Abgezwackte Spendengelder? Die Mormonen und ihr 100-Milliarden-Fonds
17.04.2021, 10:30 Uhr
Der Tempel in Salt Lake City ist das Wahrzeichen der Mormonen.
(Foto: REUTERS)
Die Mormonenkirche hat einen 100 Milliarden Dollar schweren Fonds angehäuft, weil sie laut eines Ex-Finanzmanagers Mitgliedsbeiträge abgezwackt haben soll. Vor einem US-Gericht wurde Klage wegen vermeintlichen Spendenmissbrauchs eingereicht.
Ende 2019 schreckt ein Whistleblower die Mormonen auf. Ein ehemaliger Finanzmanager der Kirche beschuldigt die größte Gruppe innerhalb der Religionsgemeinschaft, die "Latter-day Saints" ("Heiligen der Letzten Tage"), Spendengelder in einen Investmentfonds angelegt zu haben, anstatt sie für wohltätige Zwecke zu verwenden. Der Whistleblower legt deshalb Beschwerde bei der US-Steuerbehörde ein.
Danach ist zunächst nicht viel passiert. Erst Ende vergangenen Monats nimmt der vermeintliche Spendenskandal wieder an Fahrt auf, als ein ehemaliges Kirchenmitglied Klage vor einem US-Bundesgericht in Kalifornien einreicht. James Huntsman will von der Kirche fünf Millionen Dollar vor Gericht erstreiten. Den Betrag, den er nach eigener Aussage, während seiner Mitgliedschaft von 1993 bis 2017 an die Kirche gespendet hat.
Jahrzehntelang "betrogen und belogen"
Die Mormonen verlangen von ihren Mitgliedern, mindestens zehn Prozent ihres Einkommens an die Kirche zu spenden. Die Verwaltung des Geldes übernimmt Ensign Peak Advisors. "Im Endeffekt sind das Investmentmanager, die überschüssige Mitgliedsbeiträge verwalten und anlegen. Sie sind rechtlich betrachtet eine Art Tochtergesellschaft der Kirche. Deshalb sind sie von der Einkommensteuer befreit", erklärt Claudia Jetter von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".
In der Klage heißt es, die "Latter-day Saints" (LDS) hätten Huntsman und andere Mitglieder "jahrzehntelang" betrogen. Über die beabsichtige Verwendung der Gelder sei "wiederholt und öffentlich gelogen" sowie versprochen worden, "dass sie für nicht-kommerzielle Zwecke verwendet würden, die mit den Grundsätzen der Kirche übereinstimmen". Hinter den Kulissen habe die Kirche jedoch "heimlich ihre eigenen Taschen gefüttert". Es sei ein "milliardenschweres kommerzielles Immobilien- und Versicherungsimperium" aufgebaut worden, das mit "Wohltätigkeit nichts zu tun" habe, lautet der Vorwurf.
So seien die steuerfreien Spendengelder, die für wohltätige Zwecke bestimmt waren, zum einen auf Konten gehortet, zum anderen für den Bau eines Einkaufszentrums in Salt Lake City und die Rettung einer privaten Versicherungsgesellschaft ausgegeben worden. LDS-Sprecher Eric Hawkins wies die Vorwürfe im Gespräch mit dem Portal "Insider" als "unbegründet" zurück. Die finanziellen Mittel für das Einkaufszentrum stammten aus "kommerziellen Einrichtungen, die der Kirche gehören" sowie aus "Erträgen investierter Reservefonds".
"Mittlerweile bürgerliches Image"
Kläger James Huntsman ist der Bruder von Jon Huntsman, dem früheren Gouverneur von Utah. Der Drei-Millionen-Einwohner-Bundesstaat mit seiner Hauptstadt Salt Lake City ist der Mormonenstaat schlechthin. Die "Latter-day Saints" stellen in Utah sogar die Bevölkerungsmehrheit. Weltweit zählt die Gruppe nach eigenen Angaben über 16 Millionen Mitglieder. In den USA machen sie laut Befragungen etwa 1,7 bis 1,9 Prozent der Bevölkerung aus. Nach Protestanten und Katholiken sind die Mormonen damit die drittgrößte Glaubensgemeinschaft der Vereinigten Staaten, gleichauf mit dem Judentum. 98 Prozent der Mormonen gehören wiederum zu den "Latter-day Saints".
