Panorama

Aus der Schmoll-Ecke Autofahren ist bald nur noch was für Reiche

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Der Autoverkehr auf den Champs Élysées im Dezember 2023..

Der Autoverkehr auf den Champs Élysées im Dezember 2023..

(Foto: picture alliance / abaca)

Paris versucht sich an der Verkehrswende. Zu spüren ist davon kaum etwas. Außer: Autofahren muss man sich leisten können - neben den hohen Mieten. Deshalb hat die Bürgermeisterin den Kampf gegen die Reichen aufgenommen. Und das soll die Zukunft sein?

Kommt ein Mann in die U-Bahn und schreit: "Allahu akbar!" Der Beginn eines Witzes, werden Sie denken. Noch dazu eines schlechten, der dafür sorgt, dass sich Vorurteile in unsere Köpfe brennen, wie etwa jenes, dass es Terroristen gibt, die sich auf den Koran berufen. Nein, kein Witz. So schoss es mir durch den Kopf, als ich neulich in die Pariser Metro einstieg. Und das hatte mit meinem Nachrichtenkonsum zu tun.

Von der tödlichen Messerattacke auf einen deutschen Touristen nahe dem Eiffelturm wenige Tage vor meinem Paris-Besuch hatte ich nichts mitbekommen, was damit zu tun hat, dass ich momentan nicht ständig News schaue. Es ist meiner Psyche nicht förderlich, jeden Tag von den Aktivitäten des Sensenmannes und seiner irdischen Helfer oder dem nahen Ende des Abendlandes, der Fortschrittskoalition und von Volkswagen zu lesen. Das hält man nicht mehr aus.

Dann aber wurde ich schwach und guckte auf ntv.de. Ich will ja wissen, was in der Welt passiert, ehe sie untergeht. Und so erfuhr ich, dass die grandiose Nancy Faeser vor islamistischem Terror "derzeit in der EU" warnt und auf den Täter von Paris verwies. Der war dem französischen Inlandsgeheimdienst als Islamist und wegen "erheblicher psychischer Störungen" bekannt. Nun könnte man denken, dass Islamismus und Wahnsinn nah beieinander liegen. Aber bitte keine Vorurteile!

Für alle, die nicht wissen, welche Länder zur EU gehören, fügte Frau Faeser hinzu, dass "nicht nur in Deutschland" von einer akuten Gefahr von Muslimen mit Hang zur radikalen Auslegung des Korans auszugehen ist, "sondern eben auch in allen Nachbarstaaten". Der Nahostkrieg verschärfe die Lage, sagte sie, damit niemand auf die Idee kommt, dass Deutschland allein betroffen ist, und niemand denkt, dann hätten wir vielleicht doch nicht jeden unkontrolliert reinlassen sollen. Zu spät.

Tempo 30 ist wohl nur eine Empfehlung

Zum Glück war die Metro so voll, dass keiner eine Machete ziehen oder eine Bombe aus der Tasche holen konnte. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte eine überfüllte U-Bahn etwas Beruhigendes. Ich stieg aus und war sehr gespannt, denn ich hatte immer wieder von der "grünen Verkehrswende" in Paris gehört und gelesen, die die sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo vorantreibt. Ich war gespannt, die Stadt, die ich schon oft besucht habe, ohne Autos zu erleben. Und siehe da: Die Verkehrswende ist bisher ein Verkehrswendchen.

"Paris führt fast überall Tempo 30 ein", meldete die zur Wahrheitspresse gehörende "Tagesschau" im Sommer 2021. Falls es wirklich so ist, müssen so gut wie alle Geschwindigkeitsmesser in französischen Autos defekt sein. Trotzdem empfand ich es als angenehm: Der Verkehr ist weniger geworden. Was auch mit Home-Office und den hohen Gebühren zu tun hat für die wenigen öffentlichen Parkplätze, die es noch gibt. So wird in Paris die von linken Politikern beklagte Spaltung der Gesellschaft im Straßenverkehr sichtbar. Wer in Paris Auto fahren will, muss Kohle haben. Aber Hidalgo hat auch schon den Kampf gegen die Reichen aufgenommen. Sie lässt über höhere Parkgebühren für SUVs abstimmen. So geht demokratischer Sozialismus.

