"Die Stadt schenkt dir nichts" "Grazie" - zwei Italiener über Berlin


Dit allet is Berlin: Dorf, Platte, Großstadt, Grünzeug, Underground (nicht im Bild) und Berge ham' wa ooch (Müggel- und Teufelsberg).
(Foto: IMAGO/Hohlfeld)
Berlin als Ort für den Start ins Erwachsenenleben - so haben es viele Italiener vor und nach dem Mauerfall erlebt. Ein Musiker und ein Schriftsteller unterhalten sich über ihre erste Begegnung mit "Berlino" und ihre anhaltende Liebe.
Es gibt wohl keine andere Großstadt, die die Italiener so fasziniert wie Berlin. Paris ist chic, New York steht weiter für den amerikanischen Traum, London hat mittlerweile an Flair verloren, man ist aber trotzdem stolz, wenn die Kinder sich dort ihre Zukunft aufbauen.
Berlin ist aber eine Nummer für sich. Und bleibt es auch. Auf jeden Fall für die Italiener, wie man vor ein paar Tagen einem Austausch zwischen dem Musiker Massimo Zamboni und dem Schriftsteller Vincenzo Latronico in der Tageszeitung "La Stampa" entnehmen konnte. Für beide öffnete der Aufenthalt in Berlin ihnen das Tor zur Selbstständigkeit und Selbstverwirklichung.
Sowohl Zamboni als auch Latronico sind dem deutschen Publikum, zumindest einem Teil davon, geläufig. Der Gitarrist und Liedertexter Zamboni ist Mitglied der Band CCCP, Italiens erster Punkrock-Band aus den 80er-Jahren. Gegründet wurde sie von Zamboni und Giovanni Lindo Ferretti, die sich 1981 in Berlin kennenlernten. Nach 40 Jahren ist man dieses Jahr wieder zusammen aufgetreten, im Februar auch im Berliner Club "Astra".
Ein schwarzes Loch mit Leere gefüllt
Von Latronico wurden wiederum zwei Romane übersetzt: "Die Verschwörung der Tauben" und "Die Perfektionen". Letzterer erzählt von Berlin und einem italienischen Paar, das in die deutsche Metropole zieht, in der Hoffnung, die ersehnte Freiheit zu finden, ihre Kreativität auszuleben und ihren Leidenschaften, gleich welcher Art, folgen zu können.
Anlass zum Austausch in der Tageszeitung war die Wiederveröffentlichung von Zambonis erstmals 2017 erschienenen Memoiren "Keine innere Stimme - Ein Sommer in West-Berlin" und das Ende 2023 erschienene Sachbuch "Der Schlüssel von Berlin", in dem sich Latronico mit der Beziehung zur Stadt auseinandersetzt. Beide Bücher sind beim Verlag Einaudi erschienen und bislang nicht ins Deutsche übersetzt worden.
Vom Gedankenaustausch sticht primär eins ins Auge: Berlin ist eine Herausforderung. Zamboni erzählt Latronico von seiner Ankunft: "Berlin war so etwas wie ein schwarzes Loch, über das ich nichts wusste. Gerade angekommen und aus der Station Yorckstraße ins Freie gestiegen, verlief ich mich und landete in einer bombardierten Gegend, die einem Dschungel glich." Für Latronico war es wiederum die Leere, die ihn fesselte. Im Buch heißt es: "Keine andere Stadt ist so mit Leere gefüllt." Ob Dschungel inmitten der Stadt oder Leere, den gerade Angekommenen gibt die Stadt das Gefühl, sie habe für jeden von ihnen und ihren Träumen Platz.
Zamboni, Jahrgang 1957, landete im Juli 1981 in Berlin. Latronico, Jahrgang 1984, im April 2009. Zamboni fuhr an einem Julitag von Reggio Emilia per Anhalter nach Berlin. Latronico war von einem Berliner Theater eingeladen worden, das einen seiner Texte aufführen wollte. Der eine kam in der Yorckstraße an, der andere auf der Oberbaumbrücke. Beide wollten ihrem (spießigen) Alltag entfliehen.
Berlin - Metapher für Jugend
"Das ist die klassische Geschichte des 20. Jahrhunderts über den Jugendlichen, der in die große Stadt zieht, nach Monaten oder Jahren zurückkehrt und jetzt weiß, wer er ist", meint Latronico. Paris habe diese Funktion im 19. Jahrhundert gehabt, New York in den 60er-Jahren. "Berlin war vielleicht die letzte Stadt, die als Metapher für Jugend steht. Heute sind die Städte ganz anders."

Voll süß, oder? Da hat sicher einer gedacht, dass ein anderer den Wäscheständer bestimmt noch gebrauchen kann. So sindse, die Berliner ...
(Foto: IMAGO/Jürgen Ritter)
Wobei Berlin nichts und niemandem etwas geschenkt hat. In den Augen der Italiener war alles sehr streng. "Die große Leere, die Berlin anzubieten hatte, verlangte gefüllt zu werden", fügt der Musiker, den Gedanken seines Gesprächspartners folgend, hinzu. "Diese Verfügbarkeit an Raum forderte, etwas daraus zu machen, sich der Kunst oder einem Beruf zu widmen. (...) Ich habe Discos und Geschäfte jeder Art aus allen möglichen Löchern emporwachsen gesehen." Für Zamboni ist es die Aufgabe einer Stadt, die Talente seiner Bewohner anzuregen. "Das ist eine Lehre, die ich aus Berlin mitgenommen habe", keine andere Stadt sei dazu geeigneter, sagt er, "und daran hat sich bis heute auch nicht wirklich was geändert".
Als Latronico das erste Mal Berlin sah, war er 24 Jahre alt. Er hatte schon einen Roman veröffentlicht und ein paar positive Rezensionen geerntet. Zu jener Zeit plante er in die USA zu ziehen, blieb aber dann in Berlin stecken, und das, obwohl sein Theaterstück nicht aufgeführt wurde. Sein erster Aufenthalt dauerte von 2009 bis 2014, 2020 kam er zurück und ist nicht mehr fortgezogen.
Die Hausbesetzungen, die zur Zeit von Zambonis erstem Berlin-Aufenthalt noch üblich waren, gab es zu Latronicos Zeit nicht mehr. Die Stadt zeigte sich aber weiter jugendfreundlich und erschwinglich. Es sei nicht schwer gewesen, zusammen mit einem Freund eine geräumige Wohnung für bezahlbare Miete zu finden, erinnert er sich. Es ist noch das Berlin, das der damalige SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit gerne als "arm, aber sexy" beschrieb.
Dieses Berlin gibt es nicht mehr, genauer gesagt: Es sei am Verschwinden, klagt Latronico. Was die einen einst aus Leidenschaft und Freude schafften, erfanden, experimentierten, nutzen die Startup-Unternehmen heute vornehmlich profitorientiert. Einst sang Marlene Dietrich: "Ich hab' noch einen Koffer in Berlin", mittlerweile haben viele Künstler ihre Koffer wieder gepackt. "Die Leere, die sie suchten, gibt es nicht mehr", meint Latronico.
Der Mut, sich öffentlich zu schämen
Zamboni steht dem Wandel weniger kritisch gegenüber, Pioniere und Profiteure habe es schon immer gegeben. Die Frage, die ihn umtreibe, sei vielmehr, ob es richtig sei, eine Stadt, die einem so viel gegeben hat, zu verlassen, nur weil sie nicht mehr den eigenen Wünschen und Fantasien entspricht. Auch Latronico stellt sich die Frage, weil Berlin ihnen doch so viel gegeben habe. "Wir kamen verirrt an und reisten als Kunstschaffende ab."
Mag sein, dass Berlin im Laufe der Zeit immer mehr seine Einmaligkeit verliert und zu einer Großstadt wird wie viele andere. Gleichwohl wird sie weiter für etwas stehen, das besonders den Italienern eine Lehre sein sollte, meint Zamboni abschließend: "Berlin hat den Mut, sich öffentlich zu schämen. Das Holocaust-Mahnmal, die Stolpersteine, die Museen erinnern daran." Italien habe sich stattdessen für die Variante, so viel wie möglich unter den Teppich zu kehren, entschlossen. Darin liege auch die Misere des Landes, so der Musiker.
Quelle: ntv.de