Zwischen Hoffnung und Resignation Im Auge der Flüchtlingskrise
21.09.2015, 15:55 Uhr
Tausende Flüchtlinge harrten in den vergangenen Tagen am Bahnhof von Tovarnik aus.
(Foto: Stephan Framke)
Am Bahnhof von Tovarnik regiert das pure Chaos. Für Tausende Flüchtlinge ist das Dorf an der Grenze zu Serbien ein Zwischenstop auf ihrer Flucht. Die Lage dort ist brenzlig. Es gibt Momente, da legt man auch als Journalist die Kamera aus der Hand und die Distanz ab.
"Ich will zurück nach Syrien", sagt ein junger Flüchtling auf einem matschigen Feldweg am Bahnhof von Tovarnik. "Lieber sterbe ich dort, als hier, denn hier werden Menschen sterben." Wenige Minuten zuvor haben sich am Bahnhof wieder dramatische Szenen abgespielt. Flüchtlinge klettern kopfüber durch die Fenster, Polizisten in Kampfmontur schreien, die Hand am Knüppel. Schnell die Türen zu - Abfahrt. Auseinandergerissene Familien bleiben. Erwachsene Männer rufen tränenüberströmt, dass ihre Familien in dem Zug sind. Ziel: vielleicht Zagreb, vielleicht die ungarische Grenze.

Mehr als nur Kameramann: Eine halbe Stunde bis zur Ankunft eines Krankenwagens muss Thorben Kiefer einen Flüchtling wiederbeleben.
(Foto: Stephan Framke)
Das 1500-Einwohner-Dorf Tovarnik ist seit Tagen der Hotspot der Flüchtlingsbewegung. Bei fast 40 Grad im Schatten harren hier Tausende aus. Dass überhaupt Versorgung mit dem Nötigsten stattfindet, ist fast ausschließlich Freiwilligen zu verdanken. Viele von ihnen aus Deutschland. Sie haben eine Verteilstation eingerichtet. Wasser, Kleidung, Windeln - wer sich vordrängelt, wird von einem jungen Österreicher angebrüllt und zurück in die Schlange geschickt. Anders geht es nicht. Die Stimmung kippt minütlich zwischen Hoffnung, dass es weitergeht und Resignation. Sie sind müde, ausgehungert und wollen nur nach Deutschland oder Skandinavien.
Nadji war in Damaskus Kameramann. 5000 Euro habe er dort im Monat verdient, berichtet er. Sein Bruder muss ihn stützen, als er über die Grenze von Serbien nach Kroatien kommt. Ungarische Polizisten haben ihm die Beine zerknüppelt. Auch auf Familien haben sie eingeschlagen, sagt er. Für Nadji und seinen Bruder wird Tovarnik zum nächsten Albtraum. Zwei Tage stecken sie fest, denken an ihre Schwester in Syrien und sind froh, dass sie sie nicht mitgenommen haben. Zu viel Gefahr auf dieser Route durch den Balkan.
Warten auf die Busse
Zwischen Live-Schalten und Interviews sind es genau diese Geschichten, die der Flüchtlingskrise Gesichter und Namen geben. Eindrücke verschwimmen zwischen Satzfetzen, Sprechchören, weinenden Frauen und fiebernden Säuglingen. Sie schlafen auf der Straße, sobald ein Bus kommt, springen sie auf. Gedränge und Schreie, bis alle Busse wieder weg sind. Zurück in die Schlange. So sieht hier die Routine aus. Ziel: ungewiss. Bloß weg hier. Irgendwann ist auch egal, dass es für viele wieder nach Ungarn geht, dort wo sie herkommen.
Es gibt Momente, da legt man auch als Journalist die Kamera aus der Hand und die Distanz ab. Etwa als mein Kameramann Thorben Kiefer einen kollabierten Flüchtling fast eine halbe Stunde wiederbelebt, bis der Krankenwagen kommt. Der Mann überlebt. Interview-Anfragen an den Lebensretter werden abgelehnt. Er wolle keine Heldengeschichte über sich lesen. Die Helden dieser Tragödie seien andere.
Quelle: ntv.de