Die Küche der Native Americans Was wir von den Indigenen lernen können


Sean Sherman: "Als ich begann, mir die indigene Küche neu zu erschließen, war der erste Schritt, dass ich mich auf die Nahrungsmittel konzentriert habe, die immer schon da waren."
(Foto: Sean Sherman)
Sean Sherman wuchs in einem Sioux-Reservat in South Dakota auf, wurde Koch und erkannte: Das kulinarische Wissen seiner Ahnen ist fast vergessen. Sherman hat es wieder ans Licht geholt. Seine Rezepte lesen sich wie aus der zeitgemäßen Bio-Küche und treffen genau unseren Nerv.
"Der Sioux-Chef" ist für mich eines der wichtigsten in diesem Jahr erschienenen Bücher. Der Berliner Kanon Verlag hat damit nicht nur sein erstes Kochbuch verlegt, sondern das erste indigene Kochbuch seiner Art auf unseren Markt gebracht. Autor ist Sean Sherman, ein Oglala-Lakota aus der Volksgruppe der Sioux. Wer mehr über die Lebensweise der Ureinwohner Amerikas wissen will, was über das historisch bedingt eingeschränkte Wissen von James Fenimore Cooper, Karl May & Co. hinausgeht, und vor allem über die indigene Küche, der wird hier fündig.
Shermans Anliegen ist die Rückbesinnung auf einfache Zubereitungen, auf ursprüngliche Zutaten und lokale Nahrungsmittel mit charakteristischen, frischen Geschmacksnoten. Und damit trifft er genau unseren Nerv. "Wie kann es sein, dass unsere ursprüngliche indigene Kost heute nicht überall trendet und der letzte Schrei ist?", fragt Sherman zu Recht. "Sie ist hyperlokal, ultrasaisonal, megagesund: ohne industriell verarbeitete Lebensmittel, ohne Zucker, ohne Weizen (oder Gluten), ohne Milchprodukte oder tierische Produkte mit hohem Cholesterinwert. Sie ist von Natur aus niedrigglykämisch, eiweißreich, salzarm, vorwiegend pflanzlich, mit vielen Körnern, Saaten und Nüssen. Vor allem aber ist sie mehr als köstlich. Sie bietet das, was so viele Diäten liefern wollen, aber wegen mangelnder Sinngebundenheit doch vermissen lassen. Es ist eine Ernährungsweise, die uns alle so unmittelbar und profund wie möglich mit der Natur und miteinander verbindet." Das ist Shermans Philosophie: eine Küche der tiefen Verbundenheit mit der Natur, dem Respekt vor Pflanzen und Tieren.
Alternativen erleichtern das Nachkochen
Seine Rezepte sind als Leitfaden gedacht, nicht als festgeschriebene Regel, offen für eigene Interpretation: "Bitte probieren Sie aus, was Ihnen schmeckt; vertrauen Sie auf sich selbst und ersetzen Sie Zutaten, je nachdem, was gerade Saison hat und in der Nähe Ihrer Küche so wächst. Bei vielen Rezepten gibt es Alternativvorschläge für Zutaten." Nachdem geklärt ist, was so zur indigenen Vorratskammer gehört, inklusive etlicher Basis-Rezepte, nimmt uns Sherman mit aufs Feld und in den Garten (leichte Kost), zu Prärien und Seen (deftigere Hauptgerichte). Natürlich fehlen auch Süßes aus der Natur sowie diverse Feiern und Festessen nicht. Die Gerichte in diesem Buch sind gluten-, laktose- und zuckerfrei. Dazu gehören etwa Sonnenblumenbutter (ohne Butter), Wildkräuterpesto, Räucherfisch-Creme, Entenbraten mit Salbei und Hagebutte oder Ofenkürbis mit Ahornsirupkruste und Heidelbeeren. Keine Bange vor unbekannten Zutaten und Kochgewohnheiten: Die 126 Rezepte sind leicht nachzukochen, jedenfalls die meisten. Es muss ja nicht gerade Pemmikan sein - aber wer schon immer wissen wollte, wie's geht, dem wird hier geholfen. Falls Sie Ihre Weihnachtsente lieber mal geräuchert auf den Tisch stellen wollen, auch das bringen Sie mit Hilfe Shermans zustande. Sie müssen dazu nur Ihren Smoker aus dem Winterschlaf holen.
