Feuer-Attacke auf Obdachlosen "Ich bin nicht so verroht"
12.05.2017, 17:15 Uhr
Am ersten Weihnachtsfeiertag greifen sieben Jugendliche einen Obdachlosen an.
(Foto: picture alliance / Paul Zinken/d)
Heimtücke, Grausamkeit und Langeweile: So beurteilt die Staatsanwaltschaft die Tat. Sieben Flüchtlinge müssen sich dafür verantworten, einen Obdachlosen angezündet zu haben. Vor Gericht äußern sie sich nun zu dem Abend.
"Ich wünschte, ich hätte mich anders entschieden." Die Worte kommen nicht von dem Hauptangeklagten Nour N. Der 21-Jährige lässt vor dem Berliner Landgericht im Prozess um die Feuer-Attacke auf einen Obdachlosen seinen Anwalt sprechen. An die genauen Abläufe oder Gespräche im U-Bahnhof Schönleinstraße am ersten Weihnachtsfeiertag erinnere er sich nicht. Nour N. der, wie seine Mitangeklagten auch, als Flüchtling nach Deutschland gekommen ist, will sich zu keiner Zeit darüber im Klaren gewesen sein, dass er den Mann in Lebensgefahr gebracht hat. "Ich bin nicht so verroht, dass ich den Tod eines Menschen in Kauf nehmen würde." Er habe sich darauf verlassen, dass schon nichts Schlimmes passieren würde.
Für die Tat müssen sich sieben jugendliche Flüchtlinge verantworten – sechs wegen gemeinschaftlichen versuchten Mordes, einer wegen unterlassener Hilfeleistung. Nour N. ist der Hauptverdächtige. Nur weil Passanten und ein U-Bahnfahrer zu Hilfe eilen, blieb damals das Opfer unverletzt.
Joints, Wodka, Ecstasy
Am ersten Verhandlungstag hatten die sieben jungen Männer geschwiegen, aber Aussagen angekündigt. Nun versagt dem Hauptangeklagten die Stimme. Der schmächtige, klein gewachsene junge Mann wirkt neben seinem Verteidiger hilflos und eingeschüchtert. Der erzählt von jener verhängnisvollen Nacht im Dezember 2016. Demnach macht sich Nour N., der zu dieser Zeit bei seiner Tante wohnt, am Heiligabend gegen 22 Uhr auf in Richtung Berlin Alexanderplatz. Er will sich dort mit einer Frau treffen. Auf dem Weg zu seiner Verabredung raucht er zwei Joints. Nichts Ungewöhnliches – denn Drogen konsumiert er nach eigenen Angaben zu dieser Zeit täglich.
Am Alexanderplatz trifft er die Mitangeklagten. Er trinkt Wodka-Cola. Auf einer öffentlichen Toilette nimmt er zwei Lines Heroin. Die Gruppe fährt zum Kottbusser Tor. Von dort geht es weiter zum Hermannplatz in Neukölln. Auf dem Weg trinkt er weiter, raucht einen Joint und schluckt eine Pille Ecstasy.
Während sein Anwalt die Erklärung verliest, sinkt Nour N. weiter in sich zusammen. Der inzwischen 21-Jährige sei sich darüber bewusst, was seine Tat für ein Licht auf Flüchtlinge werfe, sagt sein Anwalt zum Abschluss der Erklärung. Am Ende wischt sich Nour N. Tränen aus dem Gesicht. Ob es Tränen der Reue oder des Selbstmitleids sind, weiß nur er.
Einige Mitangeklagte lassen über ihre Anwälte erklären, sie hätten versucht, Nour N. von der Tat abzuhalten oder gar nicht mitbekommen, was passiert sei. Doch die Videoaufnahmen widerlegen die Aussage eines Angeklagten, das Opfer habe gar nicht geschlafen, sondern sei vielmehr auf dem Bahnhof herumgelaufen und habe sich gar zu den Flüchtlingen gesetzt.
Videoüberwachung auf dem U-Bahnsteig
Die Überwachungsbilder zeigen eindeutig, wie der Hauptangeklagte vor der Bank unruhig auf und ab läuft. Schließlich versucht er, ein brennendes Taschentuch in unmittelbare Nähe des schlafenden Obdachlosen zu schieben. Als einer der Männer wenig später die Videoüberwachung auf dem U-Bahnsteig entdeckt, ziehen alle sieben Tatverdächtigen plötzlich die Kapuzen ihrer Jacken tief ins Gesicht. Sie überlassen ihr Opfer seinem ungewissen Schicksal und steigen schließlich in die nächste U-Bahn.
Die anderen fünf Angeklagten erzählen mehr von ihrem Alltag in Deutschland. Demnach kennen sie sich nur flüchtig vom Alexanderplatz in Berlin-Mitte. Einer der Männer lässt seinen Anwalt sagen, Nour N. habe am Tatabend betrunken gewirkt, "und als wenn er einen seelischen Knacks hätte". Während der Verteidiger die Erklärung verliest, starrt auch er geistesabwesend auf den Tisch. Er selbst habe keinen Alkohol getrunken. Auch von Drogen habe er die Finger gelassen. Zumindest an diesem Abend. Er gibt aber zu: Besonders in den ersten Wochen in Deutschland habe er öfter Alkohol getrunken, weil er sich einsam gefühlt habe.
Nach dem Verlesen der Erklärungen und dem Zeigen des Videos endet der zweite Prozesstag. Als sich der Saal langsam leert, wechseln einige der Angeklagten noch rasch ein paar Worte mit ihren Familien und Freunden. Heimlich macht jemand ein Foto. Der Anwalt eines Angeklagten schüttelt verständnislos den Kopf. Wie zu Prozessauftakt scheinen Nour N., Mohammad M., Khaled A., Ayman S., Mohamad Al-J., Bashar K. und Eyad S. immer noch nicht verstanden zu haben, wie schwer die Straftat wiegt, die ihnen vorgeworfen wird.
Quelle: ntv.de