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Russen sind "keine Ostdeutschen" Warum Wandel durch Handel mit Russland gescheitert ist

Wladimir Putin: "Die Bevölkerung steht ziemlich geschlossen hinter ihrem Präsidenten", sagt Vladimir Esipov.

Wladimir Putin: "Die Bevölkerung steht ziemlich geschlossen hinter ihrem Präsidenten", sagt Vladimir Esipov.

(Foto: IMAGO/Sven Simon)

In seinem Buch "Die russische Tragödie" beschreibt Vladimir Esipov, wie Russland unter Putin zu einer kriegerischen Autokratie wurde. Anlässlich der Präsidentenwahl warnt der Autor vor einem falschen Blick auf das Land und erklärt, warum die neue Mittelschicht aus der "Ikea-Zeit" Russland nicht friedlicher gemacht hat.

Wladimir Putin wird in diesen Tagen in einer Scheinwahl als Präsident Russlands erneut bestätigt, also ein Mann, der einen Angriffskrieg gegen die Ukraine vom Zaun gebrochen hat. Oft wird gesagt, dieser Krieg sei Putins Krieg und nicht der der Russen. Stimmt das?

Vladimir Esipov, geboren in St. Petersburg, lebt in Berlin und arbeitet als Redakteur der Deutschen Welle

Vladimir Esipov, geboren in St. Petersburg, lebt in Berlin und arbeitet als Redakteur der Deutschen Welle

(Foto: privat)

Vladimir Esipov: Es ist schon der Krieg von Wladimir Putin. Er hat als Oberbefehlshaber der russischen Armee am 24. Februar 2022 den Befehl dafür gegeben. Aber natürlich ist es nicht sein alleiniger Krieg. Es sind ja Tausende von Menschen an diesen Handlungen beteiligt. Und es gibt auch eine individuelle Verantwortung einzelner Menschen im Krieg.

Überdies hat Putin aber doch auch Rückendeckung für den Krieg in seiner Bevölkerung. Es gibt ja nicht nur keinen Widerstand, sondern eine offensive Unterstützung.

Natürlich. Die Bevölkerung steht ziemlich geschlossen hinter ihrem Präsidenten. Und wer den Krieg nicht unterstützt, schweigt, trinkt oder setzt sich ins Ausland ab.

Im Buch wird beschrieben, dass es nach dem wirtschaftlichen Schock der 90er-Jahre zu einer Phase unter Putin kam, in der es den Leuten eigentlich gar nicht schlecht ging und in der das Geld auch nach unten durchsickerte. Die "Ikea-Zeit", wenn man so will, in der auch in der Provinz ein gewisser Wohlstand einkehrte. Warum hat das nicht gereicht, um aus Russland ein friedliches Land zu machen?

Es stimmt, es gab schon eine Zeit lang das Gefühl, dass wir ein normales Land werden möchten. Mit einer Fußballweltmeisterschaft, mit Olympischen Spielen in Sotschi und einem internationalen Gipfel in Sankt Petersburg. Aber dann kam die Maidan-Revolution in Kiew von 2014, und es entstand in der russischen politischen Elite das Gefühl, von der Ukraine gehe eine Gefahr aus. Für Russland als Ganzes. Ich teile diese Meinung ausdrücklich nicht, aber so ließ sich das in den russischen Staatsmedien wahrnehmen.

Was da in der Elite wahrgenommen wurde, war keine militärische Gefahr, sondern eine politische Bedrohung?

Richtig, also die Furcht, dass sich in Russland etwas Ähnliches wiederholen könnte wie in der Ukraine. Also dass versucht werden könnte, mit Straßenprotesten für Unruhe zu sorgen. Das zu vermeiden, wurde spätestens seit 2014 zum obersten Ziel der russischen Innenpolitik. Alles andere wurde dem untergeordnet.

Die Menschen Russlands und der Ukraine sind sich ja sehr nah, sie teilen eine ähnliche Geschichte, die Kultur und oft auch die Sprache. Wie kann es sein, dass die russische Bevölkerung einen solchen Krieg dann nicht als schmerzhaft empfindet?

Oft geht es ja sogar um Menschen, die der gleichen Familie entstammen. Es ist also wirklich absurd. Aber wenn das Fernsehen seit acht Jahren erklärt, dass die Ukraine von Nazis reagiert wird, dass Russen dort verfolgt werden und die schlimmsten Dinge in diesem Land geschehen, dann beginnt man irgendwann daran zu glauben. Jedes Mal, wenn ich in den vergangenen Jahren zu Hause gewesen bin und den Fernseher eingeschaltet habe, lief irgendwo etwas darüber, wie schrecklich alles in der Ukraine ist. Es war eine Dauerbeschallung auf allen Kanälen - und dann wird aus einer Behauptung irgendwann eine Tatsache.

Es gab die in Deutschland stark verbreitete Hoffnung, dass wirtschaftlicher Austausch mit Russland auch zum demokratischen Wandel führen würde. War das von Anfang an eine falsche Idee?

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Nein, die Idee war richtig, sie war nur mit einer falschen Erwartung verbunden. Die Erwartung war, dass man mit solchen Mitteln dieses riesige Russland innerhalb weniger Jahre in eine westliche Konsumgesellschaft umwandeln kann. Die Annahme war, dass die Russen eine Art Ostdeutsche sind, die davon träumen, sich in den Westen zu integrieren. Das war nicht so.

Hören Sie in der neuen Folge von "Die Stunde Null"

  • Warum die Proteste der russischen Mittelschicht ins Leere liefen
  • Weshalb die sozialen Medien die Probleme in Russland noch verstärken
  • Wie lange der Krieg noch dauern könnte

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Mit Vladimir Esipov sprach Nils Kreimeier

Quelle: ntv.de, ddi

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