Die meisten in den Rezepten angeführten Zutaten finden Sie in Supermärkten und Bio-Läden, außerdem gibt der Autor Entscheidungshilfe für alle möglichen Alternativen. Falls beispielsweise mal kein Bison zur Hand ist - Weiderind tut's auch. Mein Tipp: Wer allerdings Wert auf Authentizität legt, kann Bison aus dem Südharz in Sachsen-Anhalt beziehen. Auch vor den Toren Berlins, im brandenburgischen Teltow, weiden Bisons. Wir können in unserem Alltag nicht alles umsetzen, was Sherman empfiehlt. Wir können nicht, bevor wir per Fahrrad, Öffis oder Auto zur Arbeit hetzen, mal schnell vor der Haustür Kräuter sammeln. Beneidenswert, wer im Grünen wohnt und arbeitet und solche Möglichkeiten hat. In den Hochhaus-Metropolen müssen wir andere Möglichkeiten finden und auf den Sonntagsspaziergang ausweichen oder Bärlauch und Pilze auf Märkten kaufen.
Trauriges Erbe wirkt bis heute nach

Es ist nicht schwer, Würzasche herzustellen, zum Beispiel aus Salbei oder Wacholder.
(Foto: Heidi Ehalt)
Sean Sherman, 1974 geboren, wuchs im Pine Ridge-Reservat in South Dakota auf. Das Reservat hat eine traurige Berühmtheit erlangt, als am 29. Dezember 1890 Angehörige des 7. US-Kavallerie-Regiments 300 wehrlose Angehörige verschiedener Sioux-Stämme ermordeten - in die Geschichte eingegangen als das Massaker von Wounded Knee. Und heute? Heute gehört das Pine Ridge-Reservat zu den ärmsten Regionen der USA: Weit über die Hälfte der Indigenen leben unterhalb der Armutsgrenze, die Arbeitslosenrate beträgt 80 und mehr Prozent. Dazu kommt eine unglaublich ungesunde Ernährung, seitdem die Kolonisatoren vor 150 Jahren den Stämmen Land und Ressourcen raubten, sie aus ihren angestammten Lebensräumen vertrieben. "Entwurzelt und in Reservate umgesiedelt, war ihnen die Kontrolle darüber, wie sie sich ernähren wollten, genommen, und sie waren gezwungen, Erzeugnisse in Anspruch zu nehmen, mit denen sie von der Regierung versorgt wurden: Dosenfleisch, Weißmehl und Schweineschmalz - alles Nahrungsmittel mit schlechtem Nährwert. Auch Nahrungsmittelkontrolle ist ein Mittel, wie sich Macht ausüben lässt." Traurige Worte, traurige Wahrheit - und noch längst nicht von der Welt.
All das hat Auswirkungen bis heute: Die Angehörigen der Native Americans erkranken doppelt so oft an Diabetes wie der Durchschnittsamerikaner. Bluthochdruck, Herzkrankheiten, psychische Probleme, Alkohol- und Drogensucht sind weit verbreitet. Die Lebenserwartung der Ureinwohner der USA ist 20 Jahre kürzer als das der Weißen.
Beginn einer kulinarischen und kulturellen Erneuerung

Maisbrei nach althergebrachter Art mit pochiertem Ei. Reste schmecken als Bratlinge.
(Foto: Mette Nielsen)
Auf der Ranch seines Großvaters ist Sherman die Position eines international anerkannten Spitzenkochs und Unternehmers nicht in die Wiege gelegt worden. Früh lernte er zu jagen und Pflanzen zu bestimmen. Mit 13 fing er an, in Restaurants die Tische abzuwischen und Teller zu waschen, aber er wollte mehr und lernte schnell. Seine fehlende Ausbildung machte er durch Erfahrung, Wissensdurst und Beharrlichkeit wett. Mit 27 war er Küchenchef, mit 29 bezahlte er für diesen frühen Erfolg einen hohen Preis: Burnout. Sherman nahm eine Auszeit und ging nach Mexiko. Im unwegsamen mexikanischen Dschungel bei den zurückgezogen lebenden Huicholen, wo die indigenen Ernährungstraditionen weitgehend erhalten geblieben sind, wurde ihm klar, was Essen "für eine treibende, Identität und Struktur verleihende Kraft" im Leben darstellt. Sherman wollte wissen, worin sein eigenes kulinarisches Erbe besteht.