Radfahrer gibt es nun einige mehr in Paris. Die tun am liebsten das, was sich Olaf Scholz vermutlich jeden Tag wünscht, aber nicht kriegt: Sie ignorieren die Ampel. Ich vermute, dass die Zahl der Unfälle mit Radfahrern zugenommen hat. Ich habe in der kurzen Zeit zwei, drei Fast-Unfälle gesehen, was auch an den merkwürdigen Fahrspuren und Sonderfahrspuren liegt, die nicht immer sofort zu verstehen sind. Es geht kreuz und quer - irgendwie. Das kenne ich aus Berlin, wo die Grünen ganz nah dran waren, die Verkehrswende zu schaffen, bevor die CDU die Wahl gewann.

Lernt Berlin von Paris?

Nun können die Grünen nur noch in den Berliner Bezirken ihr Bestmögliches tun. Der neuste Hit sind in Kreuzberg Wiesenhügel, wie wir sie von den Teletubbies kennen, die übrigens per "Gestattungsverträgen" von privat gepflegt und gehegt werden dürfen. So spart der Stadtbezirk Geld. Das kann er dann für andere tolle Dinge ausgeben, etwa für "Zeichen der Toleranz". Friedrichshain und Kreuzberg möchten auf Fußgängerampeln gleichgeschlechtliche Ampelpärchen zeigen. Wobei hier schon die nächste Gefahr lauert. Man kann nur grüne, gelbe und rote Menschen zeigen. Da werden sich Schwarze und Weiße benachteiligt fühlen. Oh je, was nun?

Vielleicht kann sich Paris dieses und jenes bei den Berliner Grünen abschauen. Oder die Grünen bieten ihren kostbaren Rat an. Claudia Roth hätte viel zu tun, etwa in den Museen, in denen es Gemälde gibt, auf denen die französischen Kolonien romantisierend dargestellt sind. Oder Haremsbilder voller Klischees. Alles weg! Verbrennen. Auf dem Scheiterhaufen postkolonialer Gerechtigkeit. Oder wenigstens mit erklärenden Schildern versehen, damit niemand denkt, dass Kolonien ein Idyll waren. Auch Triggerwarnungen wären gut, vor allem unter Kriegsbildern: "Dieses Gemälde enthält explizite Schilderungen psychischer und physischer Gewalt. Die Inhalte können belastend oder retraumatisierend auf Sie wirken." Nur was, wenn ein Besucher erst auf das Gemälde schaut und nicht auf den warnenden Schriftzug? Oh je, die Welt ist so kompliziert.

Zum Glück ist die "Mona Lisa" davon nicht betroffen. Als die Italiener Geschmack an Kolonien fanden, war Leonardo da Vinci schon tot. Deshalb darf das Bild bleiben. Das wird Touristen freuen. Der Hype um das wirklich schöne Gemälde nimmt aberwitzige Züge an. Sieben Sicherheitsleute zählte ich, die immer wieder aufgeregte junge Frauen von dannen schickten, die sich zu lange mit Selfies in vorderster Reihe aufhielten. Die sieben Personen riefen ab und an: "No flash!". In Wahrheit meinten sie: "Hier bitte nicht festkleben!" Jaja, lustig.

Witzig ist auch, dass wenige Schritte entfernt drei weitere Gemälde Leonardos hängen, die man ganz nah und mit etwas Glück ganz allein bewundern kann. Eins zeigt drei Generationen aus der Zeit vor der allerletzten Generation: zu sehen sind die Mutter Marias, die Jungfrau selbst und ihr Sohn Jesus. Gegenüber der Mona Lisa hängt "Die Hochzeit zu Kana" von Veronese, der Charaktere malen konnte wie kaum ein zweiter Künstler seiner Zeit. Das Bild ließ Napoleon 1797 klauen und nach Paris verschleppen. Spätestens, wenn die EU nicht mehr existiert, werden die Italiener die Rückgabe fordern. Bis es soweit ist, hat Paris hoffentlich die Verkehrswende geschafft. Dann müssen es die Italiener wenigstens mit dem Fahrrad holen.

Quelle: ntv.de

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