Panorama

Interview mit Hendrik Streeck "Wir müssen die Hospitalisierungsrate ins Zentrum rücken"

Der Bonner Virologe Hendrik Streeck plädiert seit Monaten dafür, die Inzidenz durch weitere Kennzahlen zu ergänzen, um die Corona-Pandemie besser beurteilen zu können.

Der Bonner Virologe Hendrik Streeck plädiert seit Monaten dafür, die Inzidenz durch weitere Kennzahlen zu ergänzen, um die Corona-Pandemie besser beurteilen zu können.

(Foto: picture alliance / SvenSimon)

Hohe Inzidenzzahlen und dennoch nur wenige Fälle auf den Intensivstationen: Für den Bonner Virologen Hendrik Streeck ein Beleg dafür, die Meldeinzidenz nicht mehr alleine zum Gradmesser der Pandemie zu machen. Die Abschaffung kostenloser Schnelltests Mitte Oktober kommt laut Streeck zu früh.

ntv: Wie zufrieden sind denn Sie mit den Ergebnissen der Ministerpräsidentenkonferenz?

Hendrik Streeck: Ich bin überrascht, dass einige Dinge nicht gemacht und nicht angefasst wurden.

Was meinen Sie?

Ein Punkt: Wir haben letzten Sommer ja schon gesehen, dass die Meldeinzidenz nicht der ausschlaggebende, also der alleinige Faktor sein kann, um das Pandemiegeschehen gut zu beurteilen. In diesem Sommer haben auch mehr und mehr Politikerinnen und Politiker diese Auffassung vertreten. Dass nämlich weitere Parameter mit ins Blickfeld genommen werden müssen. Vor allem, wo wir durch die Impfkampagne nun eine Abkopplung der Meldeinzidenz von der Krankenhausbelegung sehen.

Welche Parameter brauchen wir?

Wir müssen die Hospitalisierungsrate ins Zentrum der Beurteilung des Pandemiegeschehens rücken. Wir sehen, dass andere Länder hohe Infektionszahlen haben …

… wie in Israel …

… genau, oder Island. Also wir sehen Länder mit hohen Infektionszahlen, in denen aber die Krankenhäuser weitestgehend leer bleiben.

Was schlagen Sie vor?

Das hier nicht ein Grenzwert, eine Quote irgendwie mal festgesetzt wird. Sondern zum Beispiel, und diesen Vorschlag gab es bereits letzten Sommer, dass also einmal eine Simulation als Modellierung erfolgen könnte, eine Art Stresstest, ähnlich wie der Bankenstresstest, damit wir Grenzwerte definieren. Das wundert mich also schon, um zur Eingangsfrage zurückzukommen, dass das noch nicht gemacht wurde. Und dass wir immer noch auf die Meldeinzidenz als Hauptparameter in dieser Pandemie schauen.

Corona-Schnelltests werden ab dem 11. Oktober kostenpflichtig. Ist das der richtige Weg?

Auch darüber bin ich ein wenig überrascht. Ich glaube, dass gerade in dieser Phase, wo wir einen Anstieg der Infektionszahlen im Herbst und Winter sehen werden, wir eher Menschen auch ermutigen sollten, sich testen zu lassen. In bestimmten Bereichen sogar regelmäßig.

Auf Ungeimpfte soll wohl ein gewisser Druck ausgeübt werden, um wieder Fahrt in die Impfkampagne zu bekommen.

Ungeimpfte, die sich dann testen lassen müssen, dazu zu zwingen, die Tests aus eigener Tasche zu bezahlen, hat auch einen negativen Effekt. Nämlich, dass sich Ungeimpfte dann gemeinsam treffen, also sich solche sogenannten Taschen bilden, wie wir das nennen. Also dass sich Ungeimpfte und Geimpfte voneinander trennen. Das kann gegebenenfalls sogar das Infektionsgeschehen anheizen, weil die Herdeneffekte eher abbrechen, also die Herdenketten oder Infektionsketten nicht eintreten. Daher finde ich neben der Frage, ob sich ein Hartz-IV-Empfänger überhaupt dann noch testen lassen kann von seinem Geld und dadurch auch am gesellschaftlichen Leben teilnehmen kann, diese sozialen Fragen also, es auch aus epidemiologischer Sicht in der jetzigen Phase der Pandemie zu früh, mit den kostenlosen Testungen aufzuhören.

Mit Hendrik Streeck sprach Mara Bergmann

Quelle: ntv.de

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