englisch-Lehrerin. Ich suchte mir Jane aus. Ich möchte mir einbilden, dass es aufgrund von Jane Birkin war, denn ihr Song "Je t’aime - moi non plus" erschien mir damals, ohne ein Wort zu verstehen, als ich ihn die ersten Male hörte, als das ultimativ Verruchte. Ich befürchte allerdings, dass meine "Jane"-Wahl eher auf eine gewisse "Tarzan"-Prägung zurückzuführen ist.
Jane Birkin ist inzwischen 76, Großmutter, und sie geht auf Tour. Sie ist lustig. Bei unserem Gespräch hüpft ihr Hund im Hintergrund herum und sie beschreibt, wie sie in der Nacht zuvor fast über ihn gestolpert wäre. "Um die Wahrheit zu sagen, ich bin nicht nur fast über ihn gestolpert - ich bin wirklich über ihn gefallen, und meine Töchter reißen mir den Kopf ab, weil ich wieder nicht diese Uhr, diesen Alarmknopf, getragen habe, mit der ich den Notruf holen kann. Aber ich kann doch nicht ahnen, dass ich nachts über meinen Hund stolpern werde."
Sie lacht, auch als sie fortfährt, denn ich würde zu gern über dieses Ikonen-Ding sprechen. Für Jane Birkin ist es jedoch schon immer so gewesen, bis heute, dass sie einfach nur sich selbst im Spiegel sieht, nie einen Star. Und das glaubt man ihr: Das dünne, schlaksige Mädchen Jane war schüchtern, empfand sich als nichts Besonderes - schon gar nicht attraktiv - und hatte es nie auf eine Karriere als Schauspielerin oder Sängerin abgesehen, alles geschah eher zufällig.
Dabei ist Jane so vielseitig: Sie hat inzwischen Mode entworfen, andere fühlten sich von ihr inspiriert, Mode für sie zu entwerfen: Die Birkin-Bag von Hermès entstand, weil Jane Birkin 1984 zufällig neben Jean-Louis Dumas, dem damaligen Geschäftsführer des Luxuslabels, im Flugzeug saß. Sie beklagte sich, keine Handtasche zu finden, die den Bedürfnissen einer jungen Mutter entsprachen. Dumas hörte zu, skizzierte, und es entstand diese ikonische Handtasche, die heute für den Preis eines Klein- bis Luxuswagens über den Ladentisch geht und für die Frauen morden würden. Birkin hat Bücher geschrieben und wie immer, bei allem, was sie tut, wundert sie sich, dass es andere interessiert. Vielleicht, weil sie seit über einem halben Jahrhundert präsent ist, somit eine verlässliche Größe? Vielleicht, weil sie so herrlich normal ist und man sich mit ihr identifizieren kann und will?
Brigitte Bardot schwirrte überall noch herum
Fast wie einen Zufall empfindet sie es auch, dass ihre Stimme noch "da ist". Mit ihrer Gesundheit stand es nicht zum Besten, sie hat eine Krebserkrankung und einen Schlaganfall hinter sich, von der langen Corona-Phase ganz zu schweigen. Zur Untätigkeit verdammt zu sein, nicht auftreten zu können, das hat ihr zu schaffen gemacht, auch wenn sie in der Zeit an sich gar nicht so viel vermisst hat. Erst als das Leben wieder losging, wurde ihr klar, was ihr gefehlt hat.

Der Mann ihres Lebens, das kann man wohl so sagen: Serge Gainsbourg.
(Foto: imago images/United Archives)
Kann sie sich daran erinnern, wie es damals war, ihren Super-Hit mit Serge Gainsbourg aufzunehmen? "Ja, natürlich, und ich muss sagen, dass uns überhaupt nicht klar war, was wir da taten. Erstens schwirrte anfangs ja ständig Brigitte Bardot durchs Bild (sie lacht), diese Super-Blondine, gegen die ich mir noch hässlicher, flacher und verlorener vorkam, und außerdem dachten wir, wir nehmen einfach einen lustigen, sexy Song auf." Man hätte sich damals eh nicht ständig so viele Gedanken gemacht, ob etwas nun politisch korrekt sei, oder zu sexy - kann es denn zu sexy sein? - oder jugendfrei oder intellektuell. Es war die Zeit, in der man lebte und sich ausprobierte.
Wenn man mit Jane Birkin spricht, kommt man an Serge Gainsbourg nicht vorbei, sie erwähnt ihn von selbst. Ich frage sie aber der Höflichkeit halber, ob sie es nicht langsam satthat, immer nach diesem einen Mann gefragt zu werden. Sie ist erstaunt: "Wie könnte ich diese Frage satthaben?" lacht sie. "Ich liebe es, über Serge zu reden. Ich denke sowieso ständig an ihn. Eigentlich immer mehr, je älter ich werde", überlegt sie laut. Es schmerze schon ab und zu, an früher zu denken, aber sie sei vor allem dankbar. Gainsbourg hat ja weiterhin Songs für sie geschrieben, auch lange, nachdem sie ihn bereits verlassen hatte, und niemand war und ist darüber verwunderter als sie. Aber eben auch glücklich. "Das war das Besondere an unserer Beziehung, wir konnten Freunde sein, Eltern."

Mit Charlotte und Lou (v.l.) 2007 in Paris. Die Beziehungen sind nicht einfach, aber liebevoll.
(Foto: imago/UPI Photo)
Weil sie die alten Songs liebt und weiß, dass es ihren Fans ebenso geht, singt sie sie auch auf der Bühne. "Solange es Menschen gibt, denen meine Lieder helfen, denen die Texte etwas bedeuten, so lange werde ich sie singen." Birkin redet nicht nur offen über ihre Verluste - über den von Serge, und über den ihrer ältesten Tochter Kate, die 2013 bei einem tragischen Unfall ums Leben kam - sie singt auch darüber: Ihr jüngstes Album "Oh! Pardon tu dormais" ist Kate gewidmet, und auch zehn Jahre später ist der Schmerz für Birkin gegenwärtig: "Wenn ich singe, ist es oft hart. Aber ich halte die Erinnerung an sie lebendig, ich will gar nicht 'darüber hinwegkommen'", sagt sie ntv.de. Jane Birkin schrieb an jedem ihrer Songs mit: "Etienne (Daho, Songwriter, Anm.d.Red.) hat mir dabei geholfen, meinen vergangenen Schmerz loszulassen."
"Es ist nie zu spät"
Ihr Lebenselixier? Offen bleiben, neugierig, verstehen, dass wir alle uns ähnlicher sind, als wir denken. Als Kate starb, war sie der unglücklichste Mensch auf der Welt." Tatsächlich tröstet es, wenn man erfährt, dass es anderen ähnlich geht." Und ins Kino gehen hilft. Sich ablenken lassen, in andere Leben hineinversetzen, auch das hilft. Und selbst aktiv werden. Trost findet sie bei ihren anderen Töchtern, auch wenn es nicht immer einfach ist: Da sind Charlotte, Serges Tochter, und Lou. Deren Vater, Jacques Doillon, war der Erste, der Jane in anspruchsvollen Filmen sah - und sie besetzte. Sie wurde ernst genommen, auch das Theater wurde auf sie aufmerksam. Jane schrieb später sogar selbst fürs Theater.
Und Serge Gainsbourg entdeckte seine alte Liebe neu: Er schrieb andere Lieder für sie, die nun ältere Jane, tiefgründiger und wissender. Jane Birkin, die sich für eine Spätzünderin hält, gibt die Message "Es ist nie zu spät" gern an andere Frauen weiter - mit einem Augenzwinkern natürlich, denn der Spruch mag zwar abgedroschen sein, Gültigkeit besitzt er ja dennoch.
Zurück zu den Töchtern: Beide singen, beide haben sie zur Großmutter gemacht. Ich erzähle ihr, dass ich Lou Doillon vor ein paar Jahren nach einem Parfüm gefragt habe. Damals betrat ich den Interviewraum und es duftete nach "früher". So empfand ich es zumindest. Doillon verriet mir, dass sie das Guerlain-Parfüm ihrer Mutter benutze, denn dieser Duft löse Kindheitserinnerungen in ihr aus. Wie in mir. "Also, ich benutze dieses Parfüm noch heute", verrät Jane Birkin. Es sei wichtig, sich selbst treu zu bleiben, findet sie, wenn man endlich herausgefunden hat, wer man ist.
"Und dann kommt eine Twiggy"
Wenn sie auf Tour geht - in Deutschland spielt sie Ende März dreimal - dann geht es ihr darum, Spaß zu haben und anderen eine gute Zeit zu verschaffen. Vor allem aber möchte sie denen, die noch auf der Suche sind, etwas mitgeben. Eineinhalb Stunden steht sie auf der Bühne - wie hält sie sich fit? Pilates? Yoga? Birkin winkt ab. Sie versuche es mit guter alter Gymnastik, und außerdem: "Wenn man Enkel hat und einen Hund, dann bleibe man in Bewegung." Schönheitsgeheimnisse haben Birkin, die für so viele ein Vorbild war und ist, nie interessiert: "Wissen Sie, das ist doch eine Einstellungssache. Die einen finden Sanduhrenfiguren sexy, und dann kommt eine Twiggy daher und wirft alles über den Haufen. Man ist so, wie man ist."
Und auch wenn das ein bisschen nach "Apotheken-Umschau" klingt - ich schaue bei diesem Gespräch in die Augen einer jungen Jane Birkin. Mein Respekt vom Anfang des Gesprächs wird ergänzt durch das Gefühl reiner Bewunderung.
Jane Birkin, "Je t'aime - le concert" am 24.3. in Hamburg, am 26.3. in München, am 29.3. in Berlin.
Quelle: ntv.de