Zurück in den USA begann eine Reise zu diesen Wurzeln. Seine Vision, die eklatant unterrepräsentierte Küche der Ureinwohner Amerikas in den Vereinigten Staaten wieder ans Licht zu holen, nahm 2014 Gestalt an. Sherman gründete The Sioux Chef, ein Unternehmen für Ernährung und Catering, sowie die Non-Profit-Organisation NATIFS (North American Traditional Indigenous Food Systems). Vorträge, Schulungen, Kurse, Pop-up-Dinner, Food-Truck, Restaurant ... die Bedeutung reicht längst über Shermans Heimat hinaus. Die vielen Ehrungen zeigen: Die Arbeit hat sich gelohnt. Shermans Owamni-Restaurant in Minneapolis wurde 2022, ein Jahr nach Eröffnung, zum besten Newcomer-Restaurant in den USA gewählt. Das jetzt auf Deutsch vorliegende Kochbuch, 2017 in den USA erschienen, erhielt 2018 die Auszeichnung als bestes amerikanisches Kochbuch. 2023 erkor das Time Magazine Sherman zu einer der 100 einflussreichsten Personen weltweit.

Die traditionelle Beeren-Sauce Wojape schmeckt süß zu Desserts, herb-würzig zu Fleisch und Gemüse.
(Foto: Nancy Bundt)
Es gibt inzwischen viele Köche wie Sherman, viele Aktivisten und Aktivistinnen, die sich für die Rückbesinnung auf die kulinarischen Traditionen der Ahnen starkmachen und die diese Küche den Erfordernissen der Gegenwart behutsam anpassen. Solche Bemühungen gibt es von Kanada bis Peru, auch die neue Küche des Nordens in Europa gehört dazu. Auch wir in Deutschland wollen nachhaltiger leben - regional und saisonal soll unser Essen sein. Das haben uns die Indigenen schon längst vorgemacht, sie handhaben das seit Jahrhunderten so - falls sie nicht durch äußere Einflüsse daran gehindert wurden und werden. Eine Studie der Welternährungsorganisation (FAO) kam zu dem Ergebnis, dass indigene Völker mit ihrer Art, Nahrungsmittel zu beschaffen, ihre Umwelt schützen und bereichern. Dieser Umgang mit Nahrung sollte in den Wandel hin zu nachhaltigeren Lebensmittelsystemen einbezogen werden.
Weil die Weiterentwicklung indigenen Essens so wichtig ist, kommen in "Der Sioux-Chef" auch viele andere Fürsprecher mit ihren Rezepten zu Wort. Sean Shermans Widmung lautet: "Dieses Kochbuch ist unseren Vorfahren und allen indigenen Menschen gewidmet, die jahrhundertelang unter dem Kolonialismus gelitten haben. Wir, die Nachfahren der First Nation, sind der lebende Beweis für Tapferkeit und Widerstandskraft. Wir stellen unsere Arbeit der nächsten Generation zur Verfügung, auf dass diese die Flamme des Wissens weitertragen und unsere Traditionen, unsere Ernährungsweise und unsere Heilkunde für künftige Generationen lebendig halten kann."
Scharf angebratene Entenbrust mit Apfelsaft-Glacé
Bei diesem Rezept wird die Entenbrust nur ganz kurz gegart und mit einem Schuss Ahornsirup scharf angebraten. Es ist ein einfaches Gericht, das sich fantastisch als Hauptgang eignet. Wenn Sie nicht selbst jagen oder jemanden kennen, der auf die Jagd geht, und in Ihrer Nähe auch kein frisches Wildgeflügel im Handel erhältlich ist, verwenden Sie tiefgekühlte Entenbrust aus dem Supermarkt. Das Anbraten bei hoher Temperatur macht die Haut schön kross. Servieren Sie die Entenbrust auf Maispfannkuchen (Seite 51) oder auf Wildreis-Pilaw (Seite 84).
