Panorama

"Bisher hatten wir nur Glück" Fünf Jahre nach "Deepwater Horizon"-Katastrophe

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Fünf Jahre nach der Umweltkatastrophe werden immer noch Teerklumpen an die Küste gespült.

(Foto: dpa)

Als die "Deepwater Horizon" 2010 explodiert, gelangen Millionen Liter Öl in den Golf von Mexiko. Fünf Jahre später werden immer noch Teerklumpen an die Küste gespült. Die Spätfolgen für die Umwelt sind nicht absehbar - nur bei BP ist längst der Alltag eingekehrt.

Am 20. April 2010 explodiert im Golf von Mexiko die Bohrinsel "Deepwater Horizon". Elf Arbeiter kommen ums Leben, geschätzte 800 Millionen Liter Öl strömen in den Golf von Mexiko. Der Unfall löst die bislang schwerste Umweltkatastrophe in den USA aus. Jörg Feddern begab sich knapp ein Jahr nach dem Unglück ins Krisengebiet. "Das Öl hat die Küsten und die Meeresumwelt am Golf weitflächig verseucht. Nichts ist dort mehr, wie es war", warnte der Öl-Experte von Greenpeace damals.

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Vor fünf Jahren explodierte die Deepwater Horizon.

(Foto: dpa)

5 Jahre sind seit der Deepwater Horizon-Katastrophe verstrichen. Sind Sie nach Ihrer Spurensuche 2011 noch einmal ins Krisengebiet zurückgekehrt?

Jörg Feddern: Leider nicht. Aber ich habe mit meinen amerikanischen Kollegen gesprochen. Es werden immer noch Teerklumpen an die Strände gespült. Das wird auch in den kommenden Jahren der Fall sein. Ein Großteil des Öls wurde damals mit dem Lösungsmittel Coraxit quasi daran gehindert, an die Oberfläche zu kommen. Dieses Öl hat sich auf den Meeresboden abgesenkt. Durch Stürme oder starke Strömungen wird diese teerartige Substanz hochgerissen und an die Küsten gespült.

Welche Schäden sind im Ökosystem nachweisbar?

Als ich 2011 vor Ort war, wurde eine übermäßige Zahl von frühgeborenen toten Delfinen bemerkt. Man konnte nachweisen, dass diese ungewöhnliche Totfund-Häufigkeit durchaus mit der Ölpest zu tun hat. Daraufhin hat man gezählt, wie viele Tümmler insgesamt angespült wurden. Allein 2013 war die Zahl der angespülten toten Tiere dreimal höher als in durchschnittlichen Jahren. Die Untersuchungen ergaben: Einer der Gründe dafür sind die Nachwirkungen der "Deepwater Horizon"-Katastrophe. Man hat zudem in bestimmten Regionen in Louisiana Tiere gefunden, die Lungenprobleme oder Immunschwächen hatten.

BP setzte damals ein Lösungsmittel namens Corexit ein, um das Öl zu zersetzen und aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit zu entfernen. Der Konzern versicherte damals, dass es ungefährlich sei.

Untersuchungen haben ergeben, dass das Corexit giftiger auf Korallen wirkt als das Öl - und beides zusammen in Kombination noch viel toxischer ist. Das heißt, dieser Versuch, das Öl gar nicht erst an die Oberfläche gelangen zu lassen, ist im Nachhinein komplett gescheitert, weil die Organismen in der Tiefsee darunter massiv gelitten haben. Damals wurden sieben Millionen Liter eingesetzt. Man hat behauptet, Corexit sei völlig harmlos. Das ist widerlegt. Da treibt man den Teufel mit dem Beelzebub aus.

Was macht dieses Öl jetzt mit dem Meeresboden?

Alle Bodenorganismen, die nicht fliehen können, also alles was sesshaft ist, stirbt unter diesem Ölteppich. In der Tiefsee wird das Öl nicht abgebaut oder zumindest nur ganz, ganz, ganz langsam. Soll heißen, dieses Öl bleibt da Jahrzehnte. In diesem Öl sind immer noch Giftstoffe enthalten, die nach und nach in die Wassersäule gelangen und ihr Gift abgeben. Man kann dieses Öl da unten nicht beseitigen. Das bleibt da einfach liegen. Das ist im Prinzip ähnlich wie eine geteerte Straße. So ist die Konsistenz dieses Öls. Das da herauszukriegen, kann man vergessen.

