
"Ich muss dir was Wichtiges sagen!" "Klar, ich hör' dir zu!"
(Foto: imago stock&people)
"Na, wie geht's?" "Gu-...". "Also bei mir läuft's gerade super, alles paletti, Hund Katze Maus, alle wohlauf, die Geschäfte boomen, ich fahr’ nächste Woche in Urlaub, ganz neues Hotel, kennt noch keiner, Geheimtipp, ja, also ich muss los, war schön mit dir zu quatschen." Kommt Ihnen bekannt vor?
Katrin, du hast mich inspiriert. Du hast neulich zugehört, Fragen gestellt, und Anschlussfragen gestellt, die darauf schließen ließen, dass du zugehört hast. Du hast dich mit mir über Zuhören und Nichtzuhören unterhalten, du hast gesendet und empfangen. Ganz großes Tennis! Ich habe davon profitiert, dass du so viel liest und echt spannende Tipps hattest, ohne dass ich dich in der Bücherwurm-Ecke verankern würde. Du hast eine andere Frau mit in unser Gespräch integriert, auf sehr elegante Art. Du hast dann auf noch elegantere Art den Faden wieder aufgenommen, den nur wir beide miteinander hatten. Ich habe herausgefunden, dass du insgesamt eine sehr elegante Frau bist (das wusste ich eh), aber dass du gleichzeitig so was von herzerfrischend und bodenständig bist. Du liebst es, in Südtirol in einer Pension abzusteigen und nicht in einem Fünf-Sterne-Hotel mit High-Tech-Spa-ChiChi. Hätte ich nicht gedacht. Du kommst gern mit den Einheimischen ins Gespräch und brauchst im Urlaub nicht zwingend die Bubble, mit der du dich sonst umgibst. Du hast sehr schöne Zähne, das weiß ich, weil wir viel gelacht haben, und du hast einen sehr geraden Gang, das sehe ich und weiß ja, dein Mann ist Orthopäde. Ich habe unser Gespräch sehr genossen. Betonung auf Gespräch.
"Alles gut?"
In letzter Zeit, und das ist uns beiden aufgefallen, wird die "Alles gut!" -Fraktion, die nur noch sendet, nämlich immer größer. Natürlich antworten wir american-way-of-life-style-mäßig, meist mit "gut", wenn wir gefragt werden, wie es uns geht. Die Frage lautet ja aber auch immer häufiger: "Alles gut?", und nicht mehr: "Wie geht es dir?" Und ja, so deep wollen wir den meisten Mitmenschen ja auch gar nicht antworten, als dass sie über all unsere Zipperlein, Sorgen und Nöte Bescheid wüssten.
Aber dass die wenigsten, die man auch zu seinem engeren Kreis zählt, gar nicht über das obligatorische "gut" hinaus wollen, das ist einigermaßen neu. Ist das jetzt common Zeitgeist? Oder befinden wir uns in einem Wettbewerb, einem Vergleichskampf? Immerhin habe ich in letzter Zeit von einigen gehört, dass es ihnen ähnlich geht, und das lässt darauf schließen, dass ich vergleichsweise doch noch von vielen umgeben bin, die es auf einen wahren Austausch anlegen.
Die Ich-AGler
"Mein Sohn studiert in Amsterdam." "Meiner wurde ja in Yale angenommen." "Ich hab' mir überlegt, dass ich mein altes Auto noch weiterfahre." Ich hab' mir überlegt, dass wir komplett auf Elektro umsatteln, wir lassen gerade die Säulen dafür vor unserem Haus installieren." "Ich fahr' im Winter nach Österreich." "Ach, ist da denn überhaupt Schnee? Wir fliegen lieber gleich in die Rockys zum Heli-Ski." Okay, okay, ich übertreibe ein wenig, und ich könnte ja auch Fragen stellen, anstatt meine Sätze immer nur mit "Ich" anzufangen, aber das ist der Vibe, den ich verspüre. Auf die Frage: "Wie geht's denn so?" kriegt man zwar oft eine Antwort, aber selbst, wenn ich hundertprozentig bereits weiß, dass es gerade gar nicht so super läuft bei meinem Gegenüber, kommt oft die Antwort: "Super. Ach ja, das, aber das ist schon okay, lass mal über was Schönes reden." Ich habe natürlich gar nichts dagegen, über "was Schönes" zu reden, ich habe aber das Gefühl, dass die Empathie, das Interessiertsein an den Menschen, an den Dingen, die nicht so schön sind, flöten geht. Wissend, dass die Tochter eine große Kifferin ist und sämtliche Studien darauf hindeuten, dass das nicht ewig gut gehen kann, kriegt man nicht etwa: "Stimmt, ich werd' mal mit ihr reden, mache mir auch Sorgen" zur Antwort, wenn man nachfragt, sondern man erfährt, dass sie im Herzen eigentlich eine Art Mutter Theresa ist und eh alles im Griff hat.
Klassisches Ping Pong
Das Wesen der Unterhaltung liegt doch aber darin, wenn man sagt: "Mein Sohn wird in Amsterdam studieren", dass man dann eine Nachfrage bekommt: "Ach ja, wie schön, was studiert er denn, hat er eine Wohnung gefunden?" Dann könnte man antworten und sagen: "Sozialpädagogik. Er wohnt erstmal im Studentenwohnheim." Dazu kommt es aber meist gar nicht, weil auf den Satz: "Mein Sohn wird ja in Amsterdam studieren" folgt: "Meiner wurde in Yale angenommen." Und dann kommt, ganz ungefragt, der Rest der Info: "Geile Bude, super Leute, starkes Auswahlverfahren, mega Berufsaussichten bei dem High-Level-Studiengang", und so weiter und so fort, im Football-Team ist er auch schon und die schönsten Mädchen stehen Schlange vor der Tür seiner Maisonettewohnung, die er sich mit dem zweitbesten Typen vom Campus teilt, nicht billig, der ganze Bumms, "aber was soll man machen, hehe".
Meine Lieblingsfrage einiger meiner Gegenüber ist in letzter Zeit: "Wie geht's eigentlich deinem Vater?" Ich bin ehrlich gesagt nur noch bereit, diese Frage zu beantworten, wenn mein Gegenüber sich wirklich dafür interessiert und diese Frage nicht nur als höfliche Floskel benutzt, weil man das so gelernt hat und um mir ein warmes Gefühl zu geben. Das übrigens sofort auf minus 10 Grad runtergeht, wenn mein Gegenüber dann, während ich erstaunlicherweise tatsächlich erzähle, wie es meinem Vater geht (und mich kurz fasse, denn ich könnte einen ganzen Roman darüber schreiben, wie es meinem Vater geht), aufs Handy schielt, sagt: "Ja, das erzähltest du neulich ja schon" einwirft, den Kellner ruft ("Zahlen, bitte"), und mich dann auch noch einlädt. Beim Rausgehen dann der Klopfer auf die Schulter: "Hach, schön, dass wir endlich mal wieder so richtig gequatscht haben."
Quelle: ntv.de