1 TL grobes Mineralsalz (Seite 183)
1 Prise Sumach
1 Prise zerstoßener Wacholder
2-3 Pfund Entenbrust mit Haut
1-2 EL Sonnenblumen- oder Haselnussöl
1 Tasse Apfelsaft
1 EL klein geschnittener Salbei
1 EL Ahornessig (ersatzweise Apfelessig)
1 EL Ahornsirup (je nach Geschmack auch Wojape-Sauce fürs Anrichten)
Zubereitung:
Mischen Sie Salz, Sumach und Wacholder in einer großen verschließbaren Plastiktüte und geben Sie anschließend die Entenbrust hinzu. Schütteln Sie alles, damit das Fleisch überall mit der Gewürzmischung bedeckt ist. Verschließen Sie die Tüte und legen Sie sie für mindestens 1 Stunde oder über Nacht in den Kühlschrank.
Nehmen Sie die Tüte mit der Entenbrust aus dem Kühlschrank und warten Sie, bis sie Raumtemperatur hat.
Heizen Sie den Ofen auf 200 Grad vor. Geben Sie Öl in eine ofenfeste Pfanne, sodass der Boden großzügig bedeckt ist, und erhitzen Sie sie bei mittlerer Temperatur, bis das Öl leicht hin und her zu schwenken ist. Legen Sie die Entenbrüste nacheinander einzeln oder in kleinen Portionen mit der Hautseite nach unten in die Pfanne und braten Sie sie für etwa 5 Minuten scharf an. Anschließend wenden und auch von der anderen Seite für 5 Minuten anbraten. Stellen Sie die Pfanne in den Ofen und lassen Sie das Fleisch für etwa 5 bis 7 Minuten garen, bis es innen rosa ist. Geben Sie die Entenbrust anschließend zugedeckt auf einen Teller, um sie warm zu halten.
Entfernen Sie das Fett bis auf 1 TL aus der Pfanne und stellen Sie es zur anderweitigen Verwendung beiseite. Erhitzen Sie die Pfanne erneut bei mittlerer Hitze, geben Sie den Apfelsaft hinein und lösen Sie damit den braunen Bratenbelag vom Pfannenboden. Rühren Sie den Salbei ein. Lassen Sie den Apfelsaft köcheln, um ihn auf die Hälfte zu reduzieren. Fügen Sie nun den Essig hinzu und lassen Sie das Ganze noch einige Minuten lang weiter einkochen.
Schmecken Sie die Sauce danach mit dem Ahornsirup ab. Schneiden Sie die Entenbrust diagonal in 2,5 cm dicke Scheiben und richten Sie sie vor dem Servieren mit einigen Tupfern Wojape-Sauce an.
(Anmerkung: Sherman schreibt zu Sumach: "Das Gewürz Sumach finden Sie in vielen Supermärkten, Bio- und Feinkostgeschäften im Gewürzregal. Wie Sie selbst welchen ernten können, finden Sie auf Seite 45. Lässt sich durch Zitronensaft ersetzen.")
Wojape
6 Tassen frische Beeren: Traubenkirschen oder eine Mischung aus Blaubeeren, Himbeeren, Erdbeeren, Holunderbeeren, Cranberrys und Brombeeren
1 bis 1 ½ Tassen Wasser
Honig oder Ahornsirup nach Belieben
Der Duft, den diese traditionelle Sauce beim Köcheln auf dem Herd verströmt, versetzt mich zurück ins unbekümmerte Alter von sechs Jahren. Die Traubenkirschen, die ich als Kind in unserer Gegend sammelte, waren in unserer Familie fest eingeplant. Wir legten eine Decke unter den Bäumen aus und sammelten sie gleich eimerweise ein. Man muss sie nicht entsteinen, weil die Steine von alleine auf den Boden des Topfes sinken, wenn der Saft austritt und die Sauce langsam eindickt. Wenn wir die Sauce für Desserts verwenden wollten, wurde sie gesüßt, man kann sie aber auch als herb-würzige Sauce für Fleisch, insbesondere Wild, und Gemüse sowie als Dressing verwenden.
Zubereitung:
Geben Sie die Beeren mit dem Wasser in einen Topf und bringen Sie sie bei geringer Hitze langsam zum Kochen. Lassen Sie die Mischung unter gelegentlichem Rühren so lang kochen, bis sie eindickt, und süßen Sie die Sauce schließlich nach Belieben mit Honig oder Ahornsirup.
Viel Erfolg beim Lernen und Kochen wünscht Ihnen Heidi Driesner.
Quelle: ntv.de