Zwischen 380 und 800 Millionen Liter Öl sollen in den Golf gelaufen sein. Warum schwanken die Angaben dermaßen stark?

BP hat es tatsächlich geschafft, Messungen nach dem Unfall zu verhindern. Ich unterstelle BP Vorsatz, weil sie im Nachhinein sagen können: Es gibt keine belegbaren Messungen, es gibt nur Schätzungen. Wir schätzen diese Zahl, die Obama-Administration schätzt diese Zahl – beweist uns das Gegenteil. Der Hintergrund ist, dass es um richtig viel Geld geht. Wenn BP grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen wird, wird es richtig teuer, wenn nur Fahrlässigkeit nachgewiesen wird, dann muss diese festgelegte Menge, mit einem Betrag x beglichen werden.

Hat sich nach dem Unfall bei BP und Co etwas geändert?

Grundlegend hat sich an der Art, wie man Öl aus der Tiefsee fördert, nichts geändert. Es gibt zwar gesetzliche Verschärfungen und auch technische Anforderungen, die erfüllt werden müssen, dennoch passiert jedes Jahr im Golf von Mexiko mindestens ein Unfall mit dem Verlust der Kontrolle über das Bohrloch. Gerade vor einigen Wochen ist ja wieder eine Plattform in Brand geraten. Soll heißen, das Risiko dieser Art von Bohrung ist vielleicht ein Stück weit minimiert worden, aber es ist nicht auf null gesetzt worden. Deswegen bleibt unsere Forderung bestehen: Regionen wie die Tiefsee oder die Arktis, wo die Anforderungen so extrem hoch sind, solche Regionen sollten für die Öl-Industrie gesperrt bleiben.

Ist der nächste Unfall also nur eine Frage der Zeit?

Das "Deepwater Horizon" ist in der Größe des Unglücks bisher zwar ein Einzelfall. Das so eine Katastrophe wieder passiert, ist aber nicht auszuschließen. Wir haben hier in der Nordsee nicht ganz so viele Plattformen wie im Golf von Mexiko zu stehen, aber immerhin 751 Stück. Dort werden zwischen 400 und 500 Unfälle pro Jahr gezählt, wobei auch alles dokumentiert wird. Also auch eine Verletzung der Arbeiter oder wenn der Schlüssel mal herunterfällt. Aber auch in der Nordsee kommt es zu schwerwiegenden Kontrollverlusten wie damals im Golf von Mexiko. Bislang hatten wir nur Glück, dass diese Kontrollverluste glimpflich ausgegangen sind.

Und BP?

Ist genauso wieder im Geschäft wie vorher auch. Sie bohren auch relativ in der Nähe des alten Ölfeldes. Es gibt technische Auflagen, das darf man nicht wegreden. Aber deren Sinn muss man anzweifeln. Zum Beispiel hat man doch diese große Glocke genommen, um das ausströmende Öl damals aufzufangen. Diese Glocke gibt es jetzt an zwei großen Orten im Golf von Mexiko. Wenn es zu einem neuen Unglück kommen sollte, will man diese Glocken einsetzen, um zu verhindern, dass nochmal so lange Öl ausströmt.

Nun ist Shell gerade auf dem Weg in die Arktis. Dort haben sie 2012 das erste Mal versucht zu bohren und haben diese Glocke getestet. Zwar nicht unter arktischen Bedingungen, aber dieser Test ist trotzdem total danebengegangen. Das Ding ist durch den Wasserdruck einfach zusammengedrückt worden wie eine Bierdose. Das heißt de facto, der Versuch, die Technik so anzupassen, dass man einen Ölunfall in Griff bekommt, hat nicht funktioniert. Zumindest lassen das die Erkenntnisse zu, über die wir bei Greenpeace verfügen. Wenn es also erneut zu einem Ölunfall kommt, ist die Gefahr, dass man wieder tage- oder sogar wochenlang zuschauen muss, wie Öl ausströmt, ziemlich groß. Da hat sich nichts geändert. Deswegen möchte ich das noch einmal betonen: Solche Gebiete wie die Arktis, aber auch Tiefseebohrungen - aus unserer Sicht muss das ein Ende haben. Wir müssen uns dringend aus dem Ölzeitalter verabschieden.

Mit Jörg Feddern sprach Diana Sierpinski

Quelle: ntv.de

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