Kino

Ein Mann, ein Sarg, ein Handy "Buried" oder Ryan in der Kiste

"Du sollst mit ihm begraben sein" - "Buried" ist ab sofort im Kino zu sehen.

"Du sollst mit ihm begraben sein" - "Buried" ist ab sofort im Kino zu sehen.

Mit "Buried - Lebend begraben" kommt ein Film in die Kinos, der an die Urängste des Menschen rührt. 94 Minuten hält die Kamera nur auf einen Akteur: Ryan Reynolds. Langweilig? Nein, wirklich spannend!

Bei lebendigem Leib begraben - in einem engen Sarg, in tiefster Dunkelheit, irgendwo im Boden, unter tonnenweise Erde und ohne jede Chance, das Verlies aus eigener Kraft zu verlassen. Das ist zweifellos eine der schlimmsten Vorstellungen überhaupt. Schließlich rührt sie gleich an eine ganze Reihe menschlicher Urängste und Phobien - an die Platz- und Erstickungsangst ebenso wie an die Furcht vor Finsternis und Ausweglosigkeit.

Das wusste auch schon Edgar Allan Poe. Und spätestens seit er vor mehr als 150 Jahren das Motiv in Kurzgeschichten wie "Der Untergang des Hauses Usher" oder eben "Lebendig begraben" einfließen ließ, ist es fester Bestandteil von Horrorvisionen in Literatur und - mittlerweile - auch Film. Eines der jüngsten Beispiele dafür: Quentin Tarantinos "Kill Bill", in dem sich Uma Thurman als Beatrix Kiddo in einer zugenagelten Kiste unter der Erde wiederfindet.

In Tarantinos Racheepos ist diese Szene freilich nur eine von vielen. Und ihre Auflösung, in der sich Kampfmaschine Kiddo mit bloßen Händen in die Freiheit buddelt, ist so fantastisch wie der Rest des Streifens auch. Bei "Buried - Lebend begraben" von Regisseur Rodrigo Cortés ist das ganz anders. Hier dreht sich alles volle 94 Minuten nur darum: Ein Mann, ein Sarg, ein Überlebenskampf. Und - wenn man mal von manch dramaturgischer Überspitzung im Dienste der Spannung absieht - die Geschichte könnte tatsächlich der Realität entsprungen sein. Könnte. Denn zumindest offiziell ist kein derartiger Fall bislang bekannt.

Zwischen Bangen und Hoffen

Der Inhalt des Films ist an sich schnell erzählt: Der im Irak als Lkw-Fahrer arbeitende US-Amerikaner Paul Conroy, gespielt von Ryan Reynolds, wacht aus seiner Bewusstlosigkeit lebendig begraben in einer Kiste auf. Nach und nach findet er bei sich ein paar Gegenstände: Ein Feuerzeug, einen Flachmann, einen Stift, vor allem aber ein Handy. Und er erinnert sich: Bevor er sich in dieser misslichen Lage wiederfand, war sein Konvoi von Aufständischen angegriffen worden.

Der Regisseur und sein Darsteller: Rodrigo Cortés (l.) und Ryan Reynolds.

Der Regisseur und sein Darsteller: Rodrigo Cortés (l.) und Ryan Reynolds.

Conroy hat nicht lange Zeit, ehe ihm in seinem Gefängnis die Luft auszugehen droht. Das Handy wird zum Dreh- und Angelpunkt seiner Bemühungen und Hoffnungen, doch noch zu entkommen - zumal durch die Ritzen in der Holzkiste mehr und mehr Erdreich zu ihm herein sickert. Es verbindet ihn mit der Außenwelt - und umgekehrt. So erfährt er dann auch alsbald über einen Anruf, dass er entführt worden ist. Die Kidnapper wollen Lösegeld, das Conroy mit Hilfe seines Mobiltelefons beschaffen soll. Ihre Forderung unterstreichen sie unter anderem mit einem Video, das sie dem Lkw-Fahrer auf das Handy schicken. Es zeigt, wie eine Kollegin, die mit dem Amerikaner im Konvoi unterwegs war, erschossen wird - tatsächlich die einzige Sequenz des gesamten Films, in der für wenige Augenblicke eine andere Person zu sehen ist als der Entführte in der Kiste.

Kammerspiel und One-Man-Show

"Buried" ist ein - im wahrsten Sinne des Wortes - Kammerspiel auf engstem Raum, ein Thriller ohne Action-Effekte, eine One-Man-Show von und mit Ryan Reynolds. Kurzum: "Buried" ist ein großes Wagnis. Der Film steht und fällt mit der Performance seines Alleinunterhalters. Und er könnte trotz seines grausigen Plots auch schnell langatmig und langweilig sein. Er könnte. Ist er aber nicht.

Stattdessen halten die Versuche des verzweifelten Protagonisten, von irgendwoher Hilfe zu erlangen, seine Familie zu kontaktieren und die Kidnapper hinzuhalten, die Spannung durchgängig hoch und die Zuschauer in Atem. Ryan Reynolds, Ehemann von Scarlett Johansson und zuletzt unter anderem in der Komödie "Selbst ist die Braut" zu sehen, gibt den lebendig begrabenen Lkw-Fahrer so gut, dass viele Kritiker ihm bescheinigen, mit dem Streifen sein bisheriges Meisterstück abgeliefert zu haben.

