Panorama

"Sie haben etwas Magisches" Anne Geddes und ihre Babys in Blumentöpfen

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Die Bilder wurden immer "mit Erlaubnis der Eltern" verwendet, sagt Anne Geddes. Und die Eltern waren immer am Set. Oder gleich mit auf dem Foto, wie hier Céline Dion.

Die Bilder wurden immer "mit Erlaubnis der Eltern" verwendet, sagt Anne Geddes. Und die Eltern waren immer am Set. Oder gleich mit auf dem Foto, wie hier Céline Dion.

(Foto: imago stock&people)

Annes Geddes ist die Frau, die damit angefangen hat, Babys in Blumentöpfen, in Blütenkelchen oder auf den nackten Rücken ihrer Mütter abzulichten. Fragil, frisch geschlüpft, und unendlich zart und kostbar. Das muss nicht jedem gefallen, aber Geddes hat damit unglaublichen Erfolg. Bis heute.

Mehr als 2000 Nackt-Models hat sie vor der Kamera gehabt, anzüglich sind ihre Fotos aber nicht, denn die Modelle von Anne Geddes sind alle Babys. Seit 30 Jahren macht die renommierte Fotografin eigentlich nichts anderes, als wenige Tage alte Neugeborene zu fotografieren. Jetzt hat sie einen neuen Bildband herausgebracht, mit Models, die nichts weiter tun müssen als schlafen. Und damit sie das auch wirklich machen, ist es im Fotostudio angenehm warm, im Hintergrund läuft Musik.

Ihre durchaus etwas skurrilen, gleichzeitig unverkennbaren Bilder eroberten in den 1990er Jahren die Welt. Man begegnete ihr dennoch selten mit Ehrfurcht. Während sie sich auf ihre tatsächlich erste, große Retrospektive vorbereitet, sprach sie mit dem "Guardian" über die Geheimnisse ihrer 40-jährigen Karriere.

Stolze Großmutter mit Baby, auch ein Motiv.

Stolze Großmutter mit Baby, auch ein Motiv.

(Foto: IMAGO/Eibner)

Als Anne Geddes begann, ihre berühmten Fotos zu schießen, merkte sie schnell, dass sie ein Ersatzbaby brauchte – oder 20. "Eine Beziehung zu einem Kind aufzubauen, das einen als Fremden betrachtet, ist sehr stressig", sagt sie. "Ich erinnere mich noch an den Versuch, ein Baby in einem Wasserbecken inmitten von Seerosen zu fotografieren. Ich brauchte fünf Babys, bis es klappte. Eines hieß sogar Lily, aber sie ließ sich nicht darauf ein. Sie sah mich an, als wollte sie sagen: 'Glaubst du ernsthaft, ich gehe ins Wasser?'" Eine ihrer bekanntesten Aufnahmen heißt "Cabbage Kids". Sie ist von 1991 und zeigt die Zwillingsbrüder Rhys und Grant mit Kohlblatthüten auf dem Kopf, die jeweils in einem umgedrehten Kohlkopf sitzen und sich leicht erschrocken einander zuwenden. Geddes' Assistent hatte einen Ballon an einer Schnur befestigt, ihn zwischen ihnen herabgelassen und in dem Moment hochgeschleudert, als sie sich umdrehten. Geddes gelang die Aufnahme.

Alles echt

Doch die ganze Welt hat sich verändert, stellt die 68-jährige Australierin mit Wohnsitz in Manhattan, New York, fest. Vor allem die Technologie habe alles verändert. Ihre "Cabbage Kids" findet sie "authentisch": "Die Requisiten waren echt. Alles stand in meiner Garage."

Echt jetzt? Ja, alles echt!

Echt jetzt? Ja, alles echt!

(Foto: IMAGO/Eibner)

Doch es macht sie traurig, wenn Leute nun ihre Arbeit infrage stellen, weil sie denken, mit Photoshop und KI sei schließlich alles möglich. "Ich glaube, originelle Geschichten werden sich immer durchsetzen. Deshalb ist es wichtig, dass Menschen hinter den Fotos stehen. Künstliche Intelligenz kann das nicht nachbilden", gibt sie zu bedenken.