"Mittlerweile haben sie ein sehr bürgerliches Image. Sie haben sich stark in die Mitte bewegt. Auf religiöser Ebene wird viel unternommen, um sich anzuschließen, gerade in Richtung der protestantischen Christen in den USA. Auf politischer Ebene haben sie sich in die konservative Mitte bewegt, es gibt pragmatische Bünde mit konservativen Christen und orthodoxen Juden. Die Präsidentschaftskandidatur des Mormonen Mitt Romney war ein ganz klares Zeichen", analysiert Expertin Jetter.
Mormonen glauben an die Bibel und sehen sich selbst als die einzig wahren Christen. Sie deuten die Schrift aber anders und erkennen auch weitere Bücher als Heilige Schriften an, allen voran das Buch Mormon von ihrem Gründer Joseph Smith. "Generell kann man sagen, dass sie häufig auf Missionsarbeit und in karitativen Organisationen engagiert sind", erklärt Jetter.
Das bestgehütete Geheimnis der Finanzwelt
Genau dieser karitative Gedanke wird durch Huntsmans Klage auf eine harte Probe gestellt. Schon in der Steuerbeschwerde Ende 2019 hieß es, die Kirche hätte jedes Jahr sieben Milliarden Dollar an Mitgliedsbeiträgen erhalten, aber nur etwa sechs Milliarden Dollar zur Deckung der jährlichen Betriebskosten verwendet. Die übrige Milliarde sei jedoch nicht für religiöse, erzieherische oder wohltätige Zwecke verwendet worden. Stattdessen wurde damit offenbar der Fonds gefüttert. Dieser sei über Jahre hinweg das bestgehütete Geheimnis in der Finanzwelt gewesen, schrieb das "Wall Street Journal" Anfang vergangenen Jahres.
Die kircheneigene Vermögensverwaltung Ensign Peak Advisors war 1997 aus der Investmentabteilung der Kirche hervorgegangen. Diese hatte bis dato zwölf Milliarden Dollar angehäuft. Nach der Ausgliederung wuchs der Wert des Fonds rasant. Den Regeln der Mormonen entsprechend wird nicht in Alkohol, Tabak oder Glücksspiel investiert, stattdessen gehören Aktien von Tesla, Apple, GameStop, Amazon und Google zum Portfolio. Der aktuelle Wert wird auf etwa 100 Milliarden Dollar geschätzt.
Wie die Kirche begründet, dass sie auf einem solchen Batzen Geld sitzt? Sie führe theologische Gründe an, erklärt Claudia Jetter. "Die Kirche argumentiert, dass dieses Geld sinnvoll angelegt wird, um sozusagen für die letzten Tage vorzusorgen und die Kirche gut in das Reich Gottes einführen zu können."
Verurteilung unwahrscheinlich
In der Klage heißt es, Huntsman habe die Kirche um Rückzahlung seiner geleisteten Mitgliedsbeiträge gebeten, als er von der Steuerbeschwerde gehört hatte. Die Weigerung der Kirche habe ihn zur Klage veranlasst, berichtet "Insider".
Eine Verurteilung der "Latter-day Saints" erscheint aber unwahrscheinlich. "Religiöse Organisationen müssen ihre Zahlen nicht einmal offenlegen in den USA. Es gibt auch gar keine Grenze, ab wann eine Institution, die steuerbefreite Einnahmen hat, Geld ausgeben muss. Auch die Steuerbehörde ist da sehr vage, das sind dann immer Entscheidungen von Fall zu Fall", gibt Claudia Jetter zu bedenken.
Sollte Huntsman die Spendengelder doch zurückbekommen, wolle er sie "an Gruppen spenden, die von der Kirche marginalisiert wurden: Wohltätigkeitsorganisationen, die sich für die Rechte von LGBTQ, Afroamerikanern und Frauen einsetzen".
Quelle: ntv.de