Panorama

Timo Ulrichs im Interview "Ende der Gratis-Tests ist Wiederherstellung von Gerechtigkeit"

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Die Regierungschefs von Bund und Ländern haben beraten - und beschließen Maßnahmen bereits ab einer Inzidenz von 35. Epidemiologe Ulrichs begrüßt das, weil "frühe Maßnahmen die Welle flacher halten können".

ntv: Das Konzept, das uns durch die vierte Welle bringen soll, lautet 3G - geimpft, genesen, getestet - für Innenräume ab einer Inzidenz von 35. Wird uns das gut schützen?

Der Epidemiologe Timo Ulrichs ist Professor für Medizin, Mikrobiologie und Katastrophenhilfe an der Akkon-Hochschule in Berlin.

Der Epidemiologe Timo Ulrichs ist Professor für Medizin, Mikrobiologie und Katastrophenhilfe an der Akkon-Hochschule in Berlin.

(Foto: ntv)

Timo Ulrichs: Da kann man eigentlich ganz zuversichtlich sein, denn solche Vorsichtsmaßnahmen haben wir ja schon gut eingeübt. Da wir die Maßnahmen nun schon bei einer Inzidenz von 35 beginnen lassen, stellen wir uns sozusagen vor die vierte Welle. So können wir einen Lockdown verhindern, weil alle Übertragungsszenarien möglichst gut kontrolliert werden können. Das ist, glaube ich, eine sehr wichtige Maßnahme.

Was halten Sie von der 35er-Inzidenz, also 35 Neuinfektionen pro 100.000 Menschen in einer Woche?

Der Wert ist sehr ambitioniert, denn da bewegen sich die Zahlen ja bereits hin. Aber er ist sinnvoll, weil frühe Maßnahmen das Ganze abbremsen und die Welle flacher halten können.

Es gibt Überlegungen von 3G auf 2G zu gehen, also Geimpften und Genesenen Grundrechte zurückzugeben, aber nicht Getesteten. Was halten Sie davon?

Tatsache ist, dass man Geimpfte und Genesene nicht ohne weiteres mit negativ Getesteten gleichsetzen kann. Bei den negativ Getesteten ist das Risiko, dass man gerade mit Schnelltests falsch negativ getestet wird, sehr hoch im Vergleich zur relativ sicheren Situation von Geimpften. Deswegen sollte man, wenn die epidemiologische Lage sich noch weiter verschlimmert, durchaus auch diesen Unterschied hervorheben. Umgekehrt kann man sagen: Geimpfte sind eigentlich aus dem Spiel. Das heißt, sie sollten mit dem normalen Leben weitermachen können.

Dadurch soll ja auch die Impfquote in gewisser Weise angehoben werden. Glauben Sie, dass das funktioniert?

Das wäre eine Art sanfter Druck. Natürlich wäre es besser, wenn man parallel durch weitere Maßnahmen die Menschen zum Impfen bewegen kann - gerade die jüngeren Altersgruppen zwischen 18 und 35. Dass man also gut aufklärt und über Konsequenzen beim Impf-Verzicht spricht, denn das bringt die gesamte Bevölkerung Richtung Herbst und Winter in eine schwierige Situation. Umgekehrt haben wir, wenn alle sich impfen lassen, die Sicherheit und können uns auch Richtung Herdenimmunität weiterentwickeln.

Ein bisschen mehr Druck wird auch auf jene ausgeübt, die ab Oktober ihre Tests bezahlen müssen. Ist das für Sie nachvollziehbar?

Aus epidemiologischer Sicht ist das ein bisschen problematisch, weil dann möglicherweise die Testbereitschaft sinkt. Aber das kann man verschmerzen, wenn gleichzeitig Bereiche, etwa Innenräume, geschützt sind, weil Tests dort verpflichtend sind. Der Unterschied wäre einfach, dass die Kosten, die jene verursachen, die Impfungen ablehnen, dann nicht mehr der Allgemeinheit aufgebürdet werden. Das ist gerechtfertigt. Das ist nicht nur ein weiterer Druck auf Ungeimpfte, sondern auch eine Wiederherstellung von Gerechtigkeit.

Die Herdenimmunität werden wir vor der vierten Welle nicht mehr erreichen, zumindest nicht durchs Impfen. Welche Rolle spielt denn die Herdenimmunität nach der vierten Welle noch?

Impfen ist der Weg zur Herdenimmunität. Alles andere wäre eine schleichende Durchseuchung. Wenn wir das Risiko für Kinder und Jugendliche möglichst gering halten wollen, dann sollten wir dafür sorgen, dass alle, für die es eine Impfempfehlung gibt, sich auch impfen lassen. Damit ermöglichen sie, dass Schulen und Kitas offen bleiben können und sich die Delta-Variante eben nicht weiter ausbreitet wie bei einer Durchseuchung. Wenn wir eine Herdenimmunität erreicht haben - das könnte um den Jahreswechsel herum in greifbare Nähe rücken -, dann ist die Pandemie eigentlich gelaufen, zumindest hier in Europa.

Aber nicht weltweit …

Die weltweite Pandemie wäre dann noch nicht zu Ende. Wir müssen versuchen, auch hier eine Grundimmunisierung zu erreichen, sprich: Wir müssen global impfen. Aber grundsätzlich sind wir in Deutschland auf einem guten Weg zur Herdenimmunität. Wir können darauf hoffen, dass das der Schlüssel ist, um zu einem Leben ohne pandemische Lage zurückzukehren.

Mit Timo Ulrichs sprach Katrin Neumann

Quelle: ntv.de

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