Wer in den 1990er-Jahren aufgewachsen oder Eltern geworden ist, hatte mit großer Wahrscheinlichkeit ein Geddes-Poster, einen Kalender, ein Fotoalbum oder einen Bildband. Babys, die aufrecht in einem Blumentopf oder Eimer stehen oder schläfrig von einer Pfingstrose, einer Calla oder einem Rosenbeet herabblicken, schmückten damals die Wände. Manche waren als Hummeln verkleidet, andere dösten mit kleinen Feenflügeln auf einem Bett aus frischem Herbstlaub. Die Bilder haben die seltene Eigenschaft, Kinder anzusprechen, ohne kindisch zu sein, und tauchen, oft ironisch, nun wieder in den sozialen Medien auf.

Ob sich da jemand drüber freut?

Ob sich da jemand drüber freut?

(Foto: IMAGO/Dreamstime)

Dabei wurden die Fotos zunächst nicht nur auf Grußkarten verbreitet, sondern waren auch auf dem Cover der "Vogue Homme", in einer Dior-Werbung und 2004 sogar in einem Buch mit Céline Dion. Richtungsweisend in dieser Zeit war für Geddes ihr Auftritt in der Oprah Winfrey Show: "Sie kam mit zwei als Hummeln verkleideten Babys heraus, und wir schossen auf die Bestsellerliste der New York Times!" Der Höhepunkt ihres Ruhms jedoch war die Folge in der Serie "Friends", als Elle Macphersons Figur Janine bei Joey einzog und versuchte, seine Wohnung mit einem Geddes-Foto zu "vermädchen".

Hoffnung

Geddes ist eine beeindruckende Frau mit hohen Wangenknochen und strahlender Haut, ein Meryl Streep-Typ nennt sie der "Guardian". Fast 30 Jahre ist es her, dass sie "Down in the Garden" schuf, eine Fotoserie von Babys in und um Flora und Fauna. Einige davon sind in ihrer ersten Retrospektive im Neuen Kunstmuseum in Tübingen zu sehen, darunter auch eineiige Drillinge, die in den Händen von Jack, einem Schulhausmeister, schlafen. Dessen Hände sind auch auf ihrem 1993 entstandenen Foto von Maneesha zu sehen, einem Baby, das in der 28. Woche zu früh geboren wurde. Seit Jahren schreiben Menschen Geddes, dass sie dieses hoffnungsvolle Bild an ihrem Kühlschrank aufbewahren.

Als Nyla anfing zu quengeln, wiegte Tuli sie und flüsterte ihr ins Haar. Geddes nutzte den Moment.

Als Nyla anfing zu quengeln, wiegte Tuli sie und flüsterte ihr ins Haar. Geddes nutzte den Moment.

(Foto: IMAGO/Eibner)

Ein weiteres Foto aus dieser Serie zeigt Tuli und Nyla. Geddes hatte zwei Tage im Studio, viele Babys und eine riesige Polaroid-Kamera. "Ich hatte keine Requisiten, aber man braucht einen groben Plan, wenn man mit Babys arbeitet, da man schnell arbeiten muss", sagt sie. Geddes bezeichnet diese requisitenlosen, etwas ruhigeren Bilder als ihre "klassischen Arbeiten" und die Babys in Blumenbeeten als "das, was alle kennen". "Nachdem 'Down in the Garden' herauskam, drehte sich alles nur noch um Töpfe", sagt sie. "Es war, als hätte ich einen Blumentopf auf die Stirn tätowiert. Die Leute wollen immer die Blumentöpfe! Aber ich mache auch andere Sachen. Und ich freue mich darauf, dass die Leute die anderen Arbeiten sehen!" Die Ausstellung in Tübingen ist das erste Mal, dass jemand Geddes darum gebeten hat - obwohl sie mehr als zehn Millionen Kalender und fast doppelt so viele Exemplare ihrer sieben Bildbände verkauft hat.

Ist es Snobismus?

"Fotografie ist eine Männerbranche", sagt Geddes, "die Leute glaubten, ich sei ein One-Hit-Wonder." Sie fotografiere liebend gern "alles, was mit dem Versprechen neuen Lebens, dem Wunder von Schwangerschaft und Geburt" zu tun hat.

Anne Geddes

Geddes wurde 1956 geboren und wuchs mit vier Schwestern auf einer großen Ranch in Queensland auf. Sie waren Landkinder, die eine zweiklassige Grundschule besuchten. Fotografie spielte in ihrem Leben keine Rolle: "Ich habe nur drei Bilder von mir unter zwei Jahren und keines von mir als Neugeborenes." Als Teenager abonnierte sie das Magazin "Life" und war fasziniert von der Idee, eine Geschichte durch Bilder zu erzählen. Dennoch blieb sie am Rande der Fotografie und arbeitete beim Fernsehen, wo sie ihren Mann Kel kennenlernte. Kurz nach ihrem Kennenlernen zog das Paar nach Hongkong, wo Kel einen Fernsehsender leiten sollte. "Dann heirateten wir, und ich dachte: Ich habe ein Dach über dem Kopf, jetzt ist es an der Zeit, mir eine Kamera zuzulegen." Sie hing Anzeigen in Supermärkten auf und bot an, Familien und Kinder zu fotografieren. Mit einer Pentax K1000 streifte sie durch deren Gärten und Häuser. Zurück in Australien und schwanger mit ihrer zweiten, heute 40-jährigen Tochter, begann Geddes, ihre klassischen Babyfotos zu machen. Vor allem: Fotos für andere, frischgebackene Eltern. Dafür baute sie aufwendige Sets in ihrer Garage.

Viele ihrer Aufnahmen entstanden zufällig. Eines Tages wurde die sechs Monate alte Chelsea für ein Porträt vorbeigebracht, und Geddes entdeckte einen leeren Blumentopf im hinteren Teil des Studios: "Wir haben sie einfach da reingesetzt." Damit sie es bequem hatte, legte sie den Topf mit Stoff aus. Nach ein paar Monaten schickte sie eine Sammlung dieser Bilder an einen kleinen Grußkartenhersteller. Und so begann es. Als sie bekannter wurde, "begannen die Leute, ihr Fotos ihrer Babys zu schicken oder riefen unter Tränen aus dem Kreißsaal an und sagten: "Ich habe gerade das wundervollste Baby bekommen." Und Geddes dachte nur: "Okay, ja, sicher, los geht's."

"Für mich ist ein nacktes Neugeborenes perfekt", sagt sie. "Sie sind am Anfang ihres Lebens, einfach nur gut, und das liebe ich an ihnen. Man sieht diese Tyrannen, die zum Beispiel in der Politik ihr Unwesen treiben, und denkt: Sie waren auch mal Neugeborene. Was ist passiert? Warum haben eure Mütter euch nicht einfach gesagt, ihr sollt euch hinsetzen und benehmen?"

Eine eigene, visuelle Handschrift

Ihr Erfolg ist ungewöhnlich, wenn man bedenkt, wie kitschig ihre Bilder sind. "Mein Thema gilt nicht als Kunst, das war meine ganze Karriere lang deutlich", sagt sie. Geddes nennt ihre Bilder immer noch mit dem Namen jedes Babys, auch, weil sie mit einigen noch in Kontakt steht. Kürzlich startete sie einen Aufruf, in der Hoffnung, die Babys, die jetzt in ihren Dreißigern sind und von denen viele selbst Eltern sind, wiederzusehen. Wir lieben es, unsere eigenen Babys anzuschauen, aber warum schauen wir uns auch gerne die anderer Leute an? "Das tun wir nicht immer", sagt Geddes. Einmal hätte sie in Neuseeland beinahe einen großen Porträtpreis gewonnen. "Ich erinnere mich, wie der Chef von Kodak in Neuseeland zu mir kam und sagte: 'Gott sei Dank haben Sie nicht gewonnen. Wie können wir ein Baby an der Wand des Sitzungssaals haben?'" Dabei müsste die Frage doch lauten: Wie können wir eigentlich kein Baby an der Wand unseres Sitzungssaals haben?

Geddes drapiert ihre Modelle mit Motiven aus der Natur - für die einen ist das Kitsch, für die anderen hohe Kunst. Für die Mütter der jeweiligen Babys etwas Einmaliges.

Geddes drapiert ihre Modelle mit Motiven aus der Natur - für die einen ist das Kitsch, für die anderen hohe Kunst. Für die Mütter der jeweiligen Babys etwas Einmaliges.

(Foto: IMAGO/YAY Images)

Schön und wichtig

Wie auch immer: Geddes vermittelt eine Botschaft: "Ich kann die Leute ermutigen, ihre Babys anzuschauen und zu erkennen, wie wertvoll und wie schön und wie wichtig sie sind – als Menschen. Sie sollten alle Wertschätzung erfahren und gefördert werden – leider wachsen viele Kinder nicht so auf." 'Der Zauber des Lebens' heißt Geddes neuer Bildband. Und Millionen Fans in aller Welt dürften sich auf 200 Seiten Blumen, Buntes - und vor allem Babyspeck freuen.

Im Neues Kunstmuseum Tübingen" läuft die Ausstellung "Until Now" bis zum 21. September.

Quelle: ntv.de

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