"Ein unendlicher Schmerz"

Die Dreharbeiten haben dem Schauspieler auf jeden Fall Einiges abverlangt. "Ich hoffe, Sie mögen den Film so sehr, wie ich gehasst habe, ihn zu drehen", meinte Reynolds bei einer der ersten Aufführungen von "Buried" vor Publikum. Die Frage, wie das Verhältnis zwischen ihm und seinem Darsteller denn heute sei, beantwortet Regisseur Rodrigo Cortés gleichwohl mit einem Lachen: "Fantastisch. Jetzt ist er ja draußen." Trotzdem blickt auch Cortés mit einem gewissen Grauen an die Zeit am Set zurück: "Das war für alle ein unendlicher Schmerz. Ich habe noch nie so gelitten, denn wir haben den Film ja in nur 17 Tagen gedreht."

Reynolds hat die Dreharbeiten "gehasst". Warum nur?

Reynolds hat die Dreharbeiten "gehasst". Warum nur?

Das Problematischste an dem Streifen, so Cortés, sei dabei nicht gewesen, "ihn in einer Kiste zu drehen, sondern ihn in einer Kiste in Echtzeit zu drehen". Anders als normalerweise gab es für den Regisseur nie die Möglichkeit, eine Szene etwa durch eine Totale oder einen Gegenschuss auf einen anderen Darsteller aufzulösen. "Hier war es immer: Ryan - Schnitt - Ryan - Schnitt - Ryan - Schnitt … Es musste alles perfekt sein, eine perfekte Choreografie. Das war sehr schwierig."

Das von Chris Sparling stammende Script zu dem Film hat den 37-jährigen Spanier Cortés, der noch vergleichsweise wenig Regieerfahrung vorzuweisen hat, nach eigenem Bekunden von Anfang an fasziniert. Und er habe sich gewundert, dass andere Regisseure nicht "mit Prügeln" losgezogen seien, um es an sich zu reißen. "Dieses Script machte in Hollywood ein Jahr lang die Runde. Jeder liebte es, dachte aber, man könne es unmöglich verfilmen. Ich habe indes stets das Gegenteil geglaubt. Ich habe einen großen Film gesehen", sagt Cortés nicht ohne Stolz.

"Indiana Jones in der Kiste"

Dabei musste der Regisseur seine Vorstellungen von der Umsetzung des Stoffs gegen so manche Widerstände durchsetzen. Nicht alle waren von Anfang an von der Idee überzeugt, den lieben langen Film nur in der Kiste zu bleiben. "Ich bin mir jedoch sicher: Hätten wir die Oberfläche gezeigt, dann hätten wir einen kleineren Film gehabt. Vielleicht eine TV-Episode. Aber nichts 'Hitchcockian'", sagt Cortés mit Blick auf den Altmeister des spannungserzeugenden Prinzips der Suspense, Alfred Hitchcock.

Doch nicht nur auf Hitchcock nimmt Cortés gerne Bezug. Sein Ziel, so sagt er, sei es gewesen, eine Art "Indiana Jones in der Kiste" zu inszenieren. Wie er das meint? "Am Anfang des Films hast du einen Protagonisten, über den du nichts weißt, in einem unendlichen Schwarzen Loch. Aber 94 Minuten später weißt du alles über ihn - und du hast ein ganzes Universum in die Kiste gebracht", erklärt der 37-Jährige.

Eine universelle Angst

Egal, ob man diese Vergleiche nun für übertrieben oder doch ein wenig zu weit hergeholt hält, fest steht: Cortés ist in jedem Fall ein außergewöhnliches Werk gelungen - nicht trotz, sondern gerade wegen seines konsequenten Purismus. Schließlich verzichtete der Regisseur auf alles, was die Ich-Perspektive der Erzählung zerstören könnte. Zündet etwa der Entführte sein Feuerzeug an, dann erkennt der Zuschauer auch nur das, was der Schein der Flamme preisgibt. Löscht Paul Conroy alias Ryan Reynolds das Licht, bleibt die Leinwand dunkel. "Man sieht die Dinge so, wie er sie sieht. Man erfährt die Dinge so, wie er sie erfährt. Wenn er etwas nicht sieht, sieht man es auch nicht. Wenn er etwas nur hört, hört man es auch nur", umschreibt Cortés seine Intention und bringt es auf den Punkt: "Du sollst für eineinhalb Stunden mit ihm begraben sein."

Man sieht, was er sieht: Ryan Reynolds als Paul Conroy.

Man sieht, was er sieht: Ryan Reynolds als Paul Conroy.

"Buried" ist ein Thriller - und soll und will auch nicht mehr oder weniger sein. Dem Regisseur ging es nach eigenen Angaben in erster Linie darum, mit einer Angst, "die universell und über alle Ländergrenzen hinweg gültig ist", zu spielen. Der Irak habe ihm dabei nur als passende Kulisse gedient. Eine politische Aussage verknüpfe er mit dem Film nicht. Dennoch spart der Streifen nicht mit schwarzem Humor und gesellschaftskritischen Anklängen anderer Art. Dann nämlich, wenn der Todgeweihte mit Telefon-Warteschleifen zu kämpfen hat, er vom anderen Ende der Leitung die Frage nach seiner Sozialversicherungsnummer zu hören bekommt und er in ein scheinbar undurchschaubares Intrigenspiel der US-Sicherheitsdienste verstrickt wird.

Durch und durch schwarzer Humor ist es auch, wenn Cortés sich Gedanken über eine mögliche Fortsetzung macht. "Vielleicht sollten wir ein Sequel machen: 'Eingeäschert'", sagt er verschmitzt. Und noch eine andere Fantasie treibt ihn um: "Ich würde liebend gerne Sandra Bullock begraben." Nach "Buried" könnte er das vielleicht sogar. Er könnte. Wird es aber ganz sicher nicht.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen