Listen to the Lioness Amy Winehouse, keine Löwin
02.12.2011, 12:07 Uhr
The Good die young.
Advent - Zeit des Trostes und der Besinnung. Also genau der richtige Rahmen, um Musik von Amy Winehouse - quasi aus dem Jenseits - zu hören. Und da jeder die einzigen beiden Alben, die sie zu Lebzeiten herausbrachte, auswendig kennt, freuen wir uns auf das grandiose dritte, letzte und wunderbare Album der "Unvollendeten".
Ihr Vater hat gesagt: "Ich hatte nie begriffen, was für ein Genie sie war." Wie bitte? Hatte er denn Tomaten auf den Ohren? Seine Tochter hatte eine Weltklasse-Stimme, die außergewöhnlich war, wiedererkennbar und noch lange nicht "at it's best". Aber so sind Väter vielleicht nun mal: Vor ihnen wächst das Beste heran, was ihre Lenden jemals hervorgebracht haben, doch erkennen tun sie es unter Umständen nicht, im besten Fall spät und in Familie Winehouse' Fall leider zu spät. Aber er hat auch eine Erklärung, die nachvollziehbar klingt: "Ich habe so viel Zeit damit verbracht, hinter Amy herzujagen, sie auszuschimpfen, dass mir nie richtig klar war, was sie wirklich kann."
Der Arme, jetzt macht er sich Vorwürfe: "Es hat mir den Atem genommen", so Mitch Winehouse weiter, dem wir hundertprozentig abnehmen, dass er zu den unglücklichsten Vätern der Welt gehört, weil seine Tochter im Alter von 27 Jahren gestorben ist; aber immerhin hat er noch etwas von ihr, und das teilt er nun zum Glück mit allen Fans: ein neues Album mit bisher nicht veröffentlichten Aufnahmen.
Die Produzenten Salaam Remi und Mark Ronson hätten stundenlang ihre Aufnahmen abgehört, hieß es. Darunter gefunden haben sie zwei ganz neue Songs sowie ein Demo-Band, das sie in ihrer Wohnung aufgenommen haben soll und bei dem sie, laut Universal Music, selbst Gitarre spielt. Es soll aber auch eines dabei sein, bei dem sie unter dem Einfluss von Heroin gestanden haben soll. Was Sie nicht sagen!?! Das Album heißt "Lioness: Hidden Treasures", zu Deutsch etwa: "Verborgene Schätze einer Löwin". Der Erlös aus dem Verkauf - und das ist wirklich gut so und mindestens ein weiterer Grund, sich das Album selbst zu kaufen - soll zu einem Teil an die Amy Winehouse Stiftung gehen, die junge Menschen in Notlagen unterstützt.
Schade schade schade
Winehouse, die im Juli 2011 tot in ihrer Wohnung in London aufgefunden worden war, hinterlässt ein Erbe, das jeden Fan glücklich machen dürfte: Es beginnt mit "Our Day Will Come", einem groovigen, schönen Song, in dem sie davon singt, "that we'll have everything, we'll share the joy"!!! Ja, für uns ist es tatsächlich eine Freude, ihr zuzuhören, denn gleich darauf folgt mit "Between The Cheats" eine herrliche Oldschool-Nummer.
Bei "Tears Dry" spätestens wird klar, dass ihr Tod eine Tragödie ist. Was hätten wir nicht noch alles von ihr hören können?! So schöne Musik war in ihr, dass es fast wehtut. "Will You Still Love Me Tomorrow?" fragt sie im nächsten Stück: Das "Jetzt" ist ganz okay, sie will es festhalten, aber immer scheint sie Angst vor dem Morgen zu haben und davor, dass das soeben noch perfekte Glück in ein paar Minuten vielleicht schon wieder vorbei sein könnte.

Die Todesursache der fünffachen Grammy-Gewinnerin soll die "Stop and Go"-Praxis sein, also exzessives Trinken nach einer Zeit der Abstinenz.
"Like Smoke" featuring Nas - ein ungewohnter Amy-Sound, aber er hat was, und dann kommt ja auch gleich der altbekannte, fast schon Gassenhauer zu nennende Song über "Valerie". Allerdings eine total relaxte Version des Klassikers. Es folgt das "Girl From Ipanema", und man könnte denken "nicht schon wieder der alte Krempel", aber: Amy hat dabei eine ganz andere Stimme. Kein Wunder, denn sie war 18, als das Stück aufgenommen wurde. Man kann sie sich gut vorstellen als eben dieses Girl. Noch nicht ganz so tätowiert, ein bisschen mehr auf den Rippen und ein ordentliches Stück unbeschwerter, mit diesem koketten Gang einer selbstbewussten jungen Frau im Bikini.
Das Stück "Half Time" klingt im Titel wie eine grausame Erinnerung daran, dass Amy nicht mal die Hälfte ihrer Lebenszeit hinter sich hatte, als sie starb, und im Titel "Wake Up Alone" wird deutlich: Allein zu sein, das war ihr Verhängnis. Wenn jemand bei ihr gewesen wäre, dann hätte sie vielleicht gerettet werden können. Zumindest dieses Mal. Vielleicht wäre ihr Tod dann nur ein paar Wochen später doch eingetreten? Vielleicht in ein paar Jahren? Oder vielleicht wäre jemand gekommen, der sie gerettet hätte? Sie selbst vielleicht? Wir werden es nie erfahren, und das ist schmerzhaft. Die Version dieses Songs jedenfalls ist noch schöner als die, die wir bereits kennen von "Back To Black".
Die Sache mit dem Alkohol
Liegt es in der Natur der Sache, dass wir in ihren Liedern nach dem Scheitern der begabten Diva suchen? Oder gibt sie tatsächlich Hinweise im Laufe der Jahre: mehr Tattoos, mehr Alkohol, mehr Ausfälle, mehr Rauch in der Stimme, und parallell dazu immer weniger Leben im wahrhaftigen Sinne? Und wie hieß es doch gerade auf der Seite von "The Cool Hunter"? "Alcohol - because no great story ever started with someone eating salad". Ein schlauer Kommentar dazu jedoch lautet: "But alcohol ended many great lives and stories."
Ein weiterer Song, "Best Friends", drückt aus, was sie gebraucht hätte, und da eilt auch schon Tony Bennett herbei, mit dem sie das großartige Duett "Body And Soul" aufgenommen hat. Der Mann ist 85 und am Leben, sie ist nicht mehr da, doch dies ist nicht der Ort, um darüber zu resümieren, ob das Leben fair ist oder nicht.
Das Album zeigt, wie gut sie hätte sein können. Der "Song For You", er ist for you and you and you! Amy singt: "And when my life is over, remember when we were together, we were alone and I was singing this song for you."
"Hidden Treasures" ist ein Album zum Verschenken und an sich selbst denken und daran, wie kurz das Leben sein kann und dass man es ausnutzen sollte, und da dies womöglich die letzte Scheibe von Miss Winehouse war, lässt man den Finger automatisch zur "Repeat"-Taste wandern.
Quelle